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Beitrag vom 14.10.2007
Ein Stück vom Meer. Das Romandebut von Aliza Olmert
Sharon Adler
Der autobiographisch geprägte Roman der kreativen First Lady erzählt von einem kleinen Mädchen, das 1949 mit seinen Eltern nach Israel emigriert. Die 1946 in einem Lager für "displaced persons"...
...geborene Aliza Olmert ist verheiratet mit Ehud Olmert, dem amtierenden israelischen Ministerpräsidenten. Sie, linke Aktivistin, er, liberaler Verfechter der konservativen Politik.
"Ein Stück vom Meer" - entstanden durch Briefe, die Aliza Olmert an ihre Schwester schrieb, um ihr den Prozess der Immigration zu beschreiben - wurde in Israel gefeiert und ist nun im Berliner Aufbau-Verlag erschienen.
Der Roman ist voller Parallelen zu Aliza Olmerts eigenem Leben und dem ihrer Familie, und erzählt zugleich die Geschichte der Gründerjahre in Israel, einer Zeit, die geprägt war vom Kampf ums Überleben: Endlich ankommen und gleichzeitig niemals ankommen in einer fremden Welt. Es ist die Reise aus einem Krieg in den anderen und erzählt von Visionen und Enttäuschung.
Damals wie heute gab es Hoffnung auf Frieden, und noch immer sind Juden in dieser Gegend nicht willkommen.
Es ist dies die Geschichte von Tausenden Shoa-Überlebender, die als Einwanderer in Israel einen neuen Anfang suchten, dort jedoch durch - oder wegen - ihrer Sprachlosigkeit ihre Kinder, die in erster Linie nur Teil der Gemeinschaft sein wollten, verunsicherten. Das Trauma der Shoa haben sie nie überwunden. Die, die noch leben und die nachfolgende zweite und dritte Generation, befindet sich noch heute in psychiatrischer Behandlung, um ihr Trauma zu überwinden.
Aus der Sicht der fünfjährigen Alusia erzählt Aliza Olmert authentisch, nüchtern, mitfühlend und packend zugleich vom Traum eines besseren Lebens. Das Startkapital für die Familie im Gelobten Land sollten einige Kisten mit Gürtelschnallen sein, die der Vater auf einem abgebrannten Fabrikgelände in München gefunden, und unter dem Protest der Mutter in den jungen Staat Israel mitgebracht hatte. "Du wirst sehen", sagte er zu Mutter, "noch bevor wir die ersten Kisten auspacken, werden die Vertreter der Armee kommen und mit mir Verträge unterschreiben." Doch der Vater, ein Ingenieur, hatte nicht gelernt, wie man irgendetwas - schon gar nicht Gürtelschnallen – verkauft. Sein Traum bleibt Illusion, er eine gescheiterte Existenz.
Anuschka, die melancholische Mutter, kann sich nicht mit den schwierigen Lebensumständen abfinden. Sie wollte lieber in einem "entwickelten Land" leben: in Amerika. Traumatisiert durch den Holocaust und den Verlust ihrer Familienangehörigen hat sie sich aufgegeben, lebt in ihrer Phantasiewelt und weigert sich, Hebräisch zu sprechen. Alusia, die Tochter, will nur von den anderen anerkannt werden und dazugehören. Doch gerade dies ist schwierig im jungen Staat.
Die neuen Einwanderer wurden von den Alteingesessenen der ersten und zweiten Einwanderungswelle nicht gut angesehen. Diese hatten sich schon eine Existenz aufgebaut und verhielten sich häufig ablehnend denen gegenüber, die mit nichts in den Händen ins Land kamen. Alusias Eltern werden konfrontiert mit Problemen der Wohnungsbeschaffung und den Lebensumständen im ärmlichen Viertel im Süden Tel Avivs, denn die Familie lebt in einem arabischen Haus in Manschija, das die ehemaligen Bewohner im israelischen Unabhängigkeitskrieg zurückließen. Die heranwachsende Tochter versteht intuitiv das Leid von Vater und Mutter, auch wenn darüber aus Trauer und Scham nicht gesprochen wird. Sie fühlt sich schuldig und will nur eines: ihre Eltern glücklich machen, denn sie weiß: "Wer ein Stück vom Meer sehen kann, muss glücklich sein."
Zur Autorin: Aliza Olmert wurde 1946 in Eschwege, Deutschland, geboren. Sie hat Dramen und Drehbücher verfasst und gehört zu den renommiertesten bildenden KünstlerInnen in Israel, und hat sich als Bildhauerin und Autorin von Dramen und Drehbüchern für Film und Theater wie “Jerusalem Between Heaven and Earth”, “Fantasy for a Piano”, “Pre-Matriculation Exam”, “Panama”, “A Slice of Sea”, und “Unwilling Epicurean” einen Namen gemacht. Sie ist mit Ehud Olmert, dem amtierenden israelischen Ministerpräsidenten, verheiratet und Mutter von vier Kindern. Aliza Olmert ist Vorsitzende etlicher Kinderhilfsorganisationen, setzt sich für die Belange von vernachlässigten, missbrauchten Kindern und Jugendlichen ein und engagiert sich in Menschenrechtsorganisationen. Seit 30 Jahren fotografiert sie Graffiti-Kunst in Israel, worüber sie kürzlich einen Bildband herausgegeben hat. Derzeit arbeitet Olmert an einem weiteren Buch: "Meine Tage im beigefarbenen Haus".
AVIVA-Tipp: "Ein Stück vom Meer" von Aliza Olmert ist kein gefälliges Buch. Zu verschachtelt ist die Geschichte, zu sperrig sind die Figuren. Doch gerade dies ist die Besonderheit in den Geschichten jüdischer Lebensläufe. Hier gibt es keine geraden Wege, und manchmal gibt es auch keine Zeiten für Gefühle, so Alusias Vater Olek: "Es gibt eine Zeit für Gefühle und es gibt eine für Taten. Entweder – oder, man kann nicht alles zusammen haben". Aliza Olmerts Debutroman ist ein wichtiges Werk für die junge Generation in Israel. Für die, die es heute nicht mehr nachvollziehen können, unter welchen Entbehrungen das Land zu dem gemacht wurde, was es heute ist. Die Übersetzung ins Deutsche macht auch den Weg frei für einen neuen Blick der Deutschen auf ein Land, das auch heute noch Flüchtlingslager für Menschen aller Nationalitäten ist. Empfehlenswert auch für die höheren Schulklassen.
Aliza Olmert
Ein Stück vom Meer
Originaltitel: Prussa shel yam
Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler, Eldad Stobezki
Gebunden, 368 Seiten
Aufbau-Verlag, erschienen Herbst 2007
978-3-351-03219-7
19,95 Euro / 38,60 Sfr