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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 29.08.2012


Gudrun Schury - Ich Weltkind. Gabriele Münter. Die Biografie
Nana Nkrumah

Nur die Geliebte von Kandinsky oder eigenständige Künstlerin? Die Malerin Gabriele Münter stand oft in seinem Schatten. Anlässlich ihres 50. Todestags rückt diese Biografie ihr Leben und Werk ...




... in den Mittelpunkt.

Die 1877 in Berlin geborene und am 19. Mai 1962 in Murnau gestorbene Gabriele Münter war mehr als das "Anhängsel" Wassily Kandinskys, mehr als die verschmähte Dauerverlobte, die er später wegen einer anderen verließ. Gabriele Münter war eine emanzipierte Frau und zielstrebige Künstlerin, deren Leben nicht nur durch ihre Liebesbeziehung zu Kandinsky erzählenswert ist. Mit diesem Ansatz widmet sich die Kunsthistorikerin Gudrun Schury der Malerin.

Die Biografie beginnt mit der Amerikareise der jungen Münter, die ihre neue Kamera auf die Reise mitnimmt, um sich das Fotografieren selbst beizubringen. Durch das Experimentieren mit der Kamera entwickelt sie einen geschärften Blick für Sujets und Kompositionen, der später auch für ihren Malstil charakteristisch wird.

Zurück in Deutschland setzt Münter ihr Kunststudium fort. Da sie als Frau keinen Zugang zur Staatlichen Kunstakademie hat, studiert sie in München an der Damenkunstschule. Doch die starren Lehrpläne quälen sie, das Studium ist für sie mehr Zwang als Inspiration. In der kreativen Aufbruchsstimmung in München um 1900 eröffnet die alternative Phalanx-Schule, die sich gegen den etablierten Kunstbetrieb richtet. Münter ist 25 Jahre alt, als sie dorthin wechselt. Ihr Lehrer wird der 35-jährige, verheiratete Kandinsky, mit dem sie bald eine Affäre beginnt.

Obwohl die Literaturwissenschaftlerin und Publizistin Gudrun Schury in den folgenden Kapiteln die Beziehung zwischen Münter und Kandinsky in den Fokus rückt, verliert die Autorin den Haupterzählstrang – die künstlerische Entwicklung Münters – nicht aus den Augen. Ausführlich beschreibt sie die verschiedenen Techniken, die sich Münter aneignet – wie den Holz- und Linolschnitt oder die Spachteltechnik in der Ölmalerei. Sie erzählt von KünstlerkollegInnen, denen Münter begegnet und von ihrer Zeit in Paris, wo sie getrennt von Kandinsky allein lebt und arbeitet. Im Jahr 1909 kaufen sich Münter und Kandinsky ein Sommerhaus im Voralpenland Murnau. Ab diesem Zeitpunkt beginnt die Weiterentwicklung der Kunst des Paares hin zur expressiven Malerei, die zunächst zur Gründung der "Neuen Künstlervereinigung München" führt. Auch wenn die Werke – laut Autorin – heute so anstößig wie eine "Tasse Kamillentee" wirken, sind sie für den damaligen Kulturbetrieb Sprengstoff. Zeitgenössische KritikerInnen äußern sich empört über die explosiven Farben, mit denen die Natur wiedergegeben wird, schimpfen über "wüste Linien" und "ekelhafte Fratzen".

Bald darauf kommt es zur Gründung der Künstlervereinigung "Blauer Reiter". Gudrun Schury zeigt auf, dass Gabriele Münter nicht nur künstlerisch zum "Blauen Reiter" gehörte, sondern auch in die Planung von Ausstellungen und dem gleichnamigen Almanach involviert war, auch wenn sie öffentlich im Hintergrund stand.

Auch die Zeit nach der Trennung von Kandinsky beleuchtet die Biografie. Schury schildert Münters Zeit mit ihrem zweiten Lebensgefährten Johannes Eichner, die künstlerischen Anpassungsversuche der Malerin unter der nationalsozialistischen Herrschaft und ihre Neu- und Wiederentdeckung nach 1950.

