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Beitrag vom 08.12.2011
Sandra Danicke - Rauchende Frauen - brandgefährlich
Lisa Scheibner
Die Zigarette zwischen weiblichen Lippen: verrucht, gewagt, unschlagbar lässig. Rauchen ist für Frauen schon seit mehr als einem Jahrhundert ein Symbol, mit dem sie ihre Unabhängigkeit...
... im Leben und Denken öffentlich demonstrieren.
Die Kunsthistorikerin Sandra Danicke ist seit ihrer Kindheit fasziniert von rauchenden Frauen und setzt mit ihrer Veröffentlichung "Rauchende Frauen brandgefährlich" den vielen Möglichkeiten zur Selbstinszenierung, die die Zigarette bietet, ein Denkmal. Sie wecke allerlei Fantasien und stelle eine "laszive Verschränkung von Sinnlichkeit und Vergänglichkeit, von Verführung und Abgrund" dar. Für ihren Bildband hat die Autorin 26 Portraits rauchender Frauen aus unterschiedlichen Zeitepochen zusammengestellt, darunter Gemälde und Fotografien.
Schon 1862 malte Édouard Manet eine Romni mit Zigarette, die aktuellste Raucherin ist eine junge, reiche Russin mit Nerz, Zigarre und gleich zwei Martini-Cocktails vor sich auf dem Tisch, die Martin Parr 2007 fotografierte.
Es war lange vor allem der männliche Blick ist, der nicht von der Rauchenden lassen konnte: unter den im Buch vertretenen KünstlerInnen befinden sich nur sechs Frauen.
Die Arbeiten werden von kurzen Texten begleitet, in denen Danicke Hintergründe des jeweiligen Werks und Informationen über die KünstlerInnen zusammenfasst. So erfährt die Leserin etwa, dass rauchende Frauen stark mit sexueller Symbolik verbunden wurden: Vor allem in den Malereien des 19ten und frühen 20sten Jahrhunderts gibt es viele Motive, in denen die Frauen sich auf dem Kanapee räkeln und/oder gar völlig nackt sind, wie etwa bei Félix Vallottons rätselhaftem Paar "La Blanche et la Noire" aus dem Jahre 1913.
Die Zigarette zwischen den Lippen der Frau als Andeutung für Geschlechtsverkehr ist selbst noch 1979 bei Tom Wesselmanns "Smoker #9" präsent, der sich seine Motive in Werbung und Pornografie zu suchen pflegte.
Die Raucherin als großstädtische Intellektuelle
In den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts wird die Zigarette vor allem ein Symbol für die Unabhängigkeit der Frau. Christian Schad malte 1928 die Sekretärin "Sonja", die wie eine echte Bohèmienne wirkt in ihrer ernsthaften, modernen Eleganz, und ihre Camel mit Zigarettenspitze im romanischen Café in Berlin genießt.
Auch in Otto Dix` "Bildnis der Journalistin Silvia von Harden" von 1926 ist eine Frau im Café zu sehen. Der Überlieferung nach zierte sich die Journalistin und Lyrikerin zunächst: "Sie wollen meine glanzlosen Augen, meine verschnörkelten Ohren, (...) meinen dünnen Mund - Sie wollen meine langen Hände, die kurzen Beine, die großen Füße malen?" Genau das wollte Dix. Denn noch heute erkennt mensch in dem Portrait sogleich eine Intellektuelle: das Monokel, die Hand mit Zigarette, die sie zum Gestikulieren beim Reden benutzt, der Drink, der herabgerutschte Strumpf, das Karo-Kleid, das unprätentiös, aber dennoch wie ein Statement wirkt - alles an dieser Frau ist besonders. Sie scheint ganz klar zu wissen, was sie denkt und schreiben will, sie wird diejenige sein, die im Gespräch die Führung übernimmt.
Ganz anders bei Edward Hoppers "A Woman in the Sun" von 1961. Die erschöpft aussehende Frau wärmt ihren blassen, nackten Körper im einfallenden Sonnenlicht. Die Zigarette mag eine Art erster Nahrung sein, mit der sie sich einsam auf den Tag vorbereitet.
Kippen und Kunst
Bei den zeitgenössischen Künstlerinnen wird dem Rauchen laut Danicke wieder eine neue, rebellische Funktion zuteil. Die Medienkünstlerin VALIE EXPORT benannte sich sogar nach der Zigarettenmarke, die sie rauchte, was sie in dem Bild "Smart Export Transfer Identity" von 1970 nachträglich festhält.
