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Beitrag vom 24.06.2013
Frauen, Philosophie und Bildung im Zeitalter der Aufklärung – herausgegeben von Sabine Koloch
Ingeborg Morawetz
"Die aufklärerische Frau war Teil eines Wirklichkeitsbildes, das sie gleichrangig mit den Männern prägte" - diese Schlusssätze des Vorwortes machen neugierig auf Kolochs Sammelband zur gelehrten...
... Weiblichkeit einer bewegten Epoche.
Das Zeitalter der Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert wird oft als Epoche der Anfänge und Umschwünge interpretiert. Neben dem Wissensdurst und der Forschung zu Ätiologien und Ontologien vollzogen sich viele praktische Veränderungen: die universale GelehrtInnensprache Latein wurde von herkömmlichem Deutsch und in gehobenen Kreisen auch von Französisch abgelöst, Schulbesuche wurden Pflicht und die Alphabetisierungsrate stieg stark an.
Von dieser Entwicklung profitierten alle BürgerInnen im deutschen städtischen Sprachraum, seit langem tradierte Strukturen konnte sie jedoch von heute auf morgen nicht verändern.
Frauen war zur Zeit der Aufklärung eine Rolle am Rande der Gesellschaft zugewiesen: ihr Refugium waren zumeist Heim und Herd, die Kindererziehung und der Haushalt. Sie fanden ihren Platz an der Seite eines Mannes, gingen in ein Kloster oder Frauenstift oder lebten bis ins hohe Alter im Hause ihrer Eltern. Von der Welle der Aufklärung erfasst, wurde auch ihnen Zugang zu Wissen und Lektüre teil, denn verboten war der weiblichen Bevölkerung weder das Lernen noch das Lesen.
In dem Sammelband "Frauen, Philosophie und Bildung im Zeitalter der Aufklärung" herausgegeben von der Geschichtswissenschaftlerin Sabine Koloch schildern zehn Aufsätze, wie sich Frauen verhielten, denen diese Zeit des universitären, alltäglichen und philosophischen Umbruchs keinen gesonderten Platz zudachte.
Das Werk ist in vier Hauptkapitel gegliedert, die mit "Bildungspioniere", "Wissenskulturen und Wissenstransfer", "Produzentinnen und Adressatinnen philosophischen Wissens" und "Philosophisch gebildete Frauen" überschrieben sind. Sie enthalten jeweils zwei bis drei Aufsätze verschiedener AutorInnen. Die Anordnung der Beiträge scheint dem gesellschaftlichen Verständnis zur Zeit der Aufklärung zu folgen: der Männerblick auf die philosophierende Frau, nachvollzogen über Schriftzeugnisse, steht zu Beginn, den Abschluss bildet der "innere Blick", die Dokumentation der Privatbibliothek der Landgräfin Caroline von Hessen-Homburg.
Die im 17. und 18. Jahrhundert vorherrschende und damit auch hauptsächlich überlieferte Sichtweise war die des Mannes. Er durfte Ämter bekleiden und Entscheidungen treffen, seine Schriften wurden archiviert und publiziert. So beginnt auch diese Sammlung mit einem Aufsatz von Hanspeter Marti über Betrachtungen des innovativen und radikalen Aufklärers Christian Thomasius zur Frauenbildung. Thomasius, ein Provokateur, sprach sich für "gelehrte Damen" aus - eine Polarisierung, die nicht nur seine Toleranz, sondern auch oder vor allem sein politisches Geschick bewies. Denn Frauen waren nicht nur die nicht-universitär vorgeprägte Gruppe, an welcher der aufklärerische Geist seine Überzeugungskraft testen konnte, sondern ließen sich als unbeschriebenes Blatt auch für diverse Belange argumentativ instrumentalisieren.
Das Gefälle von androzentrischer Perspektive bis hin zur Analyse genannter Privatbücherei einer "der ausgebildetsten Damen" durch Anke Bennholdt-Thomsen und Alfredo Guzzoni wird im gesamten Sammelband beibehalten. Es ist steil und thematisch umfassend. Bekleidet wird es unter anderem von Beiträgen zum "cartesianischen Feminismus", philosophischen Überlegungen zur "Gelehrsamkeit der Frau", Einführungen in Lehrbuchproduktion und -vulgarisierung und zur Rolle der Frau in Wissensgesellschaften.
Die nicht geringe Menge an Informationen zum wissenschaftlichen und philosophischen Alltag in der Zeit der Aufklärung trägt dazu bei, diese zur weiblichen Bildung in einen ersten, aber bei weitem nicht vollständigen Rahmen setzen zu können. Nach der Lektüre sind den LeserInnen mit den wichtigsten LiteratInnen und Lektüren, Bildungsgemeinschaften und Gebräuchen vor allem in der Mitte des 18. Jahrhunderts bekannt.
Die zahlreichen, wegen der ungenügenden Überlieferungslage oft lückenreichen Kurzbiographien gebildeter Frauen im letzten Hauptkapitel bieten nur dem geschulten Auge Aufschlussreiches: die Zusammenstellung von ausgewählten Pionierinnen und hervorstechenden Frauenschicksalen mutet interessant an, ist aber hauptsächlich für mit der Fragestellung vertraute LeserInnen ergiebig. Auch die schier endlosen Auflistungen der Buchbestände eines Frauenstifts und eben jener gräflichen Bibliothek können trotz Fazit nur die aufmerksamen und konzentrierten LeserInnen zu eigenen Schlüssen führen.
