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Beitrag vom 07.05.2012
Sandra Hughes - Zimmer 307
Clarissa Lempp
Die Schweizer Autorin Sandra Hughes schickt die Protagonistin ihres Romans sprichwörtlich ins Fegefeuer. Dort startet diese kurzerhand eine Karriere und den Weg zur Selbsterkenntnis.
Felicitas ist 34 Jahre alt, als sie sich in der Badewanne die Pulsadern aufschneidet. So beginnt Sandra Hughes ihren Roman. Was aber auf Felicitas wartet, ist nicht die erhoffte Erlösung, sondern eine strafforganisierte Vorhölle. In einer Korbproduktionsstätte sollen die verstorbenen Frauen sich ihren Schwächen und ihren ungelösten Aufgaben stellen, sollen sich in ihrer Arbeit auflösen und so vorbereitet und ausgesucht werden für die nächsten Stufen. Felicitas, im irdischen Leben bereits eh ein Arbeitstier, macht kurzerhand Karriere und optimiert ihre ganze Abteilung. Trotzdem geht es für sie nicht weiter und eine Frage brennt: Wo kommen eigentlich die Männer hin? Denn Schuld an Felicitas Selbstmord ist schließlich genau eines dieser Exemplare: Domenico.
Sandra Hughes strapaziert das Klischee der passiven Frau, teils amüsant, teils schmerzhaft und immer etwas überzeichnet. Zwischen Selbstzerstörungstrieb und Rachegelüsten bleibt sich Felicitas immer fern. Ihre Geschichte ist die einer obsessiven Beziehung, die Hughes in Rückblicken und in Zwiegesprächen mit der verstorbenen Großmutter erzählt. Bei der holte sich Felicitas schon als Lebende Rat, denn auch im Diesseits bewohnte Felicitas ihre eigene Welt. Fast apathisch nimmt sie ihren Alltag hin, beweist sich als Hotel-Rezeptionistin vor allem beruflich. Bis Domenico kommt und alle Leerstellen zu füllen scheint. Felicitas wirkt dabei nicht immer sympathisch und wie bereits erwähnt, soll dies alles ja auch kein gutes Ende nehmen. In der zeitlosen Zone der Vorhölle gibt es schließlich viel Raum für die eigenen Gedanken und so spinnt Felicitas ihre Geschichte und die Zeit mit Domenico immer wieder durch. Bis plötzlich ein Abteilungswechsel für sie ansteht. Felicitas soll die Männerabteilung leiten, in der auch Domenico ankommt.
Zur Autorin: Sandra Hughes, geboren 1966, studierte Kunstwissenschaft an der Universität Basel und war im Kunstbetrieb und Museumsdienst tätig. 2006 erschien ihr Debüt "Lee Gustavo", bei dem der Figuren-Name und die Handlung zunächst nicht auf das Geschlecht der Protagonist/in zurückschließen lassen. 2009 folgte der Anti-HeldInnen-Roman "Maus im Kopf". "Zimmer 307" ist ihr drittes Buch.
AVIVA-Tipp: Körbe flechten und Angehörigen-Punkte sammeln in der Frauen-Vorhölle, ein Gigolo mit italienischem Namen, teure Hotels in Dubai, die als goldener Käfig für eine eifersuchtszerfressene Beziehung dienen. Das sind nicht unbedingt neue Motive, die sich aber bei Sandra Hughes noch einmal ganz unterhaltsam wiederlesen lassen. Denn Hughes beweist sich einmal mehr als stilsichere Geschichtenerzählerin.
Sandra Hughes
Zimmer 307
Dörlemann Verlag, erschienen Frühjahr 2012
doerlemann.com
192 Seiten. Gebunden. Leseband
ISBN: 9783908777762
18,90 Euro