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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 30.10.2012


Königskinder - Erica Fischer
Eva Pfister

Von ihrem Schicksal war bisher wenig bekannt: 2000 Flüchtlinge aus Nazideutschland und dem besetzten Österreich, die große Mehrheit unter ihnen Juden, wurden im Juli 1940 als Gefangene von ...




... England nach Australien deportiert und dort in einem Lager im Outback eingesperrt. Einer von ihnen war der Vater der Schriftstellerin Erica Fischer, die jetzt in ihrem Roman "Königskinder" von der Emigration ihrer Eltern erzählt.

England hat sie zuerst großzügig aufgenommen, die Juden, Kommunisten und andere Antifaschisten aus Deutschland, Österreich und Italien. Aber im Juni 1940, als die Deutschen sich daran machten, Frankreich zu erobern, ging bei den Briten die Angst vor einem deutschen Angriff um und die Stimmung kippte: die Flüchtlinge wurden verdächtigt, als Nazispione zu operieren. Als "feindliche Ausländer" wurden sie ihrer Freiheit beraubt und teilweise deportiert: 6500 nach Kanada, 2500 nach Australien.

Erich Fischer war mit seiner jüdischen Frau Irena schon 1938 aus Wien geflohen, der Buchhalter und die Goldschmiedin fanden in England Asyl und arbeiteten als Hausangestellte. Als die Flüchtlinge interniert wurden, meldete er sich freiwillig zur Verschiffung nach Übersee unter der Bedingung, dass seine Frau nachkommen könnte. Das wurde bereitwillig genehmigt, und so ging er am 10. Juli 1940 an Bord des Truppentransporter "Dunera", nicht ahnend, dass ihn eine Hölle erwartete. Die britischen Kommandanten der Eskorttruppe waren erwiesenermaßen Antisemiten, die die jüdischen Flüchtlinge besonders schlecht behandelten. 2000 Männer waren auf den Unterdecks zusammengepfercht bei katastrophalen hygienischen Verhältnissen und schlechter Ernährung. In Australien wurden sie in einem Zug mit vergitterten Fenster nach Hay in New South Wales gebracht, wo in der Wüste ein Camp aus dem Boden gestampft worden war.

Der australische Lagerkommandant merkte zum Glück bald, dass er es dass er es nicht mit Nazis oder Kriminellen, sondern mit Antifaschisten und gebildeten Menschen zu tun hatte, und tat alles, um den Internierten das Lagerleben zu erleichtern. Sie erhielten gutes Essen, Bücher, Schreibwaren, sogar Instrumente, und so entfaltete sich in diesem Camp im australischen Outback ein reiches kulturelles Leben mit Kursen und Vorträgen, Musik, Theater und Kabarett. Erst nach einem Jahr wurden die Internierten freigelassen und konnten wählen, ob sie nach England zurückkehren oder in die australische Armee eintreten wollten.

"Königskinder" liest sich ungemein spannend, wobei das Schicksal von Erich Fischer dominiert, der später von Australien wie von einem Abenteuerurlaub erzählte und die Schikanen bei der Überfahrt verschwieg. Seine Frau Irena blieb in London und erfuhr erst nach einem halben Jahr, dass die australische Regierung nicht gewillt war, Angehörige der Internierten aufzunehmen. Einen Tag, nachdem Erich in Sidney ankam, begann "The Blitz", die Bombardierung Londons. Irenas Briefe aus jener Zeit sind erschütternd: "Ich las in der Zeitung, dass die Überfahrt sehr stürmisch war. Es wird eine lange Zeit vergehen, bis du diesen Brief lesen wirst. Vielleicht bin ich dann nicht mehr am Leben. Ich bin so grenzenlos einsam in der Welt, wo der Tod vom Himmel regnet."

Im August 1942 kam Erich Fischer in England an – und wurde wieder interniert. Es dauerte noch ein halbes Jahr, bis die "Königskinder" zusammenkamen, die Gründe dafür sind nicht ersichtlich. Vielleicht würde man sie in jenen Dokumenten finden, die noch gesperrt sind: Nur langsam arbeiten Briten und Australier dieses peinliche Kapitel ihrer Flüchtlingspolitik auf.

AVIVA-Tipp: Der Roman "Königskinder" erzählt eindringlich vom Leid jüdischer EmigrantInnen. Zugleich dokumentiert er überaus spannend ein unbekanntes Kapitel des antifaschistischen Exils. Erica Fischer nahm in ihr Buch auch eine Liste aller deportierten Flüchtlinge auf. Zweitausend Namen stehen da verzeichnet, eine Hommage an diese lange vergessenen Opfer von Nationalsozialismus und einer absurden englischen Flüchtlingspolitik.

Zur Autorin: Erica Fischer, 1943 als Tochter von EmigrantInnen in England geboren. 1948 ging die Familie zurück nach Wien, wo Erica Fischer später Sprachen studierte und journalistisch arbeitete. Anfang der 1970er Jahre wurde sie zu einer der Gründerinnen des österreichischen Feminismus, ist Mitbegründerin der feministischen Zeitschrift "AUF - Eine Frauenzeitschrift" und der Buchhandlung "Frauenzimmer".
Seit 1988 lebt Erica Fischer als freie Autorin, Übersetzerin und Journalistin in Deutschland, seit 1994 in Berlin. Ihre dokumentarische Erzählung "Aimée & Jaguar" (1994) wurde ein Weltbestseller, er ist mittlerweile in zwanzig Sprachen übersetzt. Erschienen sind weiterhin: in 2002 der Bildband "Das kurze Leben der Jüdin Felice Schragenheim", in 2003 "Ich wählte die Freiheit. Geschichte einer afghanischen Familie" (gemeinsam mit Mariam Notten), in 2004 die Dokumentation "Die Wertheims. Geschichte einer Familie" (gemeinsam mit Simone Ladwig-Winters) und in 2005 "Das Wichtigste ist, sich selber treu zu bleiben".
2007 erschien die viel beachtete Familiengeschichte "Himmelstraße. Geschichte meiner Familie".
Zuletzt erschien "Mein Erzengel", Erica Fischers Roman aus dem Jahr 2010
Am 7. Juni 2009 wurde Erica Fischer für ihre Arbeit mit der Hedwig-Dohm-Urkunde des Journalistinnenbundes in Weimar geehrt.

Weitere Infos und Kontakt: www.erica-fischer.de

Erica Fischer
Königskinder

Rowohlt Berlin, erschienen Herbst 2012
Gebunden, 304 Seiten. Mit Lesebändchen
19,95 Euro

Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

Auszeichnungen des Journalistinnenbundes für Erica Fischer und Stephanie Dötzer am 6. Juni 2009.

Unser Interview mit Erica Fischer aus dem Jahr 2003.








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Beitrag vom 30.10.2012

AVIVA-Redaktion