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AVIVA-BERLIN.de im Dezember 2024 - Beitrag vom 23.05.2008


Pacific Palisades
Yvonne de Andrés

Verbannt ins Paradies. Wege deutschsprachiger SchriftstellerInnen ins kalifornische Exil (1932 – 1941). Das "Weimar unter Palmen", nicht weit von Los Angeles, war oft Ziel der in Europa Verfolgten.




Mit der Machtergreifung Hitlers am 30. Januar 1933 begann die Terrorherrschaft. Nach wenigen Wochen und Monaten waren fast alle Grundrechte eingeschränkt oder abgeschafft. Die Repressalien wandten sich gegen jüdische BürgerInnen sowie gegen nichtjüdische DemokratInnen, SozialistInnen und KommunistInnen.

"Am 26. Februar 1933, also am Sonntag vor dem Reichstagsbrand, telefonierte mit mir ein Herr des Auswärtigen Amtes: ´Ich komme also wie verabredet zum Abendessen!´ Da er nicht verabredet war, habe ich mir gesagt: Das ist eine Warnung! Der Herr kam und sagte zu meiner Mutter. ´Ihr Sohn fühlt sich doch am wohlsten in Paris. Er sollte wieder nach Paris gehen.´ Als mich die Mutter fragte, wie lange ich dort bleiben wolle, da warf der Herr ein: ´Ich würde sagen: Fünfzehn Jahre.´ Da wusste ich Bescheid! Das galt uns allen!" so berichtet Walter Mehring.

Der Exodus vieler KünstlerInnen, SchriftstellerInnen und WissenschaftlerInnen begann. Die ersten Exilstationen befanden sich meistens noch in Europa, in Erwartung einer baldigen Rückkehr. In Frankreich hatten sich deutschsprachiger SchriftstellerInnen in Paris oder in der kleinen "Kolonie" im südfranzösischem Sanary-sur-Mer angesiedelt. Mit dem Ausbruch des Krieges und dem Anschluss oder der Besetzung der europäischen Länder wurden die EmigrantInnen zur Fortsetzung ihrer Flucht gezwungen. Die "zweite Heimat" Frankreich wurde für viele zur Falle, da sich die Ausreise schwierig gestaltete. Nur noch in Marseille und Nizza arbeiteten ausländische Konsulate und stellten "visa de sortie" aus. Ohne Ausreisepapiere kam man jedoch nicht weiter. Eine Einreise in die USA war nicht einfach, für WissenschaftlerInnen gab es die so genannte "Non-Quota-Visa", auch für SchriftstellerInnen gab es "Special Emergency Visa".

Private US-Hilfsorganisationen konnten in den Jahren 1940-41 Listen mit gefährdeten Personen einreichen, so konnten Visa-Erteilungen beschleunigt werden. Zusätzlich mussten "Affidavits" vorliegen, die die Offenlegung der materiellen Verhältnisse und die Unterhaltsituation für die nächsten fünf Jahre beinhalteten. Darüber hinaus war ein polizeiliches Führungszeugnis nötig, das z. B. deutsche Juden bei den deutschen Behörden beantragen mussten. Während die USA rigide an der Einwanderungsquote festhielten, arbeiteten private Hilfsorganisationen sehr effektiv. Eine besondere Rolle spielte dabei das 1940 gegründete "Emergency Rescue Commitee" und sein Vertreter in Marseille, Varian Fry.

Silke Schulenburg eine der AutorInnen von "Pacific Palisades", schreibt in ihrem Beitrag: "Ausgestattet mit größeren Geldbeträgen und einer Namensliste gefährdeter Intellektueller organisierte Fry die Befreiung Inhaftierter aus den französischen Konzentrationslagern, beschaffte gefälschte Pässe und Visa und erkundete Fluchtwege über die Pyrenäen nach Spanien (…) Innerhalb eines Jahres ermöglichte Fry auf diese Weise mehreren hundert Flüchtlingen die Ausreise aus Frankreich".