Nicht dem Verschulden der Herausgeberin ist es zuzuschreiben, dass nur dargestellt werden kann, was auch dokumentiert wurde. So fielen Frauen, die weder für ihre Verdienste geehrt, noch durch ihre Ehemänner gefördert wurden oder die in armen Verhältnissen aufwuchsen, oft durch das Raster schriftlicher Chronik. Diese jedoch, deren Leistung offiziell anerkannt werden konnten, versetzten die damals durchgängig männlichen Universitätsriegen in Erstaunen und waren in einer Epoche des Wandels oft das Züngelchen an der Waage.
So war Anna Christina Ehrenfried von Balthasar, die von ihrem Vater zu einem Wunderkind erzogen wurde, Wegbereiterin für die Mitgliedschaft von Frauen in kulturellen Vereinigungen. Bereits im Alter von dreizehn Jahren hielt sie Vorträge und schrieb Gedichte, mit fünfzehn wurde sie als erste Frau in die Deutsche Gesellschaft zu Jena aufgenommen und zur "Kayserlich gekrönten Poetin" gekürt. Nach dem Eintritt in die Ehe versiegte ihr Schaffensdrang. Dass sie zuvor jedoch in den Reihen der Jenaer Gesellschaft akzeptiert worden war, ebnete vielen nach ihr kommenden Frauen den Weg. Nur wenige Jahre später standen weiblichen Mitgliedern Tür und Tor offen. Unter den Herren dieser Gesellschaft galt es beinahe als schick, gebildete Frauen, die sehr geachtet wurden, in ihren Kreisen willkommen zu heißen. Mehrfach ist in Briefen Unverständnis darüber zu lesen, dass einer gelehrten Dame etwas versagt bleiben sollte, was intellektuell gleichgestellten Männern erlaubt war. Frauenbildung wurde geschätzt und gefördert, das soziale Modell ließ aber nur über Umwege und nach langem Ringen offizielle Zugeständnisse an ihre Kompetenzen zu.
Vor allem die Zielsetzung des Wissenserwerb war eine andere als bei männlichen Gelehrten: die Frau sollte Wissen rein praktisch anwenden und durch ständiges Studium die gepflegte Konversation und ihren Alltag perfektionieren.
Einige Frauen nutzten ihre dem gesellschaftlichen Leben zugedachte Bildung, um im Stillen Einfluss auf politisches Geschehen zu nehmen, so auch die Landgräfin Caroline von Hessen-Homburg. Manche Ehefrau stand ihrem gebildeten Mann bei und übernahm wissenschaftliche Aufgaben, die von reinen Übersetzungen bis zum Verfassen von ganzen Werken reichten. All das geschah nicht unter eigenem Namen, der Schatten der Männer - ob Ehemänner, Väter oder Brüder - bot den Frauen einen Schutz, den sie oft dankbar annahmen. Nur zu gut wussten sie, dass sie dann ungestört am produktivsten sein konnten, wenn niemand sie aufgrund ihres Geschlechts hinterfragte. Diejenigen, die sich offen zu ihren Schriften bekannten, mussten oft mit harter Kritik rechnen, empfingen aber auch Lob. Fern von Gelegenheitsgedichten und adretten Reden schuf die Französin Émilie de Châtelet das Studiumsbuch der Physik Institutions de physique, das in mehrere Sprachen übersetzt wurde und allgemeine Anerkennung erntete. Sie war deutschen Schriftstellerinnen, wie etwa Luise Gottsched, Vorbild und Ikone.
Die Aufsätze in "Frauen, Philosophie und Bildung im Zeitalter der Aufklärung" fügen sich passend ineinander und öffnen verschiedene Betrachtungsweisen, deren Bezug zum Titel des Werkes sich aber oft erst sekundär erschließt. Wer über keinerlei Vorkenntnisse über die spannende Epoche der Aufklärung verfügt, kann wegen der sehr detaillierten Informationen und der raschen Perspektivenwechsel zwischen den Beiträgen schnell den Faden verlieren. Zudem werden Lücken über bestimmte Konventionen und Regularien der Zeit nicht explizit geschlossen, teils aus fehlender wissenschaftlicher Faktengrundlage, teils aus der Adressierung an dem Thema vertraute LeserInnen.
Beendet wird der Band jedoch mit einem zufriedenstellenden Überblick zum Sachgebiet die Lektüre. Anekdoten und Originalzitate schaffen Lebendigkeit, und zahlreiche Fußnoten geben Anregungen zum Weiterlesen.
AVIVA-Tipp: Der Klappentext wendet sich an Philosophie-, Literatur-, und SozialhistorikerInnen, Pädagoginnen und KulturwissenschaftlerInnen. Diese Empfehlung ist ernst zu nehmen. Für wissenschaftliches Arbeiten ist der Sammelband eine Goldgrube. "Frauen, Philosophie und Bildung im Zeitalter der Aufklärung" ist außerhalb des akademischen Diskurses beschwerlich zu lesen, die Publikation lässt jedoch auch für LeserInnen ohne entsprechende Vorbildung vor allem unter den abgedruckten Briefen und Gedichten viel Interessantes finden.
Zur Herausgeberin: Sabine Koloch studierte Germanistik, Geschichtswissenschaften und Kunstgeschichte. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören kulturwissenschaftliche Genderforschung und unbekannte frühneuzeitliche Texte von, für und über Frauen.
Sabine Koloch (Hg.): Frauen, Philosophie und Bildung im Zeitalter der Aufklärung
trafo Wissenschaftsverlag, Juni 2010
Taschenbuch, 315 Seiten
ISBN-13: 978-3896269584 29,80 Euro
www.trafoberlin.de
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