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Beitrag vom 01.02.2008
Die BDM-Generation herausgegeben von Dagmar Reese
Silvy Pommerenke
Die Erforschung vom "Bund Deutscher Mädel" stellt die AutorInnen des Sammelbandes auf eine schwierige Probe, da die zeitgenössische Literatur der Jahre 1933 bis 1945 – wen wundert es – den Fokus...
...explizit auf Jungen und Männer legte.
Das Buch, das im Rahmen der "Potsdamer Studien" veröffentlicht wurde, hat sich eines noch wenig erforschten Themas des Dritten Reiches angenommen. Sechs wissenschaftliche Autorinnen und ein Autor bearbeiten den Punkt der BDM-Generation und beleuchten ihn von unterschiedlichen Standpunkten.
Dabei wird auf die bestehenden Jugendgruppen der Weimarer Republik rekurriert, die so blumige Namen wie die "Wandervogelbewegung" trugen und noch nichts von den Schrecken der bevorstehenden Jahre in sich hatten. Die HistorikerInnen schildern die Auswirkungen des Ersten Weltkrieges auf die damalige Jugendbewegung, den Sog, den die nationalsozialistische Propaganda auf Mädchen und Jungen ausübte, und dass das Entstehen von Mädchengruppen in dem Terrorregime in einer bestimmten Form auch zu einer anfänglichen Emanzipation der weiblichen Jugendlichen beitrug. Eine fatale Ironie des Schicksals, wenn man die Intention, die Gehirnwäsche und vor allem die millionenfachen Opfer berücksichtigt, die zu dieser Form von einer gewissen Gleichrangigkeit von Jungen und Mädchen führte.
Des Weiteren wird dezidiert dargestellt, dass die Verhältnisse in Österreich deutlich anders als in Deutschland lagen, wie die Autorin Johanna Gehmacher nachweist, und es wird ein Fokus darauf gelegt, dass es eine Dreiteilung der Jugendlichen gab. Nämlich diejenigen, die die "Hitler-Jugend" (dies ist der Oberbegriff, der sowohl den "Bund Deutscher Mädel", also die 14 bis 18 jährigen Mädchen, als auch die "HJ", die im gleichen Alter betreffenden Jungen umschließt) ablehnten, auch wenn dies nur ein marginaler Teil war. Dann diejenigen, die die konträr dieser Gruppe gegenüberstehenden EnthusiastInnen betrifft, die in etwa die gleiche Größenordnung wie die ihrer WidersacherInnen hatte, und dann die weitaus größte Gruppe der sogenannten "Durchmogler", die aus innerer Gleichgültigkeit, Unwissenheit oder Schwäche dem Jugendbund der Nationalsozialisten beigetreten sind. Dass es nämlich durchaus Möglichkeiten gab, diesem Irrsinn auszuweichen, zeigen alle AutorInnen auf.
Zudem weist Louise Willmo auf die Problematik hin, dass es einfacher sei "die Entwicklung der Geschichte des Bundes Deutscher Mädel und seine Aktivitäten zu beschreiben als einzuschätzen, was die Organisation für Mädchen und junge Frauen sowie ihre Familien im Dritten Reich bedeutet hat." Dies wird, ohne Zweifel, auch in Zukunft ein schwer lösbares Problem sein, denn die meisten der "Ehemaligen" erkennen einen Fehltritt oder gar eine Schuld in ihrem Verhalten nicht an.
Um diesem Forschungsgegenstand sachlich entgegen zu treten, arbeiten die AutorInnen mit fundierten Quellen, Interviews von "Ehemaligen" und analysieren die ihnen vorliegenden Daten. Dabei kommen nicht wenig überraschende Erkenntnisse zu Tage: Zum Einen gab es damals schon eine geschlechtsspezifische Sozialisation, zum Anderen hat die Generation derjenigen, die ungefähr zwischen 1910 und 1930 geboren wurde, somit der "BDM-Generation" angehört, sich in der Nachkriegszeit weder kritisch mit ihrer Vergangenheit, noch mit ihrer Verantwortung auseinandergesetzt. Im Gegenteil, denn die meisten von ihnen verharmlosten sogar das NS-Regime. Eine bittere Erkenntnis, die bis heute Gültigkeit hat.
Weiterlesen: "Das BDM-Werk `Glaube und Schönheit`. Die Organisation junger Frauen im Nationalsozialismus" von Sabine Hering und Kurt Schilde (2003)
und "Der Führer braucht mich" von Gisela Miller-Kipp (2007)
Zur Herausgeberin: Dagmar Reese ist Soziologin und Bearbeiterin des DFG-Projekts "Georg Simmels Geschlechtertheorien im Fin de Siècle Berlin", das am Moses Mendelssohn Zentrum Potsdam angesiedelt ist.
AVIVA-Tipp: Für zeithistorisch interessierte LeserInnen, die ein gewisses wissenschaftliches Know How mitbringen, bedeutet dieser Sammelband etliche erhellende Momente in Bezug auf den "Bund Deutscher Mädel". Allerdings richten sich die "Potsdamer Studien" explizit an ein Fachpublikum, so dass der breiten Masse – die auch Interesse an diesem dunklen und unheilvollen Thema haben dürfte – der Zugang mit Sicherheit verschlossen bleibt.
Die BDM-Generation
Weibliche Jugendliche in Deutschland und Österreich im Nationalsozialismus
(Potsdamer Studien, Band 19)
Herausgegeben von Dagmar Reese
Verlag für Berlin-Brandenburg, Dezember 2007
Broschur, 368 Seiten
37 Schwarz-Weiß Abbildungen
ISBN: 978-3-86650-530-8
24,80 Euro