Eva Erben. Mich hat man vergessen - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Literatur



AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 04.04.2008


Eva Erben. Mich hat man vergessen
Kristina Tencic

Die Erinnerungen des jüdischen Mädchens Eva Erben an Ghetto, KZ und Todesmarsch sind kaum vorstellbar. Vierzig Jahre nach ihrer Flucht erzählte sie der Schulklasse ihres Sohnes, ...




...was damals geschah und mit diesem Buch auch allen anderen Schulkindern dieser Welt. Somit können sie sich selbst ein Bild davon machen, wie es war, eine der Millionen Verfolgten zu sein.

Die tragische Lebensgeschichte
Ein Mädchen lebt mit ihren Eltern in Tschechien. Doch leider nicht zu der heutigen Zeit, sonst wäre diese Information nicht weiter ungewöhnlich. Geboren 1930, wächst Eva Erben in Böhmen mit der deutschen und der tschechischen Sprache auf, erlebt eine schöne Kindheit, hat Freundinnen und geht gerne zur Schule. Doch das Glück hält nicht lange an. Nach den Sommerferien darf sie nicht in die 5. Klasse gehen, die Nazi-Deutschen haben Prag besetzt und zwingen der Bevölkerung ihre Rassengesetze auf. Von nun an wird Eva mit anderen jüdischen Mädchen von einer, ebenfalls suspendierten, jüdischen Lehrerin privat unterrichtet. Doch auch dieser Zustand sollte nicht lange währen – die Familie wird ins Ghetto Theresienstadt deportiert, wo sie und ihre Mutter, von ihrem Vater getrennt, zusammengepfercht auf engstem Raum mit Fremden leben müssen.

In dem tristen, von Hunger geprägten Alltag in Theresienstadt gibt es nur kleine Lichtblicke. So einer ist Evas Teilnahme bei der Kinderoper "Brundibar", welche die Nazis zu Propagandazwecken zuließen. Nach drei Jahren hat sich die Familie schon fast an das karge Leben im Ghetto gewöhnt, als sie nach Auschwitz deportiert werden und nur eine Notlüge Eva am Leben lässt. Anfang 1945, als die Nazis die vorrückenden Russen fürchten, wird sie mit ihrer Mutter auf einen der qualvollen Todesmärsche geschickt. Ein Zufall rettet Eva, die von nun an allein auf der Welt ist, vor dem sicheren Tod, denn "Mich hat man vergessen".

"Mutter schloss die Augen, zog mich an sich und flüsterte mir zu: ´Es tut mir leid, Eva. Ich muss dich verlassen, ich kann nicht mehr...´. Sie küsste mich und sah mich mit Augen an, aus denen der Tod starrte. Ich redete auf sie ein, ich redete, um nicht zur Kenntnis zu nehmen, dass meine Mutter gestorben war, hier neben mir, in diesem Augenblick. Die Tür ging auf und wir erhielten unsere Brotration. Die Frau, die das Brot verteilte, warf auch Mutter eine Scheibe zu, denn die Tote sah aus, als ob sie schlief. An diesem Abend aß ich zwei Scheiben Brot."

Mich hat man vergessen
Die unvorstellbar grausamen Geschehnisse dieser Zeit werden in Eva Erbens Erinnerungen eindringlich, aber behutsam geschildert, so dass es sehr gut für Kinder ab 12 Jahren geeignet ist. Eva Erben erzählt in einer einfachen Sprache, ganz so, als ob sie selbst noch das Kind wäre, welches gerade erst vor den Nazis entkommen ist. Verständlich wird dies durch den Anlass zu diesem Buch. 1979 wurde Eva Erben von der Lehrerin ihres jüngsten Sohnes Amir gebeten, ihre Erlebnisse vor der Klasse zu berichten. Die Einwilligung zu diesem Gespräch fiel ihr nicht leicht, aber sie erkannte die große Verantwortung den jungen Menschen gegenüber und fing an zu sprechen.

Wichtig und gut ist, dass die Erzählung nicht etwa nach ihrer Flucht endet, sondern die Zeit danach eine ebenso große Bedeutung zugewiesen bekommt. Wie ist es möglich, nach solch einem Leben, bzw. Überleben wieder in die Schule zu gehen, Freundschaften zu knüpfen oder Entscheidungen für die Zukunft zu treffen? Eva Erben erzählt in ihren Erinnerungen auch von der Emigration nach Israel, ihrer Familiengründung und dem Wiedersehen mit Europa und ihren RetterInnen, was einen ganzheitlichen Blick auf das Leben des Holocaust-Opfers zulässt.

AVIVA-Tipp: Die Lebensgeschichte Eva Erbens ist anrührend, nah und verständlich erzählt. Das Nachwort und das Interview mit Eva Erben setzt das "Mosaik der Erinnerungen" zu einem einheitlichen Bild zusammen, indem es die Lebensgeschichte mit geschichtlichen Daten unterfüttert. Das Buch schildert die Geschehnisse so sachlich wie nötig, ohne dabei die Anschaulichkeit und Tiefe zu verlieren. Eva Erben reicht den Kindern die Hand, indem sie sagt, dass es schrecklich war, was ihr zugestoßen ist, aber die Hoffnung niemals aufgegeben werden darf. "Mich hat man vergessen" ist ebenso eine traurige Vergangenheits-, als auch eine zuversichtliche Zukunftsgeschichte.

Zur Autorin: Eva Erben ist 1930 in Decin/CSR geboren, wuchs als Kind jüdischer Eltern in Prag auf. 1941 wurde die Familie nach Theresienstadt und 1944 nach Auschwitz deportiert. Eva überlebte sowohl die Konzentrationslager als auch den Todesmarsch. Sie wurde von tschechischen Bauern liebevoll aufgenommen und gepflegt, kehrte später nach Prag zurück und wanderte 1949 nach Israel aus. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Ashkelon.

Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
Das Interview mit Eva Erben
Das Hörbuch "Mich hat man vergessen", gelesen von Barbara Nüsse und das Hörbuch nach der Geschichte von Uri Orlev, "Der Mann von der anderen Seite".

Eva Erben
Mich hat man vergessen. Erinnerungen eines jüdischen Mädchens

Aus dem Hebräischen von Nathan Jessen
Gulliver Verlag, erschienen 2005
104 Seiten, 8 Abbildungen S/W
Ab 12 Jahren
ISBN 978-3-407-78956-3
5,90 Euro


Literatur

Beitrag vom 04.04.2008

Kristina Tencic