Glücklich war, wer endlich in Kalifornien (USA) angekommen und den Schergen des Dritten Reiches entronnen war. Viele erlebten die neue Situation jedoch persönlich sehr zwiespältig. Oft gelang der Neuanfang nicht, der ständige Kampf um materielle Sicherheit gestaltete sich als schwierig. Vielen fiel die Tätigkeit als Auftragsschreiber von Drehbüchern für Filmstudios sehr schwer. Für die meisten blieb die Sprache die große Barriere. In USA gab es keinen nur deutschsprachigen Exilverlag und somit war die Möglichkeit zu publizieren sehr beschränkt.

Dieser kleine wunderschöne Band beschreibt die Wege ins Exil von zehn Autorinnen und Autoren: Theodor W. Adorno, Vicki Baum, Bertolt Brecht, Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger, Heinrich und Thomas Mann, Ludwig Marcuse, Walter Mehring und Franz Werfel.

Zu den AutorInnen:

Dr. Simone Eick, gebürtige Hannoveranerin, promovierte nach ihrem Studium der Geschichte und Philosophie über deutsche Amerika-Auswanderer im 19. Jahrhundert an der Universität Hannover. Es folgte ein Forschungsaufenthalt in den USA. Nach einem Volontariat übernahm sie die wissenschaftliche Leitung im Konzeptteam des Deutschen Auswandererhauses bei Studio Andreas Heller in Hamburg. Seit Januar 2006 ist Eick die Direktorin des Deutschen Auswandererhauses in Bremerhaven.

Brigitte Landes, in Frankfurt am Main geboren, arbeitet als freiberufliche Regisseurin, Dramaturgin, Übersetzerin (u.a. der Stücke von Edward Bond) und Autorin. 1999 konzipierte und organisierte sie im Auftrag der Kulturstiftung Weimar die künstlerische Präsentation von Goethes 250. Geburtstag, für die EXPO 2000 in Hannover die Literaturwoche "Wörterwelten" sowie für Suhrkamp das 50–jährige Verlagsjubiläum im Schauspiel Frankfurt. Als Dramaturgin war Brigitte Landes bis 1994 am Thalia Theater Hamburg tätig, zuletzt als Gast am Theater Basel, wo sie mit Michael Thalheimer arbeitete. Seit 1994 inszeniert sie auch selbst an verschiedenen deutschsprachigen Theatern.

Silke Schulenburg, Literaturwissenschaftlerin, Arbeitsschwerpunkte: Film im Dritten Reich, posthume Rezeptionsgeschichte Thomas Manns, seit Januar 2004 wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Kulturstiftung Hansestadt Lübeck, Kuratorin der Ausstellung "Das zweite Leben. Thomas Mann 1955-2005".

Dr. Heinrich Wefing, geb. 1965, leitet das Feuilleton-Büro der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in Berlin. Zahlreiche Veröffentlichungen, u.a. 2001 "Kulisse der Macht. Das Berliner Kanzleramt", mehrere Auszeichnungen, so 2006 der Kritikerpreis des BDA, 2005 der Journalistenpreis "Politik und Kultur" des Deutschen Kulturrats, 2000 der Helmut-Sonntag-Preis des Deutschen Bibliotheksverbandes.

AVIVA-Tipp: "Exil ist eine exterritoriale, auf die Rückkehr in die Heimat abzielende Daseinsform". Das Paradies am Pazifik, in dem sich viele deutsche SchriftstellerInnen, MusikerInnen, KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen einfanden, hatte auch Schattenseiten. Ein Band, der diese Geschichte sehr gut nachzeichnet.


Pacific Palisades
Wege deutschsprachiger Schriftsteller ins Kalifornische Exil 1931-1942
Hrsg. Dr. Simone Eick/ Brigitte Landes/ Silke Schulenbug/ Dr. Heinrich Wefing

marebuchverlag, erschienen Dezember 2007
Kartoniert/Broschiert, 80 S. m. zahlr. Fotos. 21 cm
ISBN: 9783936384664
11,80 Euro


Literatur

Beitrag vom 23.05.2008

Yvonne de Andrés