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Beitrag vom 23.06.2014
Andrea Weisbrod - Madame de Pompadour und die Macht der Inszenierung
Gertrud Lehnert
Schönheit und Intelligenz, perfekte Selbstinszenierung und politische Strategie: Eine bürgerliche Frau im 18. Jahrhundert schafft es, die Geschicke eines mächtigen Landes zu regieren.
Madame de Pompadour (1721-1764) ist zweifellos – nach Madame de Maintenon im 17. Jahrhundert - die interessanteste, einflussreichste und vielschichtigste Mätresse am französischen Hof. Es gelang der jung Verheirateten, mit Hilfe ausgeklügelter Strategien die Aufmerksamkeit König Ludwig XIV. auf sich zu ziehen und ihn mit ihrer Schönheit und Intelligenz so in ihren Bann zu schlagen, dass er sie – obgleich sie aus dem Bürgertum stammte – rasch zur "maîtresse en titre" ernannte, also zur offiziell anerkannten Mätresse. Das war seit langem eine Institution am Hof, die von der jeweiligen Königin geduldet werden musste. Die fromme Ehefrau Ludwigs des XV. musste sogar hinnehmen, dass die neue Maitresse en titre zu ihrer Hofdame ernannt wurde, d.h. in ihrem engsten Kreis verkehrte. Freilich musste die schöne Favoritin des Königs ihrerseits dulden, dass ihr Gebieter ständig andere erotische Gespielinnen außer ihr hatte.
Sex allein konnte also nicht die Methode sein, mit der sich die hochgebildete Madame de Pompadour als erste Mätresse überhaupt fast 20 Jahre in einflussreicher Position am Hofe halten konnte, lange über die Zeit hinaus, in der sie eine sexuelle Beziehung zum König hatte. Keiner Mätresse außer Madame de Maintenon, die zur heimlichen zweiten Ehefrau des fromm gewordenen Ludwig XIV. avancierte, war das bisher gelungen. Madame de Pompadour wurde zur unersetzlichen Freundin und Ratgeberin des Königs, und selbst die Kirche konnte dagegen nichts ausrichten.
Von Anfang an agierte sie als kluge Strategin, die ihre eigene Zukunft und das Wohl ihrer Familie und FreundInnen im Auge hatte und dies sehr geschickt mit ihrer Sorge um Frankreich und den König zu verbinden vermochte.
Strategisches Geschick war tatsächlich überlebenswichtig am absolutistischen Hof, in dem man von heute auf morgen ohne Vorwarnung aus der Gunst des Königs fallen und auf immer verbannt werden konnte. So hing alles davon ab, dass die Menschen sich ein engmaschiges Netzwerk schufen, mit dessen Hilfe sie die Kontrolle behalten und sich Unterstützung verschaffen und GegnerInnen ausschalten konnte.
Was uns heute als Leben in Luxus und Schönheit erscheinen mag, war also tatsächlich harte Arbeit, die die Gesundheit der Pompadour nachhaltig schädigte und zu ihrem frühen Tod beitrug.
Betrachtet die Leserin die Portraits, die sie von sich anfertigen ließ, wird erst bei genauem Hinsehen sichtbar, dass sie keineswegs nur eine müßige Schönheit in prächtiger Kleidung zeigen, sondern dass sie buchstäblich als Stationen einer groß angelegten Marketingkampagne gelesen werden können. Das tut die Pompadour-Spezialistin Andrea Weisbrod in ihrem schönen Buch, das zugleich zum Lesen und zum Schauen einlädt. Die neun großen Porträts markieren die Stationen der Biographie, und so ist das Buch auch gegliedert – eine wunderbar anschauliche Methode des Erzählens. Lässt sie sich zunächst vom Hofmaler François Boucher als reizende, elegante und kultivierte junge Schönheit darstellen, so zeigt ein Gemälde von Quentin Delatour sie 1755 als hochgebildete und aufgeklärte Frau an ihrem Schreibtisch, Musiknoten in der Hand, dicke Folianten auf dem Tisch, ein Globus daneben – nicht die Rolle, die ihr offiziell zugestanden wurde. So zeigt das nächste große Porträt sie als vorrangig schöne, erotisch attraktive Dame im Luxus ihres Boudoirs bei der Lektüre eines nur noch kleinen Büchleins, also vermutlich eines Romans und keinesfalls mehr gelehrter Werke. Über und über mit Rosen bedeckt ist ihr blaues Kleid, Rosen liegen zu ihren Füßen – Sinnbild der Liebe, und der kleine Hund ist Sinnbild der Treue. Die ehrgeizige "Wissenschaftlerin" mit politischem Anspruch ist hier für das Publikum wieder zur Mätresse und damit scheinbar ungefährlich geworden. Sogar die politisch opportune Verwandlung der Liebesbeziehung zum König in eine enge Freundschaft wurde den Zeitgenoss_innen über allegorische Bilder verschlüsselt mitgeteilt.
Am Ende (auf dem Bild von Drouais von 1763/64) steht eine gealterte, noch schöne und sehr mächtige Frau, die immer noch die Fäden in der Hand hat. Jahrzehntelang traf der König kaum eine Entscheidung ohne ihren Rat, sie entschied nicht nur über Gunst und Verstoßung anderer, sondern auch über Krieg und Frieden. Entsprechend wurde ihr vorgeworfen, sie habe Frankreich in den Ruin getrieben. Auch ihre Verschwendungssucht war ständiges Thema, und in der Tat ließ sie sich ein Schloss nach dem anderen bauen und war oft verschuldet.
Kaum eine andere Frau des 18. Jahrhunderts hatte derart viel Macht – von den Königinnen abgesehen. Madame de Pompadour war die erste Bürgerliche, der ein solcher Aufstieg gelang. Dass sie dabei die mittlerweile als klassisch geltende Strategie wählte, mit "typisch" weiblichen Mitteln wie sexueller Verführung Einfluss über den entsprechenden Mann zu gewinnen und auf diese Weise indirekt zu herrschen, darf ihr nicht vorgeworfen werden. Eine andere Möglichkeit gab es in jener Zeit für eine Frau ihrer Herkunft nicht und lag überhaupt noch lange nicht im Bereich des Denkbaren. Im Hinblick auf strategisches Vorgehen, auf Netzwerken und Imagepflege kann sie jedenfalls auch heute noch als vorbildlich gelten.
Zur Autorin: Andrea Weisbrod, 1966 geboren, ist Historikerin und Kunsthistorikerin, lebt als freie Autorin und Journalistin mit ihrer Familie in Paris und hat sich bereits in ihrer 2000 veröffentlichten Doktorarbeit intensiv mit der politischen Rolle von Mätressen im Frankreich des 18. Jahrhunderts allgemein und insbesondere mit Madame de Pompadour beschäftigt.
AVIVA-Tipp: Der kleine, feine AvivA-Verlag präsentiert zum 250. Todestag der berühmten Madame de Pompadour ein gleichermaßen unterhaltsames wie informatives Buch, das zudem noch eine Augenweide ist. Schöne Gestaltung, Bilderdruckpapier, hochwertige ganzseitige Abbildungen der berühmten Porträts der Marquise und ein kluger Text: eine passende Erinnerung an das 250. Todesjahr der unwiderstehlichen Marquise und ein unbedingt empfehlenswertes Buch für die Gegenwart.
Andrea Weisbrod
Madame de Pompadour und die Macht der Inszenierung
AvivA Verlag, erschienen 2014
208 Seiten, gebunden, vierfarbig, mit 10 farbigen Abbildungen
ISBN 978-3-932338-61-8
Euro 19,90
www.aviva-verlag.de