AVIVA-Berlin >
Kunst + Kultur > Kolumne
AVIVA-BERLIN.de im Dezember 2024 -
Beitrag vom 06.06.2011
Wer sieht hier eigentlich noch fern
Isabell Serauky
Schauen Sie noch in diesen schwarzen Kasten, der unsere Großeltern in jauchzende Verzückung versetzt hat? Das Fernsehen. Die Glotze. Die Mattscheibe. Das Tor zur Welt, in vergangener ...
... Betrachtungsweise, garantierte regelmäßig gepflegte Unterhaltung für die ganze Familie. Mit "Am laufenden Band", "Einer wird gewinnen" und "Dalli Dalli" gelang regelmäßig ein Feuerwerk der guten Laune, so berichten es zumindest mit tränennassen Augen die ZeitzeugInnen dieses fernen, kleinen Glücks. Denn, was kann uns das Fernsehen in Zeiten von Internet, iPhone und 24-Stunden Beschallung - Outdoor wie Indoor - überhaupt noch bedeuten?
In meinen, doch etwas fernerliegenden Studentinnentagen, war das Fernsehen ein fester Bestandteil des Lebens. Zwar drapierte ich es nicht gerade um das Fernsehprogramm herum, aber es machte sich eine gewisse, und durchaus merkliche, Verstimmung breit, wenn dann doch eine Folge von "Melrose Place" oder "Beverly Hills 90210" flöten ging. Mit mir entwickelten sich dann auch bald die FernsehmacherInnen rasant weiter und es kam als neues Fernsehhighlight "Ally McBeal" über den großen Teich zu uns. Welch neuartiges, ja geradezu revolutionäres Fernseh- und Unterhaltsgefühl überrollte uns da! Ja, es wurde sogar passend zur Serie eine ganze Generation ausgerufen: Generation Ally. O.k., als Betroffene wollen Sie davon nichts mehr wissen. Daher Schwamm drüber.
Bodenständig wurde es an meiner Fernsehfront zu den Hochzeiten meines Prüfungsstresses: "Alfredissimo!" Damals meine sichere Bank der Unterhaltung, frei von Risiken und Nebenwirkungen. Entspanntes Plaudern, umspült mit einem Gläschen Küchenwein und dabei emsiges Kochlöffelwedeln. Schöne heile Welt.
Ein letztes Aufflackern einer potentiell angelegten Fernseh-Mania brach mit "Sex and the City" über mich herein. Soviel Offenherzigkeit zu wirklich jedem Thema weiblicher Existenz musste erst einmal verdaut werden. Es stellt sich mir immer noch die Frage: Was wäre aus uns geworden, wenn die Mädelsriege nicht unseren Weg gekreuzt hätte? Unvorstellbar!
Aber seitdem? Fesselnde Momente vorm Fernseher, gar am Samstagabend? Fehlanzeige! Ich kann den Klängen der fidelen VolksmusikantInnen und den sinnenlehrten Plaudereien in den Samstagsabendshows so rein gar nichts abgewinnen. Ganz im Gegenteil, man müsste mir etwas zahlen, damit ich diese Verknappung des Einsatzes der Hirnwindungen überhaupt ertragen kann. Sehe ich mir das Fernsehprogramm an, überkommt mich regelmäßig pure Tristesse. Welch grausame Vorstellung, Folter gleich: Ich wäre auf das Gezappel und Gebrabbel in der Flimmerkiste angewiesen?!?
Und dabei stellt sich die Frage, warum ist es so wie es ist? Haben wir nichts anderes verdient? Warum glauben die Fernsehbosse, uns so unterirdisch unterhalten zu können? Ganze Wochen vergehen, ohne dass wir mehr als die Nachrichten im Fernsehen sehen und vermissen nicht einmal etwas dabei. Denn Sehnsucht setzt Hoffnung voraus, aber die ist schon weit, weit weg. Jeden Tag eine andere ermüdende, ambitionslose Politik-Talk-Show mit den ewig gleichen Plaudertaschen, gute Filme dümpeln nur zur Geisterstunde bei ARTE herum, mutige Eigenproduktionen werden zugunsten des Einkaufs müder US-Serien gelassen und selbst die traditionsreichen Freitagabend Talkshows sind plumpe Bauchläden von Anbietern für Bücher, CDs und Filmchen geworden. Spannende Gespräche sucht man in den Weiten der Kanäle vergeblich. Unsere Gebühren für den öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag versickern im täglichen Einheitsbrei. Soweit, so trist.
Im Umkehrschluss frag ich mich, was machen wir bloß mit unserer vielen fernsehfreien Zeit? Da der geplagte Großstadtmensch über nichts mehr klagt als über den Mangel an Zeit, kann doch in der Fernsehflaute eine ungeheure Chance liegen!
Aber nichts da. Während der X-te Heimtatfilm mit Christine Neubauer in der dreißigsten Wiederholung verlässlich über die Mattscheibe flimmert, Facebooken, Googeln und Skypen wir, bis die Drähte glühen.
Willkommen, schöne neue Medienwelt!
Es scheint, der Verlust des goldenen Fernsehzeitalters ist überwunden. Der Abschiedsschmerz war kurz. In jedem Fall suchen wir – gestern wie heute - nach medialer Ablenkung, Information und Unterhaltung. In welcher Form auch immer. Und diese werden sich rasant weiterentwickeln. Oder hätten Sie je geglaubt, dass wir mitten in der Pampa sitzend, via iPad den neuesten Christine Neubauer Film in XXXXL-Qualität sehen können? Eben!
Die Autorin Isabell Serauky ist Rechtsanwältin und arbeitet in einer Kanzlei im Berliner Prenzlauer Berg, www.jurati.de
Nächstes Thema: Von wegen – Urlaubszeit, schönste Zeit
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin – die Kolumnen von Isabell Serauky:
Von der Kunst in Berlin zu leben
Frühjahrsputz, rette sich wer kann
Warum wir bessere Menschen werden sollen
Berlin - ein Wintermärchen
Ihr Kinderlein kommet - Wo bleiben sie nur
In Kürbislaune - der Gang nach Canossa führt über den Wochenmarkt
Knackige Zwanzig - wuchs zusammen, was zusammengehört
Bitte - wer ist den hier alt. Von den Unverschämtheiten des Alters
Berliner Sommergefühl - Yogi Tee statt Caipirinha