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Beitrag vom 19.05.2014
Melitta Breznik - Der Sommer hat lange auf sich warten lassen
Helga Egetenmeier
Mit ihrem zweiten Roman begibt sich die Ärztin und Autorin auf eine fast hundert Jahre umspannende Familienreise. Die Ereignisse der österreichischen Revolution von 1934 in Kapfenberg, dem...
... Geburtsort von Melitta Breznik, sind eine prägende Station für den vom kommunistischen Kind zum nationalsozialistischen Wehrmachtssoldaten gewandelten Mann Max, welche auch die Lebensläufe seiner Frau und seiner Tochter bestimmen.
Mit der wohl durchdachten Flucht der 90jährigen, im Rollstuhl sitzenden, Margarethe aus ihrem Pflegeheim in Basel, wird die LeserIn langsam in die Familiengeschichte eingeführt. Sie möchte sich mit ihrer in London lebenden Tochter versöhnen und hat sich deshalb in ihrem Geburtsort Bergen-Enkheim, den sie als junge Waise verlassen musste, mit ihr verabredet. Während der langen Fahrt im ICE lässt Margarethe ihr Leben Revue passieren.
"Es gibt vieles, worüber ich mit ihr reden möchte, ..."
"...bevor ich keinen Zugang zu ihren Geschichten und denen meines Vaters mehr habe, unwiederbringlich dann, wenn sie all das mit sich ins Grab nimmt." Mit diesen Gedanken bereitet sich die als Modedesignerin erfolgreiche Tochter Lena auf ihr Zusammentreffen mit der Mutter vor. In überwiegend inneren Monologen lässt Melitta Breznik ihre zwei Protagonistinnen ihr Leben vorstellen. Innerhalb der langen Sätze wechseln Ort und Zeit und ziehen damit die LeserIn in die assoziativen Gedankengänge der Beiden hinein.
Während sich die zwei Frauen langsam ihrem Treffpunkt nähern, reflektieren sie ihre Familiengeschichte, die sich um den schmerzvoll empfundenen Selbstmord von Max, dem Mann und Vater, dreht. Aus einem Schutzbedürfnis gegenüber der jugendlichen Tochter heraus hatten die Eltern ihr nie die wahren Gründe der Trennung offenbart. Lena zog sich deshalb von der Mutter zurück und stellt im fortgeschrittenen Alter nun irritiert Ähnlichkeiten mit ihr fest.
"Dieser Krieg, der ständig unter der intakt anmutenden Oberfläche zum Vorschein kam." beunruhigte den Arzt, der Max wegen seiner Depressionen in den 60er Jahren behandelte.
Dieser Krieg, den der Vater am eigenen Körper schon ängstlich spürte, als er 1934 zusammen mit seinem Bruder als kommunistisches Schutzbundkind nach Moskau fliehen musste, da sein Großvater von den Faschisten ermordet worden war . Dieser Krieg, den wir aus heutiger Sicht schon 1934 nahen sehen, als sich die Mutter mit quälender Leichtigkeit von den Kinder verabschiedet.
Ein paar Jahre später kommen die beiden Jungen zurück nach Kapfenberg und gehen einige Zeit danach als Jugendliche mit den Nationalsozialisten in den Zweiten Weltkrieg. Max wird nach Griechenland versetzt, von der schönen Landschaft schwärmt er später seiner Frau vor und verdrängt seine traumatischen Erlebnisse . Als er zwei Jahre nach Kriegsende aus der englischen Gefangenschaft zurück nach Wien kommt, lernt Margarethe ihn kennen und sie heiraten. Glückliche Jahre mit der gemeinsamen Tochter Lena folgen und erst durch einen Unfall wird der Vater tief in seine gut verdrängten Kriegserlebnisse hinab gezogen.
Wie bereits in ihren drei Erzählungen, sowie in ihrem Debütroman "Nordlicht", setzt sich die Autorin Melitta Breznik auch in ihrem neuen Roman mit dem Einfluss politischer Entwicklungen auf individuelle Lebenswege auseinander. Unaufdringlich, jedoch konsequent, stellt sie dabei weibliche Lebensentwürfe und Frauengeschichten in den Mittelpunkt. Mit "Der Sommer hat lange auf sich warten lassen" nimmt sie dazu einen mehrere Generationen übergreifenden Blick ein. Nur am Rande zur Sprache kommen dabei die bildungsbürgerlichen und ökonomisch abgesicherten Verhältnisse der Hauptfiguren, die im unauffällig beschriebenen Patriarchat leben.
AVIVA-Tipp: Ernst und gleichzeitig liebevoll breitet die Autorin eine komplexe Familiengeschichte aus, die eng an ihren Protagonistinnen bleibt, mit gekonnt formulierten Sätzen deren Gedankensprünge nachvollzieht und dadurch eine gedämpfte Lebhaftigkeit verbreitet. Der flott lesbare Roman drängt sich durch seine universell angelegten Beziehungsstrukturen in das Leben - darauf sollte die LeserIn gefasst sein.
Die Autorin: Melitta Breznik wurde 1961 in Kapfenberg (Steiermark) geboren. Sie studierte Medizin in Graz und Innsbruck und ist Fachärztin im Bereich Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik. Ihre Erfahrungen als Ärztin hat sie in ihren Erzählungen und Romanen verarbeitet. Sie lebt in Basel und Zürich.
Melitta Breznik
Der Sommer hat lange auf sich warten lassen
Luchterhand Literaturverlag, erschienen im September 2013
Gebundenes Hardcover mit Schutzumschlag, 251 Seiten
ISBN-13: 978-3630873985
19,99 Euro
www.randomhouse.de
Diesen Titel können Sie online bestellen bei FEMBooks
Weitere Infos unter:
Interview mit Melitta Breznik auf der Frankfurter Buchmesse 2013 www.3sat.de
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