Die AVIVA-Filmauswahl zur 72. Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022 – Filme von Regisseurinnen, Filme aus Israel, der Teddy Award und ein Blick auf das Gendermonitoring der Berlinale 2022 - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Kunst + Kultur Kino



AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 07.02.2022


Die AVIVA-Filmauswahl zur 72. Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022 – Filme von Regisseurinnen, Filme aus Israel, der Teddy Award und ein Blick auf das Gendermonitoring der Berlinale 2022
Helga Egetenmeier, Sharon Adler

Findet die Berlinale 2022 statt? Sie hätten sich nach zahlreichen Diskussionen für ein Präsenz-Festival entschieden, so die Festivalleitung, es gäbe keine Online-Planung, notfalls würde abgesagt. Geändert hat sich das Filmangebot, welches deutlich reduziert wurde, wie auch die Anzahl der Plätze im Kino. Kompakte Infos zum Filmfestival unter Corona-Bedingungen, zum Projekt "Wikipedia: Förderung/FilmFrauen-Berlinale 2022", zur Femmage und Goldenem Ehrenbär für Isabelle Huppert und noch mehr auf AVIVA-Berlin.




Kino als kollektive Teilhabe - geht das nur als Präsenzveranstaltung?

Die Berlinale nimmt als ein großes Publikumsfestival eine besondere Stellung bei den weltweiten Filmfestivals ein. Wohl deshalb betont der künstlerische Leiter Carlo Chatrian die Bedeutung des gemeinsamen Erlebens, weshalb Standhaftigkeit statt Flexibilität gefragt sei. Sie würden, falls nötig, den Publikumsteil der Berlinale lieber absagen, als von der Präsenz-Idee abzuweichen, so die Festivalleitung. Der Europäische Filmmarkt EFM, zu dem sich sonst die globale Filmbranche aus aller Welt im Walter Gropius Bau versammelt, trifft sich vom 10. - 17. Februar dagegen nur online. Einen kleinen digitalen Hauch von Berlinale verspricht deren YouTube-Kanal, hier bietet sich die Möglichkeit Interviews und Trailer zum Festival online anzuschauen.

Für eine andere Lösung hatte sich das Sundance Film Festival entschieden, das Ende Januar stattfand. Unter der Leitung der ersten schwarzen und ersten weiblichen Direktorin Tabitha Jackson, wurde Sundance dieses Jahr komplett online durchgeführt. Sie hätten letztes Jahr schon gute Erfahrungen damit gemacht, so Sundance´s Producing Director Gina Duncan, dazu weist sie hin auf "the number of people who came to the festival virtually last year", die dabei nicht nur einen, sondern viele Filme gesehen hätten. "Kollektives Erlebnis" steht bei Sundance auch in Zukunft dafür, mehr Menschen den Zugang zum Festival zu geben.

Corona-Pandemie - was es zu beachten gilt

In Abstimmung mit den Behörden sei ein umfangreiches und verbindliches Hygienerahmenkonzept erarbeitet worden, verkündet die Webseite der Berlinale. Das besagt, dass für alle Veranstaltungen, das 2 G-Plus-Maske-Plus-Test-Modell gilt. Genaues über die Bedeutung des Impfstatus, den Nachweisen und der Datenerfassung, den Ausnahmen, dem Tragen von Masken, der Abstandsregelung, der Haftungsfrage und aktuellen Vorgaben gibt es auf der Webseite "Hygienerahmenkonzept".

Um die Ansteckungsgefahr zu minimieren, wurden die Platzkapazitäten für die Besucher*innen um 50 Prozent reduziert und die Tickets, die es, wie immer, drei Tage im Voraus zu kaufen gibt, sind dieses Jahr nur online zu erhalten. Ebenfalls reduziert wurde die Anzahl der eingeladenen Filme. Waren es im Jahr 2020 noch 342 Filme, wurden 2021 aufgrund der Pandemie-Situation nur 166 Filme gezeigt, für dieses Jahr sind 256 Filme eingeladen.

Gendermonitoring Berlinale 2022

"Geschlechterverhältnis bei der Berlinale" nennt sich die im Pressedossier bereits veröffentlichte Auswertung für 2022. Auch wenn danach der Anteil der ausgewählten Regisseurinnen gegenüber den Bewerberinnen höher ist als bei ihren männlichen Kollegen, liegt er dennoch nur bei 38,9 %, gegenüber 51 % Regisseuren.

