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Beitrag vom 06.06.2012
Wibke Bruhns - Nachrichtenzeit. Meine unfertigen Erinnerungen
S. Grunwald, U. Wagener
Die Erinnerungen einer Journalistin aus Leidenschaft: lebendig, humorvoll und uneitel erzählt die "Jeanne d´Arc der 68er" von den Meilensteinen ihrer Karriere als Frontfrau in den Medien, eng...
...verknüpft mit dem politischen Geschehen der jungen Bundesrepublik.
In Nachrichtenzeit begleiten wir Wibke Bruhns von den Anfängen ihrer Karriere, bis hin zu ihrem Status als Ikone des deutschen Journalismus. "Bekannt durch Funk und Fernsehen" war sie, die erste erfolgreiche Vollblutjournalistin Deutschlands, deren Anspruch es war, Politik spannend und leidenschaftlich zu vermitteln.
Wibke Bruhns kommt 1938 in Halberstadt zur Welt, ihre Kindheit ist von den Folgen des Krieges überschattet. Der Vater, Hans Georg Klamroth ein Kaufmann und Offizier, wird 1944, infolge seiner Beteiligung an dem Attentat auf Hitler am 20. Juli des gleichen Jahres, in Plötzensee hingerichtet. Die Mutter Else versucht erfolglos, das Unternehmen der Familie zu retten, womit der Umzug vom Osten in den Westen Deutschlands verbunden ist.
Nach dem Bankrott der Firma folgt der erneute Umzug nach Schweden, wo die Mutter als Referatsleiterin bei der deutschen Botschaft in Stockholm arbeitet und die junge Wibke als Deutsche verachtet wird. "Was wusste ich von der Nazizeit? Ich heulte mir die Augen aus dem Kopf, weil ich Teil sein sollte der kollektiven deutschen Schuld." Sie geht damit um, indem sie nur noch Schwedisch spricht und findet schließlich Freundinnen. Ein leiser Vorwurf an die beschäftigte Mutter liegt über all diesen Ausführungen, und ihr Anspruch, es selbst einmal besser zu machen.
Zahlreiche Schulwechsel, ein abgebrochenes Studium, ein gekündigtes Volontariat bei der Bildzeitung – keine guten Voraussetzungen für eine Karriere. Ich war blutige Anfängerin. Mein einziger Vorteil, wenn überhaupt lag in der Tatsache, dass ich eine Frau bin. Warum sie es trotzdem geschafft hat, kurzerhand bei der Gründung des ZDF, einer ebenso blutigen Anfängerin, mitzuwirken, schildert die heute Dreiundsiebzigjährige auf anekdotenhafte, fast komische Art und Weise. Ihr Resumée aus dieser Zeit ist eindeutig: Fernsehen machen ist toll. Fernsehen gucken nicht.
1971 sorgt sie als Nachrichtensprecherin, die einzige Frau im männerdominierten "Heute"-Team für Furore. Die deutschen BürgerInnen sind empört, Wibke Bruhns ist gelangweilt. Da sie das erkämpfte Terrain jedoch nicht aufgeben will, bleibt sie dabei und kämpft nebenher für Willy Brandt. Ihre Vertrautheit mit dem neu gewählten Bundeskanzler beschreibt sie recht sachlich, wie soll es auch anders sein, mit dem Satz "Privates ist von ihm nicht zu haben."
Als die verwitwete Journalistin in den achtziger Jahren samt ihrer beiden Töchter für den Stern nach Jerusalem geht, bedeutet das langes Nachdenken. Wie den Töchtern gerecht werden? Wie sich verhalten, als deutsche Nicht-Jüdin? Wie viel Rücksicht ist gefordert, wie viel Unbefangenheit erlaubt? Diese Kapitel kann man fast schon als Religionskritik lesen: Alle glauben sie an denselben Gott. Es könnte friedlich sein. Doch das ist es nicht. Bruhns genießt als deutsche Journalistin vielerlei Vorteile, sie wird von Israelis wie PalästinenserInnen freundlich empfangen und schließt Freundschaften auf beiden Seiten. Doch macht es das nicht gerade leichter. Als eine Bombe in dem Bus explodiert, mit dem ihre Tochter für gewöhnlich zur Schule fährt, packt sie erneut die Koffer und siedelt als Korrespondentin über in die USA, nach Washington D.C.
"Die USA haben mich kein Herzblut gekostet, wie Israel. Aber so richtig interessiert haben sie mich auch nicht." Vielleicht auch, weil sich die USA nicht für sie interessiert haben. Sie sieht ihre Pressefreiheit enorm eingeschränkt, ihre Fragen bleiben unbeantwortet.
Nach vierzehn Jahren beendet Wibke Bruhns ihre Arbeit beim Stern. Sie ersteht ein Haus in einem kleinen Dorf im Elsass, wo sie den Fall der Berliner Mauer nur von ferne miterlebt. Doch diese langersehnte Ruhe hält sie nicht lange aus. Die nächsten Arbeitsprojekte sind eine politische Talkshow im WDR, zusammen mit Gisela Marx, Filme für Arte und den Südwestfunk, eine Zusammenarbeit mit VOX und dem ORB. Doch scheint das alles für sie nicht von großer Bedeutung zu sein.
Nachrichtenzeit endet, wo alles angefangen hat: In Halberstadt und mit der Geschichte ihres Vaters, die sie als "Meines Vaters Land" bereits 2004 erfolgreich veröffentlichte.
AVIVA-Tipp: Die persönlichen Erinnerungen der Grande Dame des deutschen Journalismus sind geschickt verbunden mit den politischen und kulturellen Ereignissen ihrer Zeit. Anekdotenreich, humorvoll und zugleich informativ beleuchtet sie Nachkriegsdeutschland, Wirtschaftswunder, Nahostkonflikt, die Stern-Affäre um die Hitlertagebücher, die USA und die deutsche Einigung. Es ist eine journalistische Biographie, eine Reportage. Nachrichtenzeit eben.
Zur Autorin: Wibke Bruhns (geborene Klamroth) wurde 1938 in Halberstadt geboren. Ihr Vater wurde wegen Hochverrats hingerichtet, die Mutter versuchte, ihre fünf Kinder zu ernähren. Es folgten zahlreiche Umzüge und Internatsaufenthalte. Sie arbeitete lange für das ZDF und den Stern. Bis 1977 war sie mit dem verstorbenen Schauspieler Werner Bruhns verheiratet, mit dem sie zwei Töchter hat. 1989 wurde sie für eine "Geo"-Reportage über das Vietnam-Denkmal in Washington mit dem Egon-Erwin-Kisch-Preis ausgezeichnet, 2006 erhielt sie den Friedrich-Schiedel-Literaturpreis
Wibke Bruhns
Nachrichtenzeit. Meine unfertigen Erinnerungen
Droemer Verlag, erschienen am 01. März 2012
Gebunden, 424 Seiten
ISBN: 978-3-426-27562-7
22,99 Euro
Wibke Bruhns im Interview
mit Cigdem Akyol und Gaby Sohl
mit Lennart Krause