So sehr wie sich Schury gegen die Darstellung Münters als "Anhängsel" Kandinskys stellt, so sehr wehrt sich die Autorin auch gegen die Überinterpretation von Kunst. Anderen KunsthistorikerInnen macht Schury zum Vorwurf, Münters Gemälde oft als Symbole ihrer Beziehungsprobleme zu lesen. Aus Angst vor der Falle, biografisches Wissen und Kunst zu vermischen, verzichtet Schury zum Großteil auf die Interpretation von Münters Werken. Auf diese Weise wirken die Beschreibungen der Gemälde technisch und oberflächlich. Selbst wenn auf eine plumpe Gleichsetzung von Biografie und Kunst verständlicherweise verzichtet wird, wäre eine wissenschaftlich fundierte Interpretation an vielen Stellen hilfreich. Die Entscheidung der Autorin, die Bilder kaum zu kommentieren, führt dazu, dass die LeserInnen nur schwer eine Beziehung zur Malerin aufbauen können. Schury beschreibt vor allem die handwerklichen Techniken, die sich Münter aneignete. Es gibt kaum Ausführungen über inhaltliche Themen oder persönliche Fragen, die Münter beschäftigten.

Zur Autorin: Gudrun Schury geboren 1959 in München, studierte Neuere deutsche Literaturwissenschaft sowie Kunstgeschichte und arbeitet seit 2001 freiberuflich als Autorin, Literaturwissenschaftlerin, Publizistin, Lektorin, Dozentin, sie schreibt populäre Sach- und Kinderbücher, zum Beispiel die Wilhelm-Busch-Biographie "Ich wollt, ich wär ein Eskimo", außerdem ist sie Herausgeberin von Wilhelm Busch: "Hundert Gedichte", "Kängt ein Guruh. Hundert komische Gedichte", "Ein Pudel spricht zur Nudel. Komisches für Kinder" (Quelle: Verlagsinformationen, Website der Autorin: www.schuressig2.homepage.t-online.de)

AVIVA-Fazit: Das Ziel, Gabriele Münter in den Mittelpunkt zu stellen, hat die Autorin konsequent eingelöst. Leider erscheint - im Vergleich zu Gisela Kleines Doppelbiografie "Gabriele Münter und Wassily Kandinsky" (Insel Verlag 1990) - die hier vorliegende Biografie etwas leblos. Die Kunst wird zumeist auf das Handwerkliche reduziert, die LeserInnen erfahren wenig über das Innenleben Gabriele Münters. Schury betont zwar deren herausragende Rolle für die Kulturgeschichte, liefert aber kaum Erklärungen dafür, worin die Besonderheit der Malerin besteht. Selbst wenn die Gefahr der falschen Interpretation von Kunst immer gegeben ist, fehlt einer Biografie, die die Werke unkommentiert lässt, der entscheidende Funken, der beim Lesen überspringen muss, um die Künstlerin/den Künstler durch den Text zum Leben zu erwecken.

Gudrun Schury
Ich Weltkind. Gabriele Münter. Die Biografie

Hardcover, 328 Seiten
Aufbau Verlag, erschienen März 2012
978-3-351-03394-1
24,99 Euro
www.aufbau-verlag.de

Gabriele Münter ist Namengeberin für einen Kunstpreis, der herausragende Bildende Künstlerinnen auszeichnet. Die Gewinnerin für das Jahr 2010 – in dem der Preis zuletzt verliehen wurde – ist die Objektkünstlerin Christiane Möbus. Der Gabriele Münter Preis richtet sich ausschließlich an Künstlerinnen, die älter als 40 Jahre sind. Ihre Auswahl begründen die InitiatorInnen damit, dass Frauen dieser Altersgruppe bei hoch dotierten Auszeichnungen häufig zu wenig bedacht werden.
Bisher finanzierte das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend den Preis. Da die Ministerin Kristina Schröder jedoch angekündigt hat, die Gelder zu streichen, ist die Zukunft des Preises ungewiss.
Weitere Infos zum Gabriele Münter Preis finden Sie unter: www.gabrielemuenterpreis.de


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