Bei den Wettbewerbsfilmen lag der Anteil der Filme mit weiblicher Regie 2019 mit 41 % am höchsten, ging 2020, wie auch 2021, auf 33 % zurück, und steigt 2022 mit 39 % wieder etwas an. Mit erschreckend geringer Beteiligung von 6 % im Jahr 2012, wie im Jahr 2016 bei nur 11 %, kann nun hoffentlich von einem stetigen Anstieg zur Gleichberechtigung gesprochen werden. Welche behaupten, es gäbe zu wenig weibliche Regisseurinnen, sollten sich die Dokumentation "Alice Guy, die vergessene Filmpionierin" anschauen, die zeigt, wie eine der erfolgreichsten frühen Regisseurin und Produzentin (1873-1968) aus den Annalen des Kinos entfernt wurde.

In dem genannten Pressedossier gab es eine weitere Zahl, die zeigt, wie Frauen ökonomisch und thematisch an den Rand gedrängt werden: Den bisher nur 20 Präsidentinnen der Internationalen Jury stehen bereits 44 männliche Präsidenten gegenüber. Wünschenswert wäre es, wenn die neue Kulturstaatsministerin Claudia Roth zügig auf eine paritätische Besetzung hinwirken - denn auch hier gilt weiterhin die Forderung der Filmemacherin Jane Campion: "Especially when it comes to public money - it has to be equal".

Femmage und Goldener Ehrenbär für Isabelle Huppert

2022 erhält die französische Theater- und Filmschauspielerin Isabelle Huppert den Goldenen Ehrenbären für ihr Lebenswerk. Zur Verleihung wird am 15. Februar im Berlinale Palast der Spielfilm "Á propos de Joan", Regie Laurent Larivière, mit Isabelle Huppert in der Hauptrolle und Lars Eidinger an ihrer Seite, als Premiere aufgeführt. Die weltweit bekannte Charakterdarstellerin spielte in fast 150 Kino- und Fernsehfilmen, sowie Serien. Auf der Berlinale war sie bisher in sieben Filmen im Wettbewerb zu sehen, davon in der Kriminalkomödie "8 Frauen", für die das Schauspielerinnen-Ensemble kollektiv den Silbernen Bären gewann.

Frauen im Wettbewerb und der Jury

Die internationale Jury setzt sich dieses Jahr aus drei Frauen und vier Männern zusammen. Der Vorsitzende, M. Night Shyamalan, brachte 14 erfolgreiche Spielfilme ins Kino - so die Berlinale in der Begründung für seine Besetzung. Im Vorjahr gab es, coronabedingt, ein egalitär ausgerichtetes Mitbestimmungskonzept: jede*s der sechs Mitglieder* in der paritätisch besetzten Gruppe hatte die gleiche Entscheidungsmacht. Wir hoffen, dass in den kommenden 24 Jahren durchgängig Frauen als Präsidentinnen nominiert werden, um dadurch zu einer Parität zu gelangen.

Der weibliche Anteil in der Jury ist vertreten mit Anne Zohra Berrached, die 2016 mit ihrem Film "24 Wochen" im Wettbewerb vertreten war und dafür den Gilde-Filmpreis erhielt. Ebenfalls Teil der Jury ist die simbabwische Filmemacherin und Schriftstellerin Tsitsi Dangarembga, die 1992 ihre Produktionsfirma Nyerai Films gründete und für ihren Roman "Überleben" mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde. Die in Dänemark geborene Schauspielerin Connie Nielsen ist die dritte Frau im Team. Sie spielte, unter anderem, in Ridley Scotts Oscar-Gewinner "Gladiator", und in Susanne Biers "Brothers", für den sie den dänischen Filmpreis Bodil erhielt.

AVIVA-Auswahl der Wettbewerbsfilme

Der rote Faden in der Auswahl der Filme seien "menschliche und emotionale Bindungen" so der künstlerische Leiter Carlo Chatrian, inhaltlich gemeinsam hätten sie auch, dass "ihre Schauplätze außerhalb des Stadtzentrums liegen." Auffallend ist, dass mit 61,16 % ein hoher Anteil der Filme in Europa produziert wurde. Nur sieben (38,92 %) der 18 ausgewählten Filmen entstanden unter der Regie von Frauen.

Auf einen wahren historischen Hintergrund bezieht sich "Call Jane", Regie Phyllis Nagy. Im Chicago von 1968 spielt Elizabeth Banks eine Schwangere, die bei der Geburt sterben könnte. Der dringend notwendige Schwangerschaftsabbruch wird ihr jedoch verweigert. Zufällig lernt sie die "Janes" kennen, darunter Virginia, gespielt von Sigourney Weaver, die in den 1970er Jahren eine Untergrundorganisation für Schwangerschaftsabbrüche aufbauten.