Auch Sarah Lucas inszeniert sich selbst. In "Self Portrait: Smoking" von 1998 ist sie kopfüber zu sehen, auf dem Rücken liegend, mit leerem Blick, scheinbar kontemplativ Zigarettenrauch ausstoßend. Die Betrachterin wohnt einem intimen Moment bei, in dem Lucas cool und unabhängig über ihre eigenen Visionen nachzudenken scheint. Ihre Beziehung zur Zigarette geht aber noch weiter: nach eigener Aussage hat sie den Drang, Hunderte von Zigaretten auf ihre Skulpturen zu kleben, was sie "als eine Form der Masturbation" beschreibt, weil es sie dermaßen befriedigt, wie wir im Begleittext erfahren.
In Hanna & Klara Lidéns fotografischer Inszenierung "Untitled (Sisters)" (2006) ist das Qualmen hingegen eher beiläufig. Dennoch, mit Gummistiefeln, Hammer und Schaufel vor einem Bagger macht es sich gut.
Auf anderen Bildern wird die Zigarette zum bedeutungsvollen Accessoire: Bei Frida Kahlos "Ich und meine Papageien" (1941) ist sie ein merkwürdiges Detail, das die Künstlerin trotz traditioneller Frisur und Kleidung als modern kennzeichnet, und in Wilhelm Sasnals ikonischem Gemälde von Peaches, "Girl Smoking (Peaches)" (2001), ist es vor allem die Fluppe im Mundwinkel, die die Musikerin erst erkennbar macht.
Es sind auch einige fotografische Portraits berühmter Raucherinnen vertreten, wie Henri Cartier-Bressons Aufnahme Coco Chanels als ältere Dame (1964) und Gisèle Freunds Fotografie von Virginia Woolf (1939).
"Rauchende Frauen brandgefährlich" ist keine ausführliche Kulturgeschichte des weiblichen Rauchens. Es ist eine inspirierende, kleine Sammlung von außergewöhnlichen Darstellungen, abgerundet mit kompakten Informationen und Danickes eigenen Betrachtungen. Letztere sind allerdings nicht immer überzeugend, etwa wenn sie rauchenden Filmschauspielerinnen besondere Intelligenz nachsagt oder über das Sexualleben der portraitierten Frauen recht simpel spekuliert.
Dennoch macht es Spaß, Frauenbilder anhand einer so oft polarisierten Tätigkeit wie dem Rauchen zu untersuchen. Diese Galerie lenkt den Blick auf ein wichtiges Detail, das mehr bedeuten kann, als mensch zunächst glauben mag: es erzählt viel über Zeit, Ort und Rollenbilder innerhalb derer die jeweilige Dame sich den Glimmstängel gönnt.
AVIVA-Tipp: In Gesellschaft und Einsamkeit, zur Selbstdarstellung oder Kontemplation, die Zigarette macht auf viele Arten süchtig. Sie verleiht Glamour, macht gefährlich, hilft beim Denken oder lässt eine einfach gut aussehen. Und es sind besonders die Raucherinnen, die KünstlerInnen schon lange inspiriert haben. Rauchende Frauen brandgefährlich bietet eine anregende Auswahl von Werken, kombiniert mit kurzen Beschreibungen und ist eine ideale Begleitlektüre für die eine oder andere Zigarettenpause...
Zur Autorin: Sandra Danicke, 1968 geboren, studierte Kunstgeschichte, machte eine Ausbildung zur Redakteurin und arbeitet für zahlreiche Kunst- und Kulturmagazine und Tageszeitungen als (Chef-)redakteurin oder freie Autorin, unter anderem bei art, DIE ZEIT, der Süddeutschen Zeitung und der Frankfurter Rundschau. Im Belser Verlag erschien zuletzt ihr Buch "Kunst interessiert keine Sau". Danicke hat das Rauchen inzwischen aufgegeben, nach eigener Aussage sei sie dazu wohl nicht "tough genug".
Sandra Danicke
Rauchende Frauen - brandgefährlich
Belser Verlag, erschienen 2011
Fester Einband, 64 Seiten mit 28 Abbildungen
ISBN 978-3-7630-2600-5
14,95 Euro
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
"Die Zigarette. Leben mit einer verführerischen Geliebten" von Cristina Peri Rossi
"Thank You For Smoking", Film (2006)
"Das Frauen-Nichtraucher-Buch" von Shirley Seul