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Beitrag vom 12.09.2011
Susann Pásztor - Ein fabelhafter Lügner
Leonie Schwarzer
Zur Feier des 100. Geburtstags ihres verstorbenen Vaters treffen sich drei Halbgeschwister, um seiner Vergangenheit auf die Spur zu kommen. Geplant ist ein gemeinsamer Besuch im KZ Buchenwald,..
...wohin er deportiert worden war.
Joschi Molnár war ein Märchenerzähler, der fünf Kinder mit fünf verschiedenen Frauen hatte. Drei von ihnen treffen sich jetzt für ein Wochenende in Weimar. Gabor ist der Älteste, ein zweifelnder Mensch und von Beruf Spielzeugtester. Hannah dagegen ist impulsiv und telefoniert ständig und überall. Marika ist die lockere, alleinerziehende Mutter, die am längsten von den dreien mit dem Vater zusammengelebt hat. Und dann ist da noch Lily, die Tochter von Marika, aus deren Sicht die LeserInnen das Familienwochenende hautnah erleben dürfen. Eigentlich ist sie mitgefahren, um für ein Referat über Buchenwald zu recherchieren. Für sie hat ein jüdischer Großvater in erster Linie pragmatische Vorteile:
"Wer einen jüdischen Großvater hat, ist automatisch bei den Guten, jedenfalls in meiner Schule. (...) Die Leute sind verunsichert, manchmal mitfühlend oder sogar ehrfürchtig. Und wenn die Situation stimmt, gewinnen auch meine Argumente dadurch an Schlagkraft. Wer widerspricht schon der Enkelin eines NS-Opfers, wenn sie im Ethikunterricht vor den Gefahren des Rechtsradikalismus warnt?" (S. 75)
Was folgt, ist ein skurril-komisches Wochenende mit vielen unerwarteten Überraschungen. Gabor und seine beiden Schwestern haben sich seit über dreißig Jahren nicht mehr gesehen, für Lily ist dieser Onkel völlig neu. Kein Wunder, dass der Umgang am Anfang noch sehr unbeholfen ist.
Schnell wird klar, dass jede/r der Drei einen anderen Joschi kannte. Als Gabor die Vermutung äußert, dass Joschi vielleicht nur angab Jude zu sein, um Entschädigungszahlungen zu bekommen, beginnt für die Geschwister eine schwierige Suche nach den eigenen Wurzeln, aber auch zu sich selbst.
Am Ende landen die Vier nach Joschis Geburtstagsfeier auf dem Polizeirevier und sind der wahren Familiengeschichte nicht wirklich näher gekommen – dafür aber vielleicht sich selbst und den anderen.
Im Interview mit dem Kiwi-Verlag erzählte Susann Pásztor, dass die Biografie von Joschi Molnár durchaus Parallelen zu der ihres Vaters aufweise. Wahrscheinlich auch deshalb gelingt es der Autorin, die Familiengeschichte so authentisch und feinfühlig zu beschreiben. Die Perspektive von Lily nahm sie nach eigenen Angaben ein, um genügend Distanz auf die Geschichte zu bewahren: "Mit 16 hat man einen sehr unbestechlichen Blick auf die Dinge, und gleichzeitig trägt man noch viel von der Magie aus der Kindheit in sich. Man wundert sich über vieles, aber man verurteilt es nicht sofort. Genau so eine Stimme wollte ich haben."
Detailverliebt erzählt uns Lily die Familienzusammenführung und nach nur drei Tagen haben auch die LeserInnen das Gefühl, Teil der Familie zu sein. Dieser Roman bezieht seinen Reiz nicht aus einer kompliziert konstruierten Handlung, sondern fesselt durch hitzige Dialoge, eine sensibel aufbereitete Identitätssuche und eine amüsante Erzählweise. Lily erklärt während des Besuchs in Buchenwald:
"Hebräische Schrift sieht aus, als hätte ein Künstler sie entworfen, und ein genervter Schriftgelehrter wäre hinterher noch mal drübergegangen und hätte sie aufs Allernötigste reduziert."(S. 93)
AVIVA-Tipp: Der leichtfüßig und kurzweilig verfasste Roman "Ein fabelhafter Lügner" behandelt das große Thema Wahrheitsfindung anhand einer rührenden Familienzusammenführung. Gleichzeitig steht aber auch die Suche nach der eigenen Identität im Mittelpunkt. Ob Joschi Molnár nun Jude war oder nicht, wissen die LeserInnen auch am Ende des Buches nicht. Dennoch stellt Lily im letzten Satz für sich fest: "Außerdem hatte ich plötzlich unheimlich Lust, Hebräisch zu lernen." Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass für unsere Definition von Identität nicht die ethnische Herkunft wichtig ist, als vielmehr unsere eigene persönliche Entscheidung darüber, welcher Gruppe wir uns zugehörig fühlen möchten.
Zur Autorin: Susann Pásztor, geboren 1957, hat nach ihrem Kunst- und Pädagogikstudium als Kinderbuchillustratorin zunächst anderer Leute Texte verschönt, bevor sie ihre eigenen zu schreiben begann. Seit 1991 arbeitet sie als freie Journalistin, Autorin, Texterin und Übersetzerin. "Ein fabelhafter Lügner" ist ihr erster Roman. Weitere Informationen zu finden Sie unter: www.kiwi-verlag.de
(Quelle: Verlagsinformation)
Susann Pásztor
Ein fabelhafter Lügner
Kiepenheuer & Witsch, erschienen März 2011
Taschenbuch, 208 Seiten
ISBN: 978-3-462-04310-5
7,99 Euro
Quellen: Interview mit Susann Pásztor