Den Schwierigkeiten einer dysfunktionalen Familie nimmt sich Regisseurin Ursula Meyer in "La ligne" ("The Line") an. Stéphanie Blanchoud spielt darin die 35-jährige gewalttätige Tochter Margaret, die ihre Mutter Christina (Valeria Bruni Tedeschi) während eines Streits brutal angreift und deshalb von der Polizei verhaftet wird.

Die katalanische Regisseurin Carla Simón beeindruckte bereits auf der Berlinale 2017 mit dem Generationenfilm "Summer 1993", in dem sie das Thema AIDS gefühlvoll und schlicht verhandelte. Nun ist sie im Wettbewerb mit "Alcarràs" - der Name steht für eine Kleinstadt im ländlichen Katalonien, aus der ihre Mutter stammt - vertreten. Dort erfährt eine Familie, die seit Generationen auf gepachtetem Land Pfirsiche anbaut, dass sie ihr Zuhause verlassen muss, da der neue Erbe dort einen Solarpark einrichten möchte.

Drei Frauen, gespielt von Nailea Norvind, Antonia Olivares und Aida Roa, stehen im Mittelpunkt von "Robe of Gems", von der mexikanisch-bolivianischen Regisseurin Natalia López Gallardos. Sie kennen sich kaum, und geraten doch gleichzeitig, aber auf unterschiedliche Weise, mit dem lokalen Drogenhandel in Konflikt.

Auf die Biographie, der in den 1960ern in West-Java lebenden Raden Nana Sunani, bezieht sich Regisseurin Kamila Adini mit ihrem Filmdrama "Nana" ("Before, Now & Then"). Als die Indonesierin vor einer ungewollten Eheschließung floh, verlor sie den Kontakt zu ihrer Familie. Sie ging dann doch noch eine Ehe ein, die für sie unglücklich verlief, und fand schließlich Trost in der Freundschaft mit einer Frau.

Mit ihrer vierten Regie "A E I O U - Das schnelle Alphabet der Liebe" ist Nicolette Krebitz mit einer humorvollen Geschichte über eine vermeintlich unmögliche Liebe auf dem Festival vertreten. Sophie Rois spielt darin eine ältere, ehemalige Schauspielerin, die sich in einen 17-jährigen Mann verliebt, der sich ebenfalls von ihr angezogen fühlt.

Mit Juliette Binoche ist ebenfalls eine bekannte Schauspielerin in der Hauptrolle bei dem Film "Avec amour et acharnement" ("Both Sides of the Blade") von Regisseurin Claire Denis. Sie spielt darin einer Frau, die eine Beziehung zu zwei befreundeten Männern hat.

Encounters - die AVIVA-Auswahl für diese junge Sektion

Von den 15 Filmen, alles Weltpremieren, die in dieser erst seit zwei Jahren bestehenden Sektion gezeigt werden, entstanden fünf unter der Regie von Frauen, was einen Anteil von 33,35 % ergibt. Encounters ist als neue Sektion eingeführt worden, um den engen künstlerischen Vorstellungen für Wettbewerbsfilme zu entgehen, dies hätte auch gleich dazu genutzt werden können, eine gleichberechtigte Teilhabe von Regisseurinnen einzuführen.

Zwei queere Protagonisten*, die für sich das Personalpronomen "they" gewählt haben, stehen im Mittelpunkt von "Queens of the Qing Dynasty", unter der Regie von Ashley McKenzie. Sarah Walker und Ziyin Zheng spielen darin zwei junge Menschen in einer kanadischen Kleinstadt, die sich den gesellschaftlichen Anpassungen verweigern und sich darüber anfreunden.

Bei ihrem Spielfilmdebüt "Sonne", zu dem sie auch das Buch schrieb, arbeitete Kurdwin Ayub ausschließlich mit Laiendarstellerinnen. Im Mittelpunkt steht die in Österreich aufgewachsene junge Kurdin Yesmin, die ein Kopftuch trägt, deren österreichische Freundinnen Bella und Natalie machen es ihr zum Spaß nach. Sie drehen so ein YouTube-Video, welches in der österreichischen muslimisch-kurdischen Szene erfolgreich wird. Als sie auch zu Auftritten eingeladen werden, wird ihre Lage langsam gefährlich, und auch ihre Freundschaft droht zu zerbrechen.

