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Beitrag vom 28.02.2008
Gwendoline Riley - Cold Water
Stefanie Denkert
Vor sechs Jahren erschien ihr preisgekröntes Debut in England, nun überzeugt auch die deutsche Fassung von Ms Rileys Coming-of-Age-Roman über eine eigenwillige junge Barkeeperin in Manchester.
Manchester, England: Regnerische Industriestadt, (multi)kulturelle Hochburg und Heimat von Bands wie Joy Division oder Oasis. Es ist aber auch die Wahlheimat von Carmel McKisco, Ich-Erzählerin in "Cold Water", die uns für einige Monate Einblick in ihr Leben gewährt. Die 20 jährige ist nach dem Tod ihres gewalttätigen Vaters vom Dorf in die Stadt gezogen, wo sie nun seit zwei Jahren als Barkeeperin in derselben Kneipe arbeitet. Das ist jedoch eine der wenigen Konstanten in ihrem jungen Leben: nachdem ihre Beziehung zu Tony, ihrer ersten großen Liebe, gescheitert ist, geht sie weder feste Bindungen zu Männern, noch Freundschaften zu Frauen ein. Sowohl Nähe als auch Besitz beeinträchtigen heute ihr Freiheitsgefühl: "Früher zeriss es mir das Herz, wenn ich meine Bücher und Platten verkaufen musste, doch jetzt macht es mir Spaß. Ich fühle mich wie von Ballast befreit."
Nach ihrer abendlichen Arbeit in der Kneipe, zieht Carmel durch Manchesters Nachtleben, besucht Bars, Konzerte oder Clubs. Ob nachts oder tagsüber bei Kinobesuchen, Tagesausflügen, Dates - immer dabei sind Alkohol und Sehnsucht. Träume von einer zukünftigen heilen Welt in Cornwall, bittersüße Erinnerungen an ihren Ex-Freund Tony sowie an ihren Jugendhelden, den Rocksänger Steven, der mittlerweile ein Dasein als heruntergekommener Junkie fristet. Umgeben ist Carmel meist von ihren Kolleginnen und den exzentrischen Stammgästen aus der Bar, von denen viele zwar große Träume haben, aber nie etwas in die Tat umsetzen. Mit ihnen und in ihren löchrigen Converse Chuck´s strauchelt Carmel durch die Regenpfützen der Stadt.
"Dieser Song ist über eine Spinne, die sich in ihrem eigenen Netz verfängt" erklärt ein Bekannter von Carmel das nächste Lied, das seine Band bei einem Konzert spielen wird. Damit könnte er Carmel und ihr Netz aus trauriger Vergangenheit, trister Gegenwart und ungeschriebener Zukunft gemeint haben. Ob Manchester nur Zwischenstation ist oder Carmels Endstation wird, bleibt unklar. Zwar träumt sie von Cornwall mit seiner schönen "Flora und Fauna", aber auf einen grünen Zweig kommt sie noch nicht so recht.
Ursprünglich wollte Gwendoline Riley ihr Erstlingswerk "Innocent When We Dream" nennen, denn das ist gleichzeitig der Titel eines Tom Waits Songs, den sich ihre Protagonistin im Alkoholrausch auf den unteren Rücken tätowieren ließ. Letztendlich entschied sich die damals erst 22 jährige Schriftstellerin für den weniger kitschigen Titel "Cold Water" - wegen der Assoziation zum regnerischen Manchester. Zudem sei kaltes Wasser sowohl "schockierend als auch erfrischend", es passe also zu der Art, wie "Carmels romantisches Feuer ausgelöscht wird", erklärte Gwendoline Riley in einem Interview mit Bookmunch anlässlich der Veröffentlichung ihres Debutromans in England. Bei Carmel wird man das Gefühl nicht los, dass sie Angst davor hat, sich selbst ins kalte Wasser zu schmeißen, einen Schritt nach vorn zu gehen. Stattdessen wartet sie lieber ab, verharrt orientierungslos an der Schwelle zum Erwachsenwerden.
AVIVA-Tipp: Schnell liest frau sich durch "Cold Water" und seine 160 Seiten - das liegt an Gwendoline Riley´s ruhigem aber lebendigem Erzählfluss, der mit Bukowski-Ironie und häufig kurzen Sätzen die Stimmung von Manchester parallel zu Carmels Lebenssituation brillant wiedergibt. Ein außergewöhnlicher Roman über die Schwierigkeiten des Erwachsenwerdens, ein großartiges Debut und eine wunderbare Lektüre!
Zur Autorin: Gwendoline Riley, geboren 1979, lebt und schreibt in Manchester. Ihr erster Roman "Cold Water" wurde in England mit dem Betty Trask Award 2002 ausgezeichnet (2001 erhielt Zadie Smith den Preis für das beste Debut des Jahres). Ähnlich wie ihre Protagonistin Carmel hat Riley früher in einer Bar gearbeitet und war in der Musikszene Manchesters unterwegs, ihr Ex-Freund ist bei der Britrock-Band Maximo Park. Mittlerweile langweilt Riley nach eigenen Aussagen das Ausgehen, sie lebt zurückgezogen und schreibt fleißig Romane. Auf Englisch sind seit ihrem Debut folgende Romane erschienen: "Joshua Spassky", "Tuesday Nights and Wednesday Mornings" und "Sick Notes".
Gwendoline Riley - Cold Water
Ãœbersetzt von Sigrid Ruschmeier
Schöffling & Co. Verlag, 1. Aufl., erschienen im Januar 2008
Gebundene Ausgabe, 160 Seiten
ISBN-10: 3895613541
ISBN-13: 978-3895613548
17,90 Euro