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Beitrag vom 12.05.2014
Chaim Noll - Die Synagoge
Susann S. Reck
Im Zentrum des in Ostberlin geborenen und in Israel lebenden Schriftstellers neuem, vielschichtigen Roman, steht Holly, ein ebenso labiler wie aggressionsgeladener Kriegsdienstverweigerer aus Israel
Die Synagoge in der Wüste
Chaim Noll erzählt von einem kleinen Ort in der israelischen Wüste während der Intifada. Seine BewohnerInnen sind Juden/Jüdinnen und einige ChristInnen. PalästinenserInnen werden als Arbeitskräfte zum Hausbau herangezogen. Mit den BeduinInnen stehen die BewohnerInnen auf freundschaftlichem Fuß. Neben Instituten der Universität, Forschungslaboren und einer Militärbasis, gibt es an dem Ort auch das Grab eines berühmten Politikers. Für die AkademikerInnen, Intellektuellen, KünstlerInnen und Verwaltungsangestellten, die den Großteil der EinwohnerInnenschaft ausmachen, spielt Religion kaum eine Rolle. Die schöne, ungewöhnliche große Synagoge des Ortes bleibt meistens leer, selten kommt am Schabbat ein Minjan zustande.
Der Provokateur
Schrittweise führt Chaim Noll in den entschleunigten Rhythmus des Wüstenortes ein, in seine Abgeschiedenheit, die von den dort Lebenden als etwas Besonderes angesehen wird. Anhand von Perspektivwechseln verschafft er der LeserIn Einblick in ihre Biographien, ihren Alltag. Wie trügerisch das tolerante Miteinander an dem abgelegenen Ort jedoch ist, entpuppt sich an Holly, einem jungen Mann, der sich als jugendlicher Kriegsdienstverweigerer an den Rand, sowohl der Wüstenort-, als auch der gesamten israelischen Gesellschaft, katapultiert hat. Holly ist nach einer langen Europareise mit Depressionen und Aggressionsschüben in die Wüste zurückkehrt. Auf ihn, das wird schnell offenkundig, sind die Ereignisse zurückzuführen, die am 9. November über den Ort hereinbrechen und das gemächliche Leben dort empfindlich stören.
Umgang mit TäterInnen
Mit Holly beschreibt Noll die Figur eines jungen Israeli, dessen kriminelle Handlungen sich explizit gegen den israelischen Staat richten. Er zwingt die anderen im Ort, mit ihm als Nestbeschmutzer umzugehen, und, im Hinblick auf seine Taten, Position zu beziehen. Er konfrontiert sie mit seiner an Selbsthass grenzenden Aversion gegen das Judentum und lotet damit die Grenzen möglicher Toleranz aus.
Der Umgang der israelischen Gesellschaft mit seinen ProvokateurInnen und KritikerInnen ist sicherlich das brisanteste Thema, das in Chaim Nolls neuem Roman Die Synagoge zu finden ist. Inwieweit diese sich einer ebenso notwendigen wie auch kontroversen Diskussion entzieht, indem sie den jungen Täter pathologisiert, lässt der Autor offen.
Zum Autor: Chaim Noll wurde 1954 als Hans Noll in Ostberlin geboren. Er studierte Kunst und Kunstgeschichte in Ostberlin, verweigerte den Wehrdienst in der DDR und reiste 1983 nach Westberlin aus. Seit 1995 lebt er in Israel in der Wüste Negev. Chaim Noll unterrichtet neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit an der Universität Be´er Sheva.
Mehr zu Chaim Noll auf seiner Website: www.chaimnoll.com
Veröffentlichungen
Der Abschied (1985), Nachtgedanken über Deutschland (1992), Die Wüste lächelt (2001), Meine Sprache wohnt woanders. Gedanken zu Deutschland und Israel (mit Lea Fleischmann, 2006), Der Kitharaspieler (2008), Der goldene Löffel (2009), Feuer (2010), Kolja. Geschichten aus Israel (2012)
Chaim Noll
Die Synagoge
Verbrecher Verlag, erschienen März 2014
Leinen mit Lesebändchen, 448 Seiten
Preis: 29,00 Euro
ISBN: 9783943167771
Lesungen von Die Synagoge mit Chaim Noll unter:
www.verbrecherverlag.de
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
Meine Sprache wohnt woanders. Gedanken zu Deutschland und Israel (mit Lea Fleischmann, 2006)
Der Kitharaspieler (2008)