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Beitrag vom 12.07.2008
Susanne Fengler - Heidiland
Tatjana Zilg
Ilka Fuchs, eine junge Ärztin, flüchtet vor den schlechten Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen aus Deutschland in die Schweiz, wo sie sofort eine gutbezahlte Stelle an einem Spital in Zürich bekommt
Mobilität gilt als eine wichtige Voraussetzung im globalen Wettbewerb um eine hohe Lebensqualität. Die Europäische Union vereinfacht die Ländergrenzen übergreifende Arbeitsplatzsuche. Auf der anderen Seite kämpfen die EU-Länder fast alle mit Verarmungsprozessen, die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Arbeitsbedingungen verschlechtern sich. Da lockt das Nachbarland, das hohe Löhne und einen ebenso hohen Bedarf an Arbeitskräften bietet, aber nicht zur EU gehört: Die Schweiz.
Die Autorin Susanne Fengler konfrontiert ihre Heldin mit den goldenen und den weniger goldenen Seiten des Landes, das für seine urigen Berglandschaften, Delikatessen-Schokolade, einen merkwürdig anmutenden Dialekt und nicht zuletzt den Heidi-Romanen von Johanna Spyri berühmt geworden ist. Streckenweise jedoch verfällt sie dabei allzu sehr in Schwärmereien über die scheinbaren Vorzüge der Schweiz, die durch Ilkas Augen immer wieder mit den negativ bewerteten Zuständen in Deutschland verglichen werden. Leider verliert die Leserin so das Gefühl, eine eigene Position beziehen zu können.
Ilka Fuchs ist die Tochter eines mittelständischen Unternehmers und lebt mit ihrem Freund Stefan, der sein Staatsexamen in Jura ständig aufschiebt und dadurch zum ewigen Student geworden ist, in Berlin. Sie selbst arbeitet nach einem erfolgreichen Medizinstudium als Assistenzärztin in einem Krankenhaus. Lange Schichten, mangelnde fachliche Betreuung, fahrlässiges Handeln des Pflegepersonals lassen geschehen, was oft befürchtet wird. Sie begeht einen Fauxpax und wird von ihrem Chef mit unendlichen Nachtschichten bestraft. Als ihr ein ehemaliger Studienfreund von seiner Tätigkeit an einem Spital in der Schweiz erzählt, erkennt sie einen Ausweg aus der sackgassen-ähnlichen Situation. Wenige Zeit später kann sie eine hochbezahlte Stelle in einem Züricher Spital antreten. Am Anfang läuft alles sehr gut, bis auf einige Vorfälle in ihrem Wohnhaus und auf der Meldebehörde. Die Beziehung zu ihrem Partner verschlechtert sich jedoch. Ohnehin bereits entfremdet, wird dies in der Fernbeziehung immer deutlicher.
Der Plot wird durch einige Nebensträngen bereichert. So holt llkas Vater einen jungen dynamischen Assistenten an seine Seite und plant eine Verlegung eines Teils der Produktion seiner Fabriken nach Moldawien. Dort verliebt er sich während seiner Erkundungsbesuche in eine junge Frau. Er ist ein dominanter Mann, der auch ständig Einfluss auf das Leben seiner Tochter nehmen möchte. Die Beziehung mit Stefan lehnt er ab und es gelingt ihm tatsächlich öfters, den Beiden das Leben zu erschweren.
Im letzten Drittel des Romans kommt es zu einigen sehr überraschenden Wendungen, wodurch viele der bisherigen Ereignisse noch mal in ein ganz anderes Licht geraten. Hier wäre eine frühere Vorbereitung wünschenswert gewesen. So wirkt der Roman im Mittelteil sehr langatmig und die Erzählung sehr um kleine Details bemüht, während sich dann die Handlung überschlägt und mit fast märchenhaft anmutenden Konfliktlösungen beendet wird.
Zur Autorin: Susanne Fengler, 1971 in Dortmund geboren, ging zunächst an eine Schauspielschule in New York und studierte dann Kommunikationswissenschaft in Berlin. Nach ihrer Promotion arbeitete sie zwei Jahre lang für eine große Partei. Sie lehrt Kommunikationswissenschaft in der Schweiz und lebt in Berlin. Als Aufbau Taschenbuch sind von ihr die Romane "Fräulein Schröder" sowie "Die Ballerina" erschienen. (Quelle: Verlagsinfo)
AVIVA-Tipp: Eine Stärke des Romans ist die feinsinnige Beobachtung der Charaktere durch die Schilderung vieler biografischer Hintergrundinfos, metapherhaften Vergleichen und inneren Erlebensprozessen. Auch über die Schweiz als Auswanderungsland erfährt die Leserin viel. Durch die Einflechtung der Original-Heidi-Story erhält der Plot zusätzliche Tiefe.
Susanne Fengler
Heidiland
Gustav Kiepenheuer Verlag, erschienen im Frühjahr 2008
Gebunden, 347 Seiten
ISBN 978-3-378-00684-3
19,95 Euro