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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 17.07.2012


Bei Ling - Ausgewiesen. Ãœber China
AVIVA-Redaktion

Im August 2000 wird der Autor, Verleger und Dissident Huang Bei Ling nach zweiwöchiger Untersuchungshaft von den chinesischen Behörden in die USA ausgewiesen. Seither lebt er im Exil und die...




... Einreise in seine Heimat ist ihm verboten. In seiner Autobiographie erzählt Bei Ling von Stationen seines Lebens in China und im Exil.

"Sie sind eine in unseren Landesgrenzen unerwünschte Person."

Die Erfahrung der Ablehnung ist ein zentrales Thema in Bei Lings Leben. Noch ehe er seine Entwicklung als Autor und Verleger und seine Ausweisung aus China nachzeichnet, greift er zwei Episoden der jüngeren Vergangenheit auf: Im Herbst 2009 landet er auf der Rückreise von der Frankfurter Buchmesse in Peking. Schnell wird das Flughafenpersonal auf ihn aufmerksam, nimmt ihn in Gewahrsam und überwacht ihn, bis er mit einer Maschine in Richtung Taipeh, seinem neuen Wohnsitz, abhebt. Die Anweisung lautet: "Sie sind eine in unseren Landesgrenzen unerwünschte Person. Es ist ihnen nicht erlaubt, nach Peking einzureisen."

Auch zuvor auf der Frankfurter Buchmesse hat Bei Ling die Ablehnung der Chinesischen Regierung zu spüren bekommen. Im Vorfeld wurde er als Redner zu einem Symposium im Rahmen der Messe eingeladen, doch die Delegation des Gastlandes China reagiert empört und die Leitung der Buchmesse zu verunsichert - Bei Ling wird wieder ausgeladen. Erst nach der Berichterstattung deutscher Medien bittet man ihn, doch wenigstens als Zuhörer und Diskutant der Veranstaltung beizuwohnen. Bei Ling willigt ein und muss erleben, wie während seiner kurzen Rede die Abgesandten Chinas den Raum verlassen. Die Kluft zwischen dem im Exil lebenden Verleger und der Volksrepublik China lässt sich auch auf deutschem Boden nicht umgehen.

Rückblende: Die Macht des geschriebenen Wortes

Aber nicht nur Erfahrungen der Ausgrenzung prägten Bei Ling. Noch viel zentraler ist seine Leidenschaft für die Literatur, die ihn einerseits mit der Volksrepublik China in Konflikt treten lässt und andererseits zum Ort geistiger Freiheit avanciert, in einem Alltag, der von Zensur und (Meinungs-)Kontrolle bestimmt wird. Bei Ling erkennt seine Begeisterung für die Literatur während seines Studiums in Peking am Ende der 1970er Jahre. Nach den Zeiten der Kulturrevolution, in denen Bibliotheken versiegelt und Bücher, die mit "Feudalismus, Kapitalismus und Revisionismus" in Verbindung gebracht werden konnten, verbrannt wurden, wird 1977 in China "der Bücherbann" langsam aufgehoben. Die Zensur bleibt zwar, aber Klassiker und auch Übersetzungen westlicher Texte werden neu aufgelegt. Bei Ling beginnt, die großen Bibliotheken der Stadt für sich zu entdecken, die Literatur wird für ihn zum Tor in andere Welten, denn "dem eintönigen Leben und der eisernen Kontrolle konnte man allein durch das Lesen entfliehen."

Seine Faszination für die Literatur führt ihn in dieser Zeit auch in den chinesischen Untergrund. Er trifft auf AutorInnen und Kunstschaffende, die abseits der staatlich regulierten Kultur ihre Werke in Zirkeln gemeinsam diskutieren und ohne Zensur über illegale Publikationen unter der Hand verteilen. 1979 wird er Mitarbeiter bei der von Zhao Nan ins Leben gerufenen illegalen Untergrundliteraturzeitschrift "Jintian" (Heute). Hier setzt er sich besonders für die zeitgenössische chinesische Dichtung ein. Doch im Sommer 1982 gerät Zhao Nan ins Visier des Pekinger Sicherheitsbüros und wird zu zwei Jahren Umerziehung verurteilt. Der Kreis um die Literaturzeitschrift wird damit zerschlagen.

