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Beitrag vom 22.02.2008
Cornelia Schleime - Weit fort
Kristina Tencic
Ein Buch, das sich liest wie ein Abschied, ein romanlanger Abschied von der Vergangenheit, die in Claras Leben keinen Schlussstrich erhalten hat, nur immer wieder von Neuem begonnen wurde.
Cornelia Schleime hat in ihrem Debutroman viel Autobiografisches verwoben, was ihn außergewöhnlich offen und ehrlich erscheinen lässt, genau die Eigenschaften, die ihrer Protagonistin Clara zu Eigen sind. Aufgewachsen in Ostberlin, gelingt es Clara nicht, sich mit einem Staat anzufreunden, der so sehr in die Lebensgestaltung seiner BürgerInnen eingreift, wie es in der DDR geschehen ist. Spätestens während ihres Kunststudiums in Dresden zieht sie sich in ihre eigene Gedankenwelt zurück, zusammen mit einem Freund, der sich ihr schreibend anschließt. Den Schriftsteller und die Künstlerin verbindet eine Freundschaft in der Einsamkeit der inneren Emigration, aus der sie gen Westen flieht. Nach der Auslebung ihres Freiheitsbedürfnisses durch einen Aufenthalt in den USA kehrt sie 1990 zurück in das zwischenzeitlich wiedervereinigte Deutschland. Mittels der Akteneinsicht in Stasi-Unterlagen muss sie feststellen, dass ihr vermeintlicher Freund ein Spion war und ihr gesamtes Leben von verschiedenen Personen bespitzelt wurde.
17 Jahre später wird diese Geschichte erneut zum Leben erweckt, als Clara in einer Internetpartnerbörse einen Mann kennen lernt. Sie sucht das Ungewöhnliche in den gewöhnlichen Profilen und stößt auf den ambivalenten Wetterfrosch Ludwig, mit dem sie einen elektronischen Briefwechsel beginnt. Beide sind von einer Sehnsucht nach Nähe getrieben, projizieren ihre Vorstellungen auf den Anderen und verschließen hierbei die Augen vor der Wirklichkeit. Sie möchte eine Liebe erschaffen, welche die Realität nicht bietet, er hält Ausschau nach einer Person, der gegenüber er die Maske der Vergangenheit ablegen und sich öffnen kann.
Die Aneinander-Vorbei-Liebenden treffen sich über einige Wochen hinweg und verleben gemeinsam eine schöne Zeit. Er zeigt ihr den Ort seiner Kindheit, sie gewährt ihm einen Einblick in ihre Vergangenheit - doch auf einmal ist der Mann aus ihrem Leben verschwunden, weit fort, ohne Abschied. Der Verrat an ihr wiederholt sich, aber diesmal möchte sie es nicht kampflos geschehen lassen. Sie wird selbst zur Spionin und versucht die Puzzleteile, die er ihr hingeworfen hat zusammenzufügen.
"Er will sie aber kann nicht. Kann nichts umsetzen. Er schafft nicht die Reise zu sich selbst und damit gelingt auch keine Reise zu ihr. All seine Kraft geht für die Abschirmung drauf. Mehr ist nicht drin."
Obgleich schon von Beginn an klar ist, dass Ludwig die Protagonistin verlassen wird, gelingt es Cornelia Schleime die Aufmerksamkeit der LeserIn beizubehalten, da sie so unverblümt und gradlinig über ihren Verlust schreibt, dass man am eigenen Leib den Schmerz zu fühlen glaubt. Das Buch ist wenig subtil, bietet aber dennoch genug Raum zur Interpretation und Auseinandersetzung.
In zwei Stunden gelesen, bietet es Denkstoff für Tage, da es den Nerv der Zeit durch das Phänomen der Internetbekanntschaft sehr gut trifft und die Frage nach dem "Wie kann ich eine Person kennen und lieben lernen" erneut stellt. Reicht es, sich 80 Briefe hin und her zu schreiben, oder vermittelt der Schreibende dadurch nur ein Selbstbild, das mit seinem wirklichen Ich wenig zu tun hat? Sagt ein gemeinsames Eis-Essen mehr über eine Person aus, als all die geschriebenen Worte? Cornelia Schleime versucht diese Fragen über die Wahrnehmung zu beantworten, indem sie den LeserInnen die Weite des Vorstellungsvermögens aufzeigt, das ihrer Ansicht nach die einzige Waffe im Kampf mit dem Leid des Lebens bleibt. Mit diesem Bewusstsein malt sie weiter und schreibt nun auch, zu unserer Freude.
AVIVA-Tipp: Die Künstlerin zeigt mit ihrem metaphorisch reich bespickten Roman ein Porträt einer Frau in Konfrontation mit sich selbst und ihrer Vergangenheit, die vor keinem Neuanfang zurückschreckt, aber dabei vergessen hat, wie wichtig es ist, Schlussstriche zu ziehen. Lesen, traurig sein, denken - wunderbar.
Zur Autorin: Cornelia Schleime wurde 1953 in Ost-Berlin geboren. Nachdem sie eine Friseurlehre und ein Maskenbildnerstudium absolvierte und als Pferdepflegerin tätig war, studierte sie von 1975-80 Grafik und Malerei an der HfBK in Dresden. 1981 wurde sie mit einem Ausstellungsverbot der DDR belegt, woraufhin sie einen Ausreiseantrag stellte, dem 1984 stattgegeben wurde. In Zusammenhang mit der Ausreise verlor sie fast ihr gesamtes bis dato erschaffenes Oeuvre. 1989 ging sie für ein Jahr über den DAAD nach New York. Ihre Malerei, ihre Filme und Installationen wurden in zahlreichen internationalen Einzel- und Gruppenausstellungen, in Museen und Galerien gezeigt. Die, mit dem Roman "Weit fort" zudem zur Schriftstellerin gewordene, Künstlerin lebt und arbeitet in Berlin und dessen Umland. Weitere Infos und Kontakt: www.cornelia-schleime.de
(Quelle: Hoffmann und Campe Verlag)
Cornelia Schleime
Weit fort
Hoffmann und Campe Verlag, erschienen Februar 2008
112 Seiten, Hardcover
ISBN 978-3-455-40105-9
14,95 Euro