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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 05.09.2008


Ulrike Draesner - Schöne Frauen lesen
Anna Opel

Draesner schreibt sich an ihre liebsten Schreiberinnen heran und gibt als Kollegin Lese- und Lebenseindrücke wieder: Ingeborg Bachmann, Virginia Woolf, Gertrude Stein, Friederike Mayröcker...




Dieses Buch verschafft Begegnungen mit einigen der markantesten, wenn auch nicht der schönsten, Schriftstellerinnen der letzten Jahrhunderte. In jedem der Essays trifft man nicht nur große Frauen und ihre Werke, sondern auch Ulrike Draesner, wie sie sich mit kleinen Leseanekdoten, Nachdichtungen und kräftigen Thesen dazwischenmogelt. Man geht neben Draesner und Mayröcker her durchs winterliche Wien, erfährt vom Tesaband, das Antonia S. Byatt offenbar immer dabei hat, um daran herum zu knibbeln, und wie Draesner, vierjährig, den Besuch ihrer scheußlichen Kusine aus Australien überlebt. Das hat Charme, hilft aber nicht in jedem Fall zu neuen Erkenntnissen. Als augenzwinkernde, leicht frivole Provokation hat Ulrike Draesner, unter Bezugnahme auf dessen Aussage "Madame Bovary – c´est moi", ein Porträt Flauberts in ihre Sammlung berühmter schreibender Frauen eingereiht.

Persönliche Lektüreerfahrungen

Die essayistischen Kapitel dieser kleinen Literaturgeschichte sind deutlich als Lektürebeschreibungen angelegt, die ihrerseits literarischen Anspruch haben und immer auch auf die Literatin Draesner verweisen. Da beginnt beispielsweise ein Essay damit, wie die Autorin etwa 21jährig nach Oxford kommt und nicht weiß, was Steckdose auf englisch heißt, sich umzingelt fühlt von den Klängen und Sonderlichkeiten des anderen Sprachraums. Das ist Draesners Auftakt zu Gertrude Stein. Die Lektüre streift die Person der Autorin und ihre Lebensumstände, kleine Gedankenbilder setzen sich zusammen: die kräftige Gertrude Stein mit ihrem berühmten kleinen Hund auf dem Schoß. Nachdenken über Steins Aussicht auf die Welt, vorbei am Hundefell. Auch Nachdichtungen der Steinschen Endlossätze, mit ihren Wiederholungsvarianten werden unternommen. Da mag manche sich mehr Analyse bei weniger Emphase wünschen. Aber das entspricht gerade nicht Drasners Methode. Versuchsweise, in Anläufen und mit blumigen Gedankenschleifen widmet sich Draesner der ausgiebigen Be-Schreibung ihrer Erfahrungen mit der ausgewählten Literatur. Das ist gut und packend, wenn eine gewisse Distanz zu Autorin und Werk gewahrt ist, wie im Fall von Virginia Woolf. Und weniger überzeugend, wenn Draesner mit einer Autorin vor unseren Augen ein Hühnchen rupft, wie im Fall von Ingeborg Bachmann. Dieser scheint sie die Stilisierung zum Opfer, sowohl als Person, wie in ihren Texten, ziemlich übel zu nehmen. Dennoch erfährt die Leserin auch in diesem Kapitel einiges über die Person Bachmann und sie wird eingeweiht in Draesners Interpretationen.

Manchmal zu kurz gegriffen

Draesner neigt, das ist sicher auch dem Genre Essay geschuldet, zu starken Thesen, ohne diese unbedingt zu erklären. Man muss folgen, oder man bleibt, wenn sich die Lektüre mit der eigenen nicht decken will, auf der Strecke.
Um eines klar zu stellen: es ist nicht der Anspruch dieser Essaysammlung, letzte Wahrheiten zu verkünden. Und deshalb nicht ganz fair, ihr Verfehlungen auf Seiten der Argumentation nachweisen zu wollen. Stattdessen vermittelt Draesner vehement und durchaus kenntnisreich die Liebe zur Literatur, eine Ernsthaftigkeit im Umgang damit, die große Freude am eigenen Schreiben und am denkenden Formulieren. Und wenn der Ansatz und die Umsetzung nicht durchgängig überzeugen, regt die Lektüre an, die großen Werke, um die es geht, wiederzulesen, sie überhaupt zu lesen. Der Autorin, die selbst Lyrik und Prosa schreibt, und die außerdem promovierte Germanistin ist, gelingen immer wieder Annäherungen und sensible Beschreibungen der Werke, die man zur nächsten Lektüre gerne mitnehmen wird. Das gilt besonders für die Texte zu Virginia Woolf oder Antonia S. Byatt, und im Sonderfall der jung verstorbenen Autorin Marcelle Sauvageot, deren Liebesbriefe aus dem Sanatorium posthum als literarisches Werk veröffentlicht wurden.

Zur Autorin: Ulrike Draesner wurde 1962 in München geboren und lebt heute als Lyrikerin, Romanautorin und Essayistin in Berlin. Veröffentlichungen u.a.: "Mitgift", Roman (2001), "Hot Dogs", Erzählungen (2002), "kugelblitz", Gedichte (2002), "Spiele", Roman (2005). Zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Preis der Literaturhäuser und den Droste-Preis.
Weitere Infos und Kontakt unter: www.draesner.de

AVIVA-Tipp: Eine kleine Literaturgeschichte großer Schriftstellerinnen, unter die sich der Romancier Flaubert gemogelt hat. Die Autorin hält sich in der Darstellung von Leben und Werk ihrer Kolleginnen keineswegs bescheiden im Hintergrund, sondern winkt uns von jeder Seite zu, mit ihren Anmerkungen und Fragen, Einfällen und Nachdichtungen. Dieses Buch macht das Gegenteil von dem, was strenge Literaturwissenschaft gemeinhin tut. Es analysiert nicht, sondern behauptet, und es bezieht Betrachtungen zu den Lebensumständen der Autorinnen in die Interpretation der Werke ein. Wer ein solch unorthodoxes Herangehen mag, wird hier mit Gedankenschnörkeln und Einblicken in die Werkstatt einer Schriftstellerin belohnt.


Ulrike Drasener
Schöne Frauen lesen

Über Ingeborg Bachmann, Annette von Droste-Hülshoff, Friederike Mayröcker, Virginia Woolf u.v.a.
Sammlung Luchterhand, erschienen September 2007
ISBN 978-3-630-62121-0
Taschenbuch, 224 Seiten, Preis 8,00 Euro

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Beitrag vom 05.09.2008

AVIVA-Redaktion