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AVIVA-BERLIN.de im Dezember 2024 - Beitrag vom 19.10.2011


Eran Shakine - Sunny Side Up
Nina Breher

Wer denkt, simple Ölkreidezeichnungen seien nicht mehr als Schmierereien, wird hier eines Besseren belehrt. Die unprätentiösen Arbeiten eines israelischen Künstlers entpuppen sich auf den zweiten...




...Blick als eine Meditation über den Status und Charakter von Kunst selbst.

In vier von fünf Kapiteln der neu erschienenen Monographie fühlt der in Tel Aviv und London lebende Eran Shakine Ikonen der Neuzeit auf den Zahn. Die saloppen Malereien portraitieren Künstler, ArchitektInnen und Modedesigner, eine weitere Serie widmet sich John Lennon und Yoko Ono. Erst auf den hintersten Seiten schließt sich der Kreis: Das Kapitel "Museum Art World" beleuchtet spielerisch und lakonisch den Kunstbetrieb.

Als kleines, aber feines Detail tritt an den Rändern der Bilder eine ehrliche, rührende Faszination für Zwischenmenschliches hervor. Neben dem Schmunzeln, das beispielweise ein am Pissoir stehender Marcel Duchamp provoziert, weisen die Zeichnungen auch sentimentale Seiten auf. Sei es die fast romantische Darstellung der Geschichte von John Lennon und Yoko Ono oder das Doppelportrait des Künstlerduos Gilbert & George - in diesen Werken beweist uns Shakine, dass in jedem noch so einfachen Pinselstrich eine geballte Ladung Gefühl stecken kann.

Seine Portraits erlegen Betrachtenden die nicht leicht zu beantwortende Frage auf, ob das Gesehene überhaupt als Kunst bewertet werden kann. Nicht selten enthalten die Zeichnungen Flecken, halb ausgemalte Flächen oder Korrekturen, unter denen die misslungenen Linien noch zu sehen sind. Doch hinter den vermeintlichen Krakeleien versteckt sich ein ernstzunehmendes Konzept.

"People - when they go to museums spend an average of TEN seconds with each work and half of that time is spent reading the LABEL.", steht in Blockschrift auf dem Bild "Ten seconds" geschrieben. Darüber steht ein Strichmädchen, das auf einen kleinen Kasten starrt. Manche Zeichnungen zeigen leere Leinwände, die ganze Räume füllen oder einen angeblichen Van Gogh. Dieser allerdings versteckt sich hinter einer Zwischenwand, sodass wir ihn nur anhand des Titels und der in die entsprechende Richtung stierenden Menschen erahnen können.

Der Vergleich dieser Skizzen mit den vorangegangenen wirft wilde, fruchtbare Thesen auf: Indem neben Form und Inhalt auch die Kapitel des Buches miteinander in einen Dialog treten, sich gegenseitig kommentieren, scheint es, als übe der Maler eine augenzwinkernde Kritik am heutigen Kunstmarkt. Shakine meditiert in der Kunst selbst über die Widersprüche dieser Maschinerie und der Museumskultur. So tritt die Aussage in den Vordergrund, dass Kunst nicht mehr ist als ein Markt, der künstlich mit Bedeutung und Wert aufgeladen wird. Böse Zungen behaupten, er sei dem Finanzmarkt ähnlich: Eine Blase, deren Platzen längst überfällig ist. Eine solche Interpretation der Ölzeichnungen demonstriert die promovierte Historikerin Nuit Banai in dem den Band begleitenden Text "Minor Moments".

Da aber Shakine selbst diesem Betrieb angehört, sind das Gesehene und daraus folgende Gedankengänge nicht als ablehnende Systemkritik zu verstehen, sondern als ein Befragen des eigenen Gebiets von innen heraus, wohl in der Hoffnung, etwas ändern zu können. Was RezipientInnen sonst nur diffus erahnen können, legt dieses Buch in aller Deutlichkeit offen: Dass Kunst ein komplexes, eigenständiges Zeichensystem ist, das sich selbst geschaffen hat, das sich selbst am Leben erhält und das sich zuweilen auch selbst hinterfragt. Diese Selbstreferenzialität tritt so transparent hervor, dass dieses Buch das Potenzial hat, Menschen dazu zu bewegen, diesen Aspekt fortan auch in anderen Kunstwerken aufzuspüren. Sie werden fündig werden.

AVIVA-Tipp: Sinn und Unsinn, Wert und Wertlosigkeit von bemalten Leinwänden und des eigenen Berufs sind die künstlerischen Themen von Eran Shakine. Er geht ihnen nach wie ein Spürhund, der bellt, sobald er seine Beute gefunden hat. Sein Bellen ist die Ironie, seine Beute eine Antwort auf die dringliche Frage nach Kunst in Zeiten der Ökonomisierung aller Lebenswelten. "This book will change nothing in your life. My apologies. E.S." - diese Worte prangen in krakeliger Schrift auf dem Buchrücken. Es lohnt sich, gründlich darüber nachzudenken, ob dem tatsächlich so ist.


Zum Künstler: Eran Shakine wurde als Sohn eines französischen Vaters und einer ungarischen Mutter in Israel geboren. Beide Eltern waren Überlebende des Holocaust und wanderten Ende des Zweiten Weltkriegs nach Israel ein. Shakine lebte in Paris und London sowie sieben Jahre lang in New York, wo er ein Stipendium der Art Matters Foundation erhielt und Assistent des Cobra-Künstlers Carl Appel war. Einzelausstellungen seiner Werke wurden im Drawing Center in New York gezeigt, aber auch in London, Paris, Brüssel, Toronto und Tel Aviv. Auch in den Sammlungen bedeutender Museen wie dem British Museum in London, dem Aachener Museum Ludwig sowie dem Tel Aviv Museum und dem Israel Museum in Jerusalem ist er mit seinen Werken vertreten, ebenso wie in vielen Privatsammlungen. Shakine lebt mit seiner Frau und den drei Kindern in Tel Aviv und London.
Weitere Informationen finden Sie unter: www.eran-shakine.com

Zur Autorin: Nuit Banai promovierte in Kunstgeschichte an der Columbia University und ist Dozentin im Department of Visual and Critical Studies der Tufts University, School des Museum of Fine Arts, Boston. Sie verfasst regelmäßig Beiträge für Artforum International, ist Mitherausgeberin von Art Papers und hat für Art Journal, Frieze, Modern Painters und Time Out New York geschrieben.
Weitere Informationen finden Sie unter: www.icaboston.org

Eran Shakine
Sunny Side Up

Mit einem Text von Nuit Banai
Englisch
Hirmer Verlag, erschienen: September 2011
Flexibler Einband, 12 Seiten
ISBN: 978-3777450711
19,90 Euro
Weitere Informationen finden Sie unter: www.hirmerverlag.com


Literatur

Beitrag vom 19.10.2011

AVIVA-Redaktion