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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 06.11.2014


A.L. Kennedy - Das blaue Buch
Julia Lorenz

Lügen, Betrug und Kreuzfahrtromantik: In ihrem siebten Roman konfrontiert die schottische Autorin A.L. Kennedy eine Enddreißigerin mit ihrer Vergangenheit als Geliebte eines dubiosen Magiers ...




...und lässt sie ihren Lebensentwurf überdenken.

Auf der ersten Seite wendet sich das Buch an seine LeserInnen: "Aber hier ist es, das Buch, das du liest. Offensichtlich. Dein Buch - jetzt fängt es an, es ist berührt und aufgeschlagen. Du könntest es anheben, wenn du wolltest, überlegen, ob es wohl mehr wiegt als eine Taube, oder ein Turnschuh, oder wahrscheinlich ein gutes Stück weniger als ein Laib Vollkornbrot. Diese Möglichkeiten bietet es dir."

Mit dem Verweis auf die Fiktionalität ihres Werks, die Beschaffenheit ihres Fantasiekonstrukts beginnt A.L. Kennedy ihren Roman - und ordnet damit die Verhältnisse, bevor sich eine Geschichte entspinnt, in der das Verhältnis von Schein und Sein in Schieflage gerät.

Vom Lügen und Täuschen lebte früher Protagonistin Elizabeth Barber, genannt Beth. Gemeinsam mit dem Magier Arthur Lockwood tingelte sie als vermeintliches Medium durch die Provinz und gaukelte den Angehörigen von Verstorbenen vor, Kontakt mit dem Jenseits aufnehmen zu können. Als sie das Geschäft mit der Trauer mit ihrem Gewissen nicht mehr vereinbaren konnte, ließ sie sowohl ihr Leben als Betrügerin als auch Arthur hinter sich.

Den LeserInnen wird Beth in einer späteren Lebensphase vorgestellt. Die Geläuterte tritt mit ihrem Liebhaber Derek, einem bodenständigen Partner und Langweiler, eine Schiffsreise an - auf einem Kreuzfahrtdampfer, den sonst nur betuchte PassagierInnen mit grauem Haar zu bevölkern scheinen. Noch bevor das Paar den Ozeankreuzer besteigt, trifft Beth auf einen angeblichen Amateurzauberer, der sich rasch als Arthur entpuppt. Dieser verdient sein Geld mittlerweile damit, reiche Witwen mit Tricks um ihr Vermögen zu bringen. Dennoch gerät Beth erneut in seinen Bann, während Derek seekrank im Bauch des Schiffs verschwindet und die Entscheidungen seiner Geliebten im weiteren Romanverlauf kaum zu beeinflussen vermag.

Mittels Rückblenden, Perspektivwechseln und sogar falscher Seitenzahlen - eine Reminiszenz an die Zahlencodes, die Beth und Arthur in ihren fingierten Patiencen zur Kommunikation nutzten - lotet Kennedy auf inhaltlicher und stilistischer Ebene die Grenzen der Wahrhaftigkeit aus. Auf diese kommt es der Autorin nämlich stärker an als auf die Wahrheit, die vorgibt, was objektiv richtig und evident ist: War Beths und Arthurs Liebe wegen oder trotz ihres schwierigen Verhältnisses zur Wahrheit so groß? Belügt sich Beth nicht selbst, seit sie aufgehört hat, hauptberuflich Andere zu belügen?

Der Handlungsort erweist sich dabei als kluge Wahl. Zum Einen bietet das Kreuzfahrtschiff mit seiner skurrilen Besatzung den idealen Rahmen, um Aufrichtigkeit und Heuchelei im menschlichen Miteinander zu beleuchten. Zum Anderen funktioniert das Setting auch auf symbolischer Ebene: Langsam wie ein Schiffskoloss auf dem Ozean bewegt sich Erzählung voran, stets umspült von Beths stream of consciousness. Doch bisweilen überschreitet Kennedy dabei die Grenze zwischen Sprach- und Selbstverliebtheit: Eine Spur zu konstruiert kommen die Exkurse in Beths Innenleben daher, worunter die Leichtigkeit leidet, mit der sich Kennedy die Sprache sonst zu eigen macht.

Trotzdem: Wer sich auf den Stil der Schottin einlassen kann, dem/der wird "Das Blaue Buch" beweisen, dass sich sprachliche Wucht und Fingerspitzengefühl nicht ausschließen müssen.

AVIVA-Tipp: Bis auf die Farbe des Bucheinbandes - der tatsächlich in einem tiefen Blau leuchtet - ist in A.L. Kennedys "Blauem Buch" nichts, wie es scheint. Obwohl Kennedy ihr kluges Psychogramm bisweilen mit Reflexionen und Gedankensprüngen überfrachtet, ist die Schärfe ihrer Sprache, die Eleganz ihres Erzählstils und die Tiefe ihrer Protagonisten bemerkenswert. Ein hintersinnig-schönes Schmuckstück.

Zur Autorin: Alison Louise Kennedy wurde 1965 in Dundee, Schottland, geboren und studierte Theaterwissenschaft im englischen Coventry. Ihr erster Roman "Gleißendes Glück" erschien 2000. Seitdem veröffentlichte sie unter dem Namen A.L. Kennedy zahlreiche Romane und Erzählungen, trat als Stand-Up-Comedian auf und wurde 2007 mit dem Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur ausgezeichnet

Weitere Infos zur Autorin unter www.a-l-kennedy.co.uk

A.L. Kennedy
Das Blaue Buch

Originaltitel: The Blue Book, deutsche Erstausgabe erschienen 2012
Aus dem Englischen von Ingo Herzke
Deutscher Taschenbuch Verlag, erschienen im Juli 2014
368 Seiten.
9,90 Euro
ISBN: 978-3-423-14310-3

Weitere Infos unter www.dtv.de

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