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Beitrag vom 08.07.2013
Maria Braig (Hg.) - Jetzt bin ich hier. Anthologie
Claire Horst
Ursprünglich war eine Anthologie mit Texten von Flüchtlingen geplant, schreibt die Herausgeberin in ihrem Vorwort. Es ist mehr als das geworden, nämlich eine Textsammlung zum Thema Migration und...
... Flucht.
Einige der Texte stammen wie beabsichtigt von AutorInnen, die aus ihrer Heimat fliehen mussten. Andere AutorInnen haben einen wie auch immer gearteten "Migrationshintergrund". Dementsprechend unterschiedlich sind die Herangehensweisen an die Thematik.
Ein Teil der Beiträge entstand in Schreibwerkstätten mit Flüchtlingen: in einem Berliner Projekt der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF) und in Kursen des Evangelischen Bildungswerks Dortmund. Diesen Texten sind der Schmerz und die tiefe Trauer, oft auch die Traumatisierung der VerfasserInnen anzumerken. Teilweise sind es sehr junge AutorInnen, die über ihre Verlusterfahrungen, über die Sehnsucht nach der eigenen Familie oder über ihre Hoffnung auf eine bessere Zukunft schreiben. Erschütternd ist gerade die Macht dieser Hoffnung, der Wille, sich zu Hause zu fühlen in einem Land, das viele dieser Kinder über Jahre und Jahrzehnte ohne gesicherten Aufenthaltsstatus leben lässt. "Am Ende möchte ich sagen: Am Ende wird alles gut. Wenn noch nicht alles gut ist, dann ist das nicht das Ende." Mit dieser märchenhaften Formel scheint der 20-jährige Autor Waheed Tajik sich Mut zu machen, den er auch dringend brauchen kann, denn er lebt allein in Deutschland. Seine Familie ist in Griechenland.
Herzzerreißend ist es, wenn etwa Nejad von seinem Traum schreibt, ein Land zu finden, in dem "Frieden und Zärtlichkeit" selbstverständlich ist. "In diesem Land fragt niemand nach deinem Geschlecht. Niemand fragt dich, ob du Mädchen oder Junge, Frau oder Mann bist. Niemand fragt, ob du hetero-, trans- oder homosexuell bist. Niemand fragt nach deinen Eigenschaften, nach deinen Gewohnheiten, nach deinem Lebensstil und niemand bestimmt dein Leben." Ein wenig Fantasie genügt, um sich vorstellen zu können, aus welchen Erfahrungen heraus solche Geschichten entstehen. Und dass der Autor dieses Land des Friedens in Deutschland nicht gefunden hat, versteht sich von selbst.
Es sind sehr starke Texte darunter wie der des ehemaligen Asylbewerbers Mohammad Ali Gharagozlou, dessen erzähltes Ich nur noch Erinnerungen an seinen verstorbenen Vater hat, "Erinnerungen, die ich zufällig in der Schatulle meines Körpers namens Hirn gefunden habe. Sie sind zum Teil verstaubt und nicht mehr identifizierbar." Andere AutorInnen kämpfen noch um eine Ausdrucksmöglichkeit, kämpfen mit der Unmöglichkeit, das Erlebte in Worte zu fassen. Zutiefst berührend sind auch diese Kurzgeschichten und Gedichte. Die Texte erzählen von Verfolgung und körperlicher Gewalt, von Fluchterfahrungen, von Schleppern und Abhängigkeit, aber auch von der ganz alltäglichen Einsamkeit deutscher und nichtdeutscher Seniorinnen.
Die Zusammenstellung der Texte wirkt teilweise etwas willkürlich – der Aufsatz des ruandischen Sozialwissenschaftlers Emmanuel Ndahayo über afrikanische religiöse Gemeinden hätte einen Platz in einer wissenschaftlichen Sammlung verdient und verliert sich zwischen den belletristischen Texten etwas. Andererseits ist diese Vielfalt vielleicht auch gewollt. Denn sie zeigt, wie unterschiedlich die Geschichten der Flüchtlinge in Deutschland sind. Auch, dass manche Biografien aus der Außenperspektive erzählt werden, hat Vor- und Nachteile. So kommt die kosovarische Familie Krasniqi im Gespräch mit einer außenstehenden Autorin zu Wort. Das ermöglicht es, die Stimmen aller Familienmitglieder zu hören. Zugleich ist die Chance vertan, sie unkommentiert erzählen zu lassen.
AVIVA-Tipp 30 Prozent des Verkaufserlöses gehen an Exil e.V., ein Osnabrücker Projekt, das Flüchtlinge unterstützt. Aber nicht nur dieser Zweck spricht dafür, das Buch zu kaufen. Es erlaubt auch einen ungeschönten Einblick in die Lebenswelt der AutorInnen, eine Perspektive, der viel zu wenig Raum geboten wird. Selbst die Tatsache, dass anscheinend nicht ausreichend Texte gefunden wurden, die von Geflüchteten selbst verfasst wurden, zeigt ja, dass diese kaum eine Stimme haben. AsylbewerberInnen haben in Deutschland keinen Zugang zu Sprachkursen, leben meist abgeschieden von den Städten und verfügen oft auch nicht über Zugang zu Internet oder Zeitungen. Braig wird sich weiterhin dafür einsetzen, dass ihre Geschichten dennoch gehört werden. Sie plant eine weitere Anthologie, diesmal zum Thema Abschiebung.
Zur Herausgeberin: Maria Braig wurde 1957 geboren. Sie studierte Germanistik, Theaterwissenschaft, Geschichte und Empirische Kulturwissenschaft und arbeitete als Lektorin, Versandhändlerin und Redakteurin. Sie ist heute LKW-Fahrerin, Texterin und freie Autorin. Braig engagiert sich seit vielen Jahren in der Umwelt- und Friedenspolitik, sowie in der Asyl- und Menschenrechtsarbeit.
(Quelle: Verlagsinformationen)
Maria Braig
Jetzt bin ich hier. Anthologie
Verlag 3.0
Erschienen am 20. Juni 2013 (Weltflüchtlingstag)
ISBN: 978-3-944343-64-8
14,80 Euro (33% des Erlöses gehen an das Osnabrücker Zentrum für Flüchtlinge, Exil e.V.)
Diesen Titel können Sie online bestellen bei FEMBooks