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Beitrag vom 18.08.2007
Die ganze Welt zu Hause - Cosmobile Putzfrauen in privaten Haushalten
Stefanie König
Unzählige qualifizierte Frauen verlassen ihre Heimat, um deutsche Wohnungen zu putzen. Maria Rerrich schildert eindrucksvoll einzelne Schicksale
der globalisierten häuslichen Dienstleistung.
"Frauen versorgen Familien von Frauen, die migrieren, um die Familien von Frauen zu versorgen."
Frauen sind trotz aller Unterschiede weltweit nach wie vor durch eine zentrale Gemeinsamkeit verbunden: Die Arbeit im Haushalt gilt als weiblich und ihre Verrichtung liegt in der Zuständigkeit von Frauen, egal ob als Hausfrau
oder Berufstätige, ob in Frankreich oder Mexiko, bezahlt oder unbezahlt.
Obwohl ein so zentrales Thema, betrifft Hausarbeit Frauen doch oft sehr unterschiedlich: Zum einen gibt es ein weltweit großes Angebot an äußerst
flexiblen Frauen, denen aufgrund der schlechten ökonomischen Situation
in ihren Heimatländern trotz guter Qualifikation meist nur eine Beschäftigung
in Privathaushalten reicher Länder bleibt. Zum anderen besteht bei Frauen gerade
in den westlichen Staaten Europas eine rege Nachfrage, da durch ihre erhöhte Berufstätigkeit die Ressourcen zur Verrichtung der Haus- und Familienarbeit knapp geworden sind. Deshalb suchen einheimische Beruftätige, die es sich leisten können, aber auch alte und bedürftige Menschen, nach bezahlter Entlastung im Haushalt.
Die Autorin zeigt auf, dass genau dieses Phänomen zu einer ganz neuen Trennlinie der gesellschaftlichen Über- und Unterordnung geführt hat, nämlich nicht mehr nur wie bisher zwischen den Geschlechtern, sondern zunehmend auch zwischen Frauen unterschiedlicher sozialer und vor allem nationaler Herkunft.
Im Zentrum des Buches steht eine Gruppe von Putzfrauen - auch "die Cosmobilen" genannt - die weder Einheimische noch "richtig" Zugewanderte sind. Sie pendeln in regelmäßigen Abständen zwischen Deutschland und ihrem Heimatland, in dem ihre Familie lebt. Das Buch ist der Versuch, nicht nur
die Arbeit dieser Menschen sichtbar zu machen, sondern auch das Leben,
das sie führen und die Gründe, weshalb sie nach Deutschland gekommen
sind. Dafür hat die Soziologieprofessorin Maria Rerrich mehrere "cosmobile Putzfrauen" in privaten Haushalten in München und Hamburg interviewt.
Zudem sprach sie mit Arbeitgeberinnen und Expertinnen aus Politik, Verwaltung
und der Sozialen Arbeit.
Schätzungen zufolge beschäftigen in Deutschland mehr als 4 Millionen Privathaushalte regelmäßig oder gelegentlich eine Putz- oder Haushaltshilfe.
Aber nur etwa 40.000 dieser häuslich Beschäftigten sind sozialversichert.
Frauen, die zudem auch noch "illegal" eingereist sind und keine Aufenthaltsgenehmigung haben, können oft nicht anders, als in der Schattenwelt zu arbeiten. Die Arbeit im Privathaushalt bietet sich hier an, weil sie vergleichsweise geschützt und gesellschaftlich unsichtbar ist. Im Leben dieser illegalen Migrantinnen spielen soziale Netzwerke, meist "ethnisch" strukturierte, eine große Rolle. Über sie funktionieren Einreise, Arbeitsvermittlung, gegenseitige Unterstützung und die regelmäßige Reise zur Familie in der Heimatstadt.
Des Weiteren erinnert Rerrich an die feministischen Debatten um Haushaltsarbeit in den 70er Jahren und kritisiert die "Alltagsvergessenheit" der Männer, durch die das Ende der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung bis heute nicht erreicht wurde.
Sie argumentiert, dass dieses "dirty little secret" des deutschen Wohlfahrtsstaats in den fehlenden institutionellen Betreuungsangeboten für Kinder, Alte und Kranke begründet liegt. Zum Schluss ihres Buches plädiert Rerrich für eine Repolitisierung des Privaten und ein neues gesellschaftliches Leitbild, in dem dieses Berufsfeld einen anderen Stellenwert erhält und die Sorge um die alltägliche Arbeit auf alle Mitglieder einer Gesellschaft umverteilt werden sollte.
"Der Arbeitsmarkt Privathaushalt ist ein riesiger, komplex strukturierter Weltmarkt geworden", schreibt sie, "und wer mit offenen Augen durch die Welt fährt, wird die Frauen, die in den privaten Haushalten arbeiten, an vielen Orten und auf allen Kontinenten antreffen. Denn so gut wie überall kann man inzwischen Haushaltshilfen aus der ganzen Welt bei der Arbeit im Haus entdecken - immer vorausgesetzt, man will sie wirklich wahrnehmen".
AVIVA-Tipp:
"Die ganze Welt zu Hause" gibt einen realistischen Einblick in die Lebenswelt einiger, zum Teil illegal in Deutschland lebender ausländischer Putzfrauen. Es liefert keinen empirischen Forschungsbeitrag über deren Arbeits- und Lebensbedingungen und erhebt auch nicht den Anspruch, repräsentativ zu sein. Das Buch richtet sich an ein breites Publikum, es liest sich leicht, hat keinen wissenschaftlichen Stil und ein gut kommentiertes Literaturverzeichnis. Trotz einiger Wiederholungen im Text, alles in allem ein interessantes und aufschlussreiches Buch über ein Thema, das bis jetzt immer still und leise unter den Teppich gekehrt wurde.
Zur Autorin: Prof. Dr. Phil. Maria S. Rerrich wurde 1952 geboren und ist seit 1993 Professorin an der FH für Sozialwissenschaften in München mit dem Fachbereich Sozialwesen. Im Wintersemester 2001 war sie Gastwissenschaftlerin am Hamburger Institut für Sozialforschung mit den Forschungsschwerpunkten: Soziale Ungleichheit und Geschlecht, illegale Migration von Frauen, Globalisierung des Arbeitsbereichs Privathaushalt und Soziologie der alltäglichen Lebensführung.
1997 erhielt sie den Helge Pross-Preis "für die Soziologie der Geschlechter oder
der Familie". Neben der wissenschaftlichen Arbeit ist ihr Engagement in der Frauenpolitik ein weiterer wichtiger Arbeitsschwerpunkt.
Maria Rerrich
Die ganze Welt zu Hause - Cosmobile Putzfrauen in privaten Haushalten
Verlag Hamburger Edition, erschienen September 2006
168 Seiten, gebunden
ISBN 978-3-936096-67-5
16,00 Euro