Aber Bei Ling engagiert sich weiter für die chinesische Untergrundliteratur. 1983 veröffentlicht er unter dem Titel "Streifzüge im März. Gedichte" einen Band mit eigener Lyrik und arbeitet an Anthologien mit, allerdings müssen auch diese Werke illegal ohne ISBN-Nummern gedruckt werden.
Fünf Jahre später entschließt er sich als Mitarbeiter der Shenzhen-Universität für einen Aufenthalt in den USA. Von hier aus verfolgt er auch das Tian`anmen-Massaker und gerät in einen Gewissenskonflikt, da er, anders als sein damaliger Mitbewohner und spätere Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo, nicht zurück nach China reist. Er bleibt in den USA und wird Mitarbeiter der Brown University im Programm "Writers in Residence".

Aber auch im Ausland beschäftigen ihn seine Heimat und vor allem die chinesische Literatur. Er entschließt sich zur Gründung der Literaturzeitschrift "Qingxiang" ("Tendenzen") in chinesischer Sprache, die sich besonders der chinesischen Exilliteratur widmen soll. Als Beraterin für dieses Projekt gelingt es ihm, Susan Sontag zu gewinnen, zu der er eine enge Freundschaft aufbaut. Zwölf Ausgaben erscheinen im Ausland, doch Bei Ling möchte, dass die Zeitschrift auch in China veröffentlicht wird, denn schließlich richtet sie sich vorrangig an ChinesInnen. Beim Druck der 13. Ausgabe in Peking kommt es zu seiner Verhaftung wegen illegaler Publikationen, obwohl er zuvor noch versuchte, "Tendenzen" in Peking anzumelden.

Auf Druck Susan Sontags, Günter Grass` und der US-amerikanischen Regierung sind die chinesischen Behörden aber schließlich bereit, ihn wieder frei zu lassen. Die Bedingung: Er wird ins Exil in die USA ausgewiesen und darf nie wieder nach China einreisen.

Bei Ling gelingt es in seiner Autobiographie, durch einen essayistischen Stil seinen Lebensweg zu reflektieren. Er gibt den LeserInnen einen Einblick in sein Denken und die Beweggründe für seine Entscheidungen. Die empfundene Gefangenschaft durch die Zensur und das Fehlen der Meinungsfreiheit im Heimatland werden ebenso deutlich, wie das Gefühl der Entwurzelung im Exil. Er spricht seine Entmutigung und seine Angst offen aus und zeigt gleichzeitig, wie es immer wieder sein Bestreben war, mit seinem Handeln etwas zu verändern.

AVIVA-Tipp: Bei Ling schreibt nicht einfach einen Bericht "über China", sondern rückt vielmehr die Bedeutung von Literatur in China in den Mittelpunkt. In ihr findet er jene geistige Freiheit, welche die MachthaberInnen in seinem Heimatland zu unterbinden versuchen, und gleichzeitig ist es die Literatur, mit der er für diese Freiheit kämpft. Damit beleuchtet er auf vielschichtige Weise die Kraft des geschriebenen Wortes.

Zum Autor: Bei Ling wurde 1959 in Shanghai geboren. Er arbeitet im Exil in Taiwan und den USA als Verleger und Autor. Im Jahr 2001 gründete er mit anderen im Exil lebenden SchirftstellerInnen den Unabhängigen Chinesischen P.E.N. und 2010 erschien die von ihm verfasste Biographie des Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo in deutscher Sprache.

Bei Ling
Ausgewiesen. Ãœber China

Aus dem Chinesischen von Katrin Betz
Suhrkamp, erschienen: März 2012
Gebunden, 194 Seiten
ISBN-13: 978-3518423004
19,95 Euro
www.suhrkamp.de


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Beitrag vom 17.07.2012

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