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Beitrag vom 24.01.2015
Friederike Mayröcker - Cahier
Philippa Schindler
Fast ein Jahrhundert währt nun schon das Leben der österreichischen Schriftstellerin und Poetin. Pünktlich zu ihrem 90. Geburtstag erscheint im Suhrkamp Verlag der zweite Band ihrer Prosa-Texturen.
"heute morgen das Eintreten in 1 Bewusztseinsleere, so musz das Sterben sein also hing ich an seinen Lippen während er mir ins Herzchen wucherte, indem ich die schöne Wirrnis dieser Welt verlassend..." Diese Zeilen schrieb Friederike Mayröcker, eine der bedeutendsten Schriftstellerinnen unserer Zeit, am 18. Januar 2013 in ihr Journal. Fünfzehn weitere Monate wird sie dieses "Heftchen" noch begleiten, am Ende steht darin eine Welt geschrieben, die auf schimmernde und immer neue Weise in sich zusammenzubrechen scheint, wie das Bild eines Kaleidoskops.
"Gedichte für ungeheure Augen"
"Cahier" nennt sich der zweite Band der Prosa-Triologie, erschienen ist er im Oktober 2014 im Suhrkamp Verlag. Friederike Mayröcker hält darin ihre "fieberhaft verstreuten Gedanken" fest, schreibt an, gegen das Verblassen der Erinnerung und die "Hybris des Alters", durch die sie verzweifelt glaubt, den Verstand zu verlieren. Das Journal aus über 190 Einträgen, beginnend am 19. Dezember 2012 und endend am 19. März 2014, ist eine fragmentarisch-assoziative Berichterstattung aus dem Inneren eines kontemplativen Lebens, in das sich die Schriftstellerin Friederike Mayröcker mehr und mehr zurückgezogen hat.
Leben im Schreiben und nur noch im Schreiben
Dabei befindet sich die Lyrikerin, zumindest literarisch betrachtet, in ausgezeichneter Gesellschaft. In ihren Prosa-Texturen tauchen immer wieder Anspielungen auf den Philosophen Jacques Derrida – den sie fast liebevoll mit den Initialen "JD" anspricht – und den Schriftsteller Jean Paul auf. Der Zeitgenosse Goethes und Meister der Abschweifung inszenierte sein Schreiben oft als Skizzen oder Journaleinträge. Von ihm übernimmt Mayröcker auch den Satz "Ich hasse doch, sogar in Romanen, alles Erzählen so sehr" und vermeidet in ihren Texten auf radikale Weise jede Form des Anekdotischen.
"auf den Spuren meines Liebesgedächtnisses"
Hauptprotagonist ihrer "Verbal-Träume" und Empfänger ihrer Liebesbekundungen ist und bleibt jedoch Ernst Jandl, der ewige Dichterfreund und früh verstorbene Lebensgefährte. Mit ihm lebt Friedericke Mayröcker in der Erinnerung, so scheint es zumindest, wenn sie in "Cahier" erzählt von gemeinsamen Urlaubstagen, den frühen Morgenstunden, im Bett aneinander geschmiegt, und von der unsäglichen Traurigkeit am Ende. "Vorsicht (le kitsch)", erinnert sich die Autorin doch dann sogleich und schwingt sich in Gedanken auf zu einem neuen Faden der Erinnerung. Um ihn aufzuschreiben und dahinter bald schon ein so Mayröcker´sches, rastloses "und so weiter" zu setzen.
AVIVA-Tipp: Friederike Mayröcker sollte so gelesen werden, wie es geschrieben wurde: Mit viel Schwung hinein in die Versenkung. Das dann vorantreibende Gefühl, gleich dort drüben, auf der anderen Seite, lauere der schönste Satz, den wir je gelesen haben, wird belohnt. Ganz bestimmt.
Zur Autorin: Friederike Mayröcker wurde 1924 in Wien geboren. Seit 1956 veröffentlicht sie Gedichte, Prosa, Hörspiele und Kinderbücher. Für ihr Werk erhielt sie zahlreiche Preise, u.a. den Georg-Büchner-Preis (2001), den Hermann-Lenz-Preis (2009), den Peter-Huchel-Preis (2010) und den Bremer Literaturpreis (2011).
Friederike Mayröcker
Cahier
Suhrkamp Verlag, erschienen im Oktober 2014
Gebunden, 192 Seiten
ISBN: 978-3-518-42446-9
19,95 Euro
www.suhrkamp.de
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