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Beitrag vom 26.10.2012
Helen Hodgman - Gleichbleibend Schön
Annika Hüttmann
Eine Kleinstadt in Tasmanien. Nachmittags treffen sich die Mütter der Gegend am Strand. Auch die Erzählerin hat ein kleines Kind, doch sie bleibt zu Hause, langweilt sich, fühlt sich gefangen in...
... ihrem monotonen Leben als Haus- und Ehefrau.
"Ich war am Meeresufer gestrandet wie das arme dumme Schildkrötenweibchen, das ich einmal in einem Film gesehen hatte. Nachdem es unter großen Qualen und Mühen einen Haufen Eier gelegt hatte, gab es keine Hoffnung mehr, dass es den Weg zurück ins Meer schaffte. Es würde vor Erschöpfung sterben."
Helen Hodgman schildert in ihrem bereits 1976 erschienenen Roman eine Frau, die zwischen Flucht und Resignation schwankt. Ihre Ehe, das Resultat einer ungewollten Schwangerschaft, hält sie an einem Ort fest, an dem es für sie nichts zu tun gibt. Ihr Mann ist nur selten da, meistens arbeitet er. Anders als die restlichen Frauen der Gegend weigert die Erzählerin sich, ihre Tage mit sinnlosen Beschäftigungen zu füllen, die meiste Zeit verbringt sie mit Schlafen oder damit, ihre Nachbarin zu beobachten, die wie besessen ihren Rasen pflegt.
An zwei Tagen der Woche - Dienstags und Donnerstags - lässt die junge Erzählerin ihren langweiligen Alltag jedoch kurz hinter sich und trifft sich mit dem Restaurantbesitzer Jonathan bzw. dem Künstler Ben. Als diese beiden Affären kurz hintereinander beendet werden müssen, fallen auch diese kleinen Lichtblicke weg. Zurück bleibt eine Frau, der inzwischen alles so egal ist, dass sie eine grausame Tat begeht.
Hodgman selbst heiratete mit 19 Jahren und brachte ein Jahr später ihre erste Tochter zur Welt. Da ihre FreundInnen keine Kinder hatten und ihr Ehemann durch seine Arbeit wenig zuhause war, bezeichnet sie diese Zeit als sehr einsam und isoliert. Auch wenn "Gleichbleibend Schön" kein autobiographischer Roman ist, verarbeitet die Autorin hier eigene Erlebnisse, wie sie in einem Interview mit The Sydney Morning Herald zugab. Dies könnte einer der Gründe sein, warum es Hodgman so großartig gelingt, auf sehr subtile Weise ein beklemmendes Gefühl der Ausweglosigkeit hervor zu rufen.
Doch dieser Roman ist nicht nur bedrückend. Er ist auch voller Humor und bedient sich einer ganz eigenen Sprache. Wie auch von der Protagonistin geht von ihr eine starke Faszination aus, sie ist kraftvoll und kann eineN jeden Moment überraschen. Die LeserIn findet sich in der merkwürdigen Position wieder, einerseits auf Distanz gehalten zu werden, andererseits jedoch die Welt durch die Augen der Erzählerin zu sehen und mit ihr in ein verwirrendes Nichts hinter einer schönen Fassade einzutauchen. Ein intensives Erlebnis!
AVIVA-Tipp: In Australien zählen Hodgmans Werke zu den modernen Klassikern und werden dort gerade neu aufgelegt. "Gleichbleibend Schön" lässt keinen Zweifel daran, dass die Autorin ein besonderes Talent besitzt, Figuren zu schaffen, die gleichzeitig glaubwürdig und befremdlich sind. Eigentlich Alltägliches bekommt hier eine ungeahnte Tiefe und Vielschichtigkeit, die eineN bis zur letzten Seite fesselt.
Zur Autorin: Helen Hodgman, 1945 in Schottland geboren, zog als Jugendliche mit ihrer Familie nach Tasmanien - ein Schritt in eine andere Welt. 1976 veröffentlichte sie ihren ersten Roman, "Gleichbleibend Schön", der von der Kritik begeistert aufgenommen wurde. Mit ihrem zweiten Roman gewann sie 1978 den Somerset Maugham Award, mit ihrem dritten den Christina Stead Prize. 1983 erkrankte Helen Hodgman an Morbus Parkinson, es wurde still um sie. Sie lebt heute, nach längeren Aufenthalten in England und Kanada, wieder in Australien. (Verlagsinformationen)
Helen Hodgman
Gleichbleibend Schön
Originaltitel: Blue Skies
Originalverlag: Text Publishing Company PTY Ltd.
Aus dem Englischen von Anne Rademacher
KNAUS Verlag, erschienen im August 2012
Gebunden, 192 Seiten
978-3-8135-0472-9
17,99 Euro
www.randomhouse.de
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