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AVIVA-BERLIN.de im Mai 2024 - Beitrag vom 22.03.2008


Rigoberta Menchú Tum – Das Mädchen aus Chimel
Jana Muschick

Die Erzählungen der Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú Tum berichten von einer fernen Zeit in Guatemala, in der die Bäume sprechen konnten und alles in Ordnung zu sein schien.




Im Staat Guatemala legen bis zum heutigen Tag unzählige, zum größten Teil noch nicht erfasste Maya-Ruinen das Zeugnis einer jahrtausende alten Geschichte ab. Trotz dieser reichen kulturellen Schätze ist das Land verarmt, denn ab 1960 herrschte ein erbitterter Bürgerkrieg, der erst im Jahr 1996 formal durch die Unterzeichnung eines Friedensvertrages aufgehoben werden konnte.

Chimel liegt in dem zentralamerikanischen Staat Guatemala, in dem bis zu 40 Prozent der Bevölkerung Indigene sind, zum größten Teil aus den Völkergruppen der Maya. Auch die Autorin von Das Mädchen aus Chimel stammt aus diesem Dorf. Rigoberta Menchú Tum ist eine guatemaltekische Menschenrechtsaktivistin, die 1992 als bislang jüngste Preisträgerin den Friedensnobelpreis erhielt.

Die im Märchenstil gehaltenen Erzählungen aus Das Mädchen aus Chimel zeigen Episoden aus Rigoberta Menchús Kindheit. Die Entstehung des Dorfes, in dem das Mädchen geboren wurde, scheint aus den Augen der kindlichen Erzählerin mit der Ankunft des Großvaters zu beginnen: "Großvater kam vor hundert Jahren in das Dorf. Er kam von weit her, zu Fuß."
Rigoberta lauscht oft ihrem Opa, der die Erlebnisse seines Lebens mit den Erfahrungen aus der Natur und dem Glauben an die alten Maja-Weisheiten vermischt. In diesen Glauben ist sie hinein geboren. Der Glaube besagt zum Beispiel, dass zum gleichen Zeitpunkt, in dem ein Kind geboren wird, ein Tier zur Welt kommt, das genauso empfindet wie dieser neugeborene Mensch: "Alles, was uns geschieht, geschieht auch ihm. Und alles was ihm geschieht, geschieht auch uns. Manchmal ist dieses Tier klüger als wir, weiß um das Böse und die Gefahren des Lebens, und es beschützt uns unmittelbar, wie es sich selbst schützt. Deshalb muss man die Tiere sehr achten."

Die Erzählungen von Rigoberta erinnern an eine längst vergangene Zeit und zeigen den Frieden und die Ruhe, in der die indigenen Völker Guatemalas einst lebten. Auch der Umgang mit der Natur ist von viel größerer Ehrfurcht und starker Achtung geprägt, als es heute der Fall zu sein scheint.

Zur Autorin: Rigoberta Menchú Tum wurde 1959 als Kind einer Bauernfamilie in Chimel als Quiche-Maya geboren. Ihr Leben wurde schon in jungen Jahren von dem Elend und der Unterdrückung der indigenen Völker Guatemalas bestimmt.
Die Erzählungen in "Das Mädchen aus Chimel" sind, entgegen Rigoberta Menchús grausamen Erfahrungen, nicht von kriegerischen Szenen gezeichnet. Vielmehr erscheinen die Erinnerungen der Erzählerin alles Traumatische auszublenden, das ihr als Kind widerfahren ist, auch wenn KritikerInnen behaupten, dass Teile ihrer Autobiografie aufgebauscht erscheinen.
Die Eltern von Rigoberta Menchú Tum sowie einer ihrer Brüder kamen in den Zeiten der Unterdrückung durch die Militärdiktatur ums Leben. 1979 schloss sich die Guatemaltekerin einer bäuerlichen Widerstandsbewegung an, lernte Spanisch und andere Mayasprachen und unterrichtete die Landbevölkerung.
1981 musste Rigoberta Menchú Tum nach Mexiko fliehen. 1992 wurde sie mit dem Friedensnobelpreis für das energische Eintreten der Rechte der indigenen Völker und gegen die Unterdrückung in Guatemala geehrt. Heute ist sie Promoterin der Internationalen Dekade der Indigenen Völker und persönliche Beraterin des Generaldirektors der Unesco. (Quelle: Verlagsinformation)

Zur Illustratorin: Barbara Steinitz leitete Kunstkurse im Kulturhaus Casa de los Tres Mundos in Granada/ Nicaragua, nachdem sie in Saarbrücken und Barcelona Illustration studiert hatte.

AVIVA-Tipp: Die Illustrationen von Barbara Steinitz erscheinen zu gewollt melancholisch und zu düster, um die kindliche Wahrnehmung von Rigoberta und den Reichtum des durch die Erzählerin vermittelten Glaubens darstellen zu können. Vielleicht sollen sie den Bruch in der Kindheit von Rigoberta Menchú zeigen, den sie durch die harten Zeiten des Krieges erleben musste. Dennoch widersprechen sich Illustrationen und Text in ihrem Ausdruck und dadurch bekommt das Buch ein Ungleichgewicht, das mit einer Auswahl von dynamischeren, einfacheren Bildern hätte verhindert werden können. "Das Mädchen aus Chimel" gibt keinen Einblick in das "reale" Leben der Landbevölkerung Guatemalas. Aber es hinterlässt einen tiefen Eindruck von dem Glauben der alten Maya-Völker, der sich bis in unsere Zeit hinein bewahren konnte.


Rigoberta Menchú Tum
Das Mädchen aus Chimel

Originaltitel: La Bambina de Chimel
Übersetzt von Sigrid Groß
Mit Illustrationen von Barbara Steinitz
Peter Hammer Verlag, erschienen Oktober 2007
56 Seiten, halbleinen
ISBN: 978-3-7795-0148-0
Preis: 15,90 Euro


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Beitrag vom 22.03.2008

AVIVA-Redaktion