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Beitrag vom 16.02.2015
Gail Dines - Pornland. Wie die Pornoindustrie uns unserer Sexualität beraubt
Dorothee Robrecht
In diesem Essay warnt die US-Amerikanische Professorin und Anti-Porno-Aktivistin ("Stop Porn Culture") vor der "Pornifizierung unserer Kultur". Ihr Buch hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck.
Verlagstext: Die meisten Menschen denken bei »Pornografie« an sympathisch wirkende Dinge wie »Josefine Mutzenbacher«, den »Playboy«, Schmuddelhefte mit Bildchen oder verstaubte Videokassetten. Es herrscht die Meinung vor, dass Pornografie zumindest auch die Befreiung vom überkommenen Denkvorschriften und Sozialnormen sei.
Heute hat Pornografie mit den Medien des letzten Jahrhunderts kaum mehr etwas gemein. Durch das Internet ist eine Pornoindustrie entstanden, die fast ausschließlich aggressiven Charakter hat: Immer leichter ist der Zugang zu immer brutalerem Material, das Sex nur noch als harte Inbesitznahme und rücksichtsloses Quälen zulässt. Immer jünger werden die Konsumenten, immer intensiver die Wirkung dieser Produkte auf deren Vorstellungen und Handlungen. Ein ganzer Kulturbereich hat sich jeder Kontrolle entzogen, seine Hauptwirkung ist ein nie dagewesenes soziales Experiment: Die totale Entmenschlichung einer der intimsten Sphären des Menschen.
Indem wir unsere Sexualität und die unserer Kinder von dieser Industrie bestimmen lassen, werden Frauen – aber auch Männer – systematisch entwürdigt. Diese moderne Form der Pornografie ist nicht nur kein Akt der Befreiung von Zwängen mehr – sie ist selbst zum Feind humaner Verhältnisse geworden.
Zur Autorin: Gail Dines geboren 1958, ist Professorin der Soziologie und Frauenstudien am Wheelock College in Massachusetts und beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit den Auswirkungen der Pornoindustrie. Das amerikanische Publikum kennt sie zudem aus zahlreichen Vorträgen im ganzen Land, sowie durch Gastauftritte in Fernsehen und Radio. Sie ist Mitbegründerin der Organisation "Stop Porn Culture", von der es auch einen deutschen Ableger gibt. Gail Dines lebt in Brookline, Massachusetts, ist international aktiv im Kampf gegen Pornografie.
(Quelle: Verlagsinfo)
AVIVA-Tipp: Der 300 Seiten Essay von Gail Dines ist in den USA schon 2010 erschienen, erscheint hier also mit einer Verzögerung von vier Jahren – und mit einem Cover, das das der Originalausgabe deutlich entschärft: Zu sehen war dort eine Lacklederstiefelette mit Killer High Heels. So sehr Gail Dines die Kommerzialisierung von Sex in ihrem Buch auch kritisiert – wenn es darum geht, ihr Buch zu verkaufen, ist sex sells offenbar ok. Ihr Buch hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck: Dines hat recht, wenn sie sagt, dass es vor allem Männer sind, die an der Pornoindustrie verdienen und dass die Bilder, die diese Industrie hervorbringt, nicht selten frauenverachtend sind. Unstrittig ist wohl auch, dass solche Bilder gefährlich sind, weil sie Einfluss nehmen auf die, die sie konsumieren.
Trotzdem gibt es einiges, das irritiert: Zum einen beschreibt Dines Frauen durchweg als passiv, als Opfer männlicher Interessen und Gelüste. Dass auch Frauen Pornos produzieren, ignoriert sie. Zum anderen ist ihre Perspektive eine exklusiv heterosexuelle. Schwule, trans* oder lesbische Sexualitäten scheinen für sie nicht zu existieren.
Dines widmet das Buch ihrem Mann und ihrem Sohn, und schon diese Widmung ist ein Statement: Die Autorin positioniert sich als Ehefrau und Mutter, und wenn sie mit allergrößter Selbstverständlichkeit immer wieder von "uns" und "unserer Sexualität" spricht, wird klar, dass es ihr letztlich nur um die Sexualität geht, die so ist wie die ihre – heterosexuell und domestiziert.
Gail Dines
Pornland. Wie die Pornoindustrie uns unserer Sexualität beraubt
Aus dem Englischen von Aimée M. Ziegler
Verlag André Thiele, Deutsche Erstausgabe, erschienen 2014
ISBN 978-3-95518-022-5
Euro (D) 19,90www.vat-mainz.de
Weiterführende Links
Pieke Biermann, Frauenforscherin Gail Dines Feldzug gegen Pornografie. Deutschlandradio Kultur, Beitrag vom 20.12.2014
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Beatriz Preciado – Pornotopia
The Feminist Porn Book - herausgegeben von Tristan Taormino, Celine Parreñas Shimizu, Constance Penley und Mireille Miller-Young. Vorwort von Laura Méritt
Myrthe Hilkens - McSex. Die Pornofizierung unserer Gesellschaft und Johannes Gernert - Generation Porno. Jugend, Sex, Internet
Quelle: Verlagstext