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Beitrag vom 09.03.2014
Jutta Ditfurth - Der Baron, die Juden und die Nazis. Reise in eine Familiengeschichte
Angelina Boczek
Die als kämpferisch bekannte Jutta Ditfurth hat ein fulminantes Buch geschrieben über Teile ihrer adligen Familie, in dem sie detailreich und exemplarisch belegt, wie enorm antisemitisch...
... der deutsche Adel eingestellt war, lange vor 1933.
Trotz aller Forschung zum Nationalsozialismus, trotz aller bisherigen Veröffentlichungen zu diesem offensichtlich unerschöpflichen Themenkomplex, schließt diese Arbeit von Jutta Ditfurth eine Lücke, die nochmals erschreckende Erkenntnisse zu Tage fördert.
Die Autorin untersucht zunächst allgemein die Einstellung adliger Menschen zum "Wahnbild über die Juden" ab der Zeit 1811-1815. In den Mittelpunkt rückt dann der Werdegang des Urgroßonkels der Verfasserin, Börries von Münchhausen, bekannt als Balladendichter, später tat er sich hervor als Rassen-Ideologe: "Die Frage der Reinrassigkeit des Adels ist als die allerwichtigste Frage unseres ganzen Volkes anzusehen." (1924).
Anhand seiner Lebensgeschichte zeigt Jutta Ditfurth u.a., welche (Vorbild-)Funktion die traditionelle Ablehnung von Juden, auch am deutschen Kaiserhof, hatte und wie sie sich auswirkte auf politische, kulturelle, rechtliche Entscheidungen. Obwohl Münchhausen zeitweise mit dem Künstler Ephraim Moses Lilien befreundet war, beendete seine, nicht zuletzt grundsätzliche antisemitische Einstellung, die Fortführung der Freundschaft.
Jutta Ditfurth fand überaus zahlreiche Belege für ihre Darstellungen auch im Familienerbe: "Meine Urgroßmutter Gertrud von Raven-Beust schrieb wie die meisten adeligen Damen zeitlebens viele Briefe. Ein Teil ihrer Korrespondenz mit rund zwei Dutzend Verwandten blieb erhalten. In diesen Briefen meiner Verwandtschaft enthüllt sich gegenüber der Weimarer Republik und den Juden todfeindlich eingestelltes Denken, das für den Adel insgesamt charakteristisch ist."
Die teils drastische Sprache, die Jutta Ditfurth benutzt, ist dem Gegenstand ihrer Untersuchungen angemessen. Bei aller Sachlichkeit finden sich Begriffe und Beschreibungen, die den Ernst der Ausführungen unterstreichen, u.a. in dieser Passage: "Die Zahl der Adligen, die die Juden n i c h t ablehnten und die Weimarer Republik n i c h t auf den Scheiterhaufen wünschte, war in Wahrheit winzig. Dass später die adligen Mitglieder des ´20. Juli 1944´ allesamt tapfere Demokraten und niemals lebensgefährliche Gegner der deutschen und europäischen Juden gewesen sein sollen, ist ein überaus erfolgreicher Nachkriegsmythos. Dahinter versteckt sich ein großer Teil des sogenannten Adels bis heute".
Diesem "Mythos" widmet sie das Schlusskapitel. Schade, denkt sich LeserIn, der deutsche Widerstand, in neueren Heldenfilmen glorifiziert, als kleine, tröstliche Vorstellung auch dahin, selbst die Männer und Frauen des 20. Juli waren von antisemitischer und faschistischer Gesinnung.
AVIVA-Tipp: Spannend geschrieben, mit zahlreichen Abbildungen und einem großen Anmerkungs- und Quellen-Teil. "Der Grund für dieses Buch liegt in der kritisch-historischen Auseinandersetzung mit dem sozialen Milieu, in das ich zufällig hineingeboren wurde" (aus der Danksagung am Schluss). Ihren adligen Namen, Jutta von Ditfurth, benutzt sie nicht, schon mit 18 Jahren lehnte sie eine Aufnahme in den Adelsverband ab.
Zur Autorin: Jutta Ditfurth wurde 1951 in Würzburg geboren. Sie arbeitet als Soziologin, Publizistin und politische Aktivistin, u.a. als Forscherin und Reporterin in Großbritannien und den USA. Sie war einst Bundesvorsitzende der Grünen, trat aber 1991 aus der Partei aus, nicht ohne weiterhin politisch aktiv zu sein. Bisher veröffentlichte sie 16 Bücher und beteiligte sich in der Öffentlichkeit häufig an brisanten Debatten.
Die Autorin im Netz: www.jutta-ditfurth.de
Jutta Ditfurth
Der Baron, die Juden und die Nazis. Reise in eine Familiengeschichte
Hamburg, Hoffmann und Campe Verlag, erschienen 2013
Gebundener Kartonband 395 Seiten mit zahlreichen Schwarzweiss-Abbildungen
ISBN 978-3455-50273-2
Euro 21,99
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