Das Drehbuch zu ihrem Spielfilm "Zum Tod meiner Mutter" schrieb Jessica Krummacher nach eigenen Erfahrungen. Sie erzählt darin in ruhigen Einstellungen über den langsamen Abschied, den Juliana, Mitte 30, von ihrer Mutter, Mitte 60, nimmt. Die im Pflegeheim wohnende Schwerkranke hört auf, Nahrung und Flüssigkeit zu sich zu nehmen.

In "Mutzenbacher" konfrontiert die Regisseurin Ruth Beckermann einhundert Männer unterschiedlichen Alters mit Textpassagen aus dem erotischen Roman "Josefine Mutzenbacher", der 1906 anonym erschien. Das Buch nimmt Beckermann zum Anlass, einen Austausch über Sexualität und Tabus anzuregen, und diese Szenen eines realen Castings für ihren Film aufzunehmen. Ihre Entscheidung, nur Männer zu zeigen, begründet, dass es ein Schritt zur Gleichberechtigung sei, wenn sie sich als Frau nicht nur auf Frauen spezialisiert.

Die iranische Regisseurin Mitra Farahani, die für ihren Kurz-Dokumentarfilm "Just une femme" bei der Berlinale 2001 den Teddy Award erhielt, ist in dieser Sektion mit dem dokumentarischen Film "Á vendredi, Robinson" ("Bis Freitag, Robinson") vertreten. Sie zeigt darin den schriftlichen Gedankenaustausch der beiden betagten Filmemacher Jean-Luc Godard, der in der Schweiz wohnt, und dem in England wohnenden Iraner Ebrahim Golestan.

Berlinale Special Gala - die AVIVA-Auswahl

In dieser Untersektion von Berlinale Special, in der acht Filme gezeigt werden, gibt es einen Frauenanteil bei der Regie von zwei Filmen, was 25 % entspricht. Wie angekündigt, bietet die Filmauswahl ein breites Genre-Spektrum, so auch einen Thriller eines Regisseurs über einen Serienmörder, der Edelprostituierte tötet, und, wie es in der Beschreibung heißt, "prächtiges Monumentalwerk" eines Regisseurs über den Kampf von Sexarbeiterinnen in Indien, der mit einer tanzenden und singenden Hauptfigur wirbt. Ob wir diese Männerblicke auf Frauen und Sexualität auf der Berlinale brauchen?
Unsere Filmempfehlungen:

Nach der Biografie von Cioma Schönhaus, der sich selbst und andere Jüdinnen und Juden während des Zweiten Weltkriegs durch Passfälschung vor dem Zugriff der Gestapo retten konnte, schrieb Regisseurin Maggie Peren das Drehbuch zu "Der Passfälscher". Der junge Jude Cioma Schönhaus und sein Freund Det, lassen sich 1942 in Berlin nicht einschüchtern, sie mischen sich unter die Menschen, da ihnen die Öffentlichkeit als gutes Versteck erscheint.

Emma Thompson und Daryl McCormack spielen die Hauptrolle in "Good Luck to You, Leo Grande" von Sophie Hyde. Eine 55-jährige Frau möchte als Witwe noch etwas guten Sex in ihrem Leben erfahren und bucht sich deshalb einen jungen Mann. Bei diesen Treffen lernt sie sich und ihren Körper, wie auch den jungen Mann, besser kennen.

Berlinale Special Films - die AVIVA-Auswahl

Eingeladen wurden in diese Untersektion sieben Filme, davon ein Kurzfilm mit nur einer Regisseurin, wodurch sich ein äußerst geringer Frauenanteil von 14,29 % ergibt.

Kurz erwähnt werden soll hier auch der Dokumentarfilm "Eine deutsche Partei" von Simon Brückner, dem mit "Aus dem Abseits" 2015 ein sehenswerten Dokumentarfilm über seinen Vater, den Sozialpsychologen Peter Brückner, gelang. In seinem neuen Film begleitete er, ausschließlich beobachtend, zwischen 2019 und 2021 die AfD mit der Kamera - ob dieser gut gemeinte Ansatz funktionieren kann, um eine rechte Partei zu dekonstruieren, wäre mit Blick auf die rechte Dominanz bei den Demonstrationen gegen die Corona-Politik wünschenswert.

Auf die Bedeutung von Schwesternschaft, die von weibliche Musik getragen wird, konzentriert sich der Kurzfilm "Terminal norte" von Lucrecia Martel. Aus dem Herzen des patriarchalen Argentinien, der Provinz Salta, kommend, drückt der Dokumentarfilm kollektiven feministischen Widerstand durch seine Songs und deren unterschiedlichen Stile aus.

Jüdisches Leben und Filme aus Israel

Die israelische Dokumentation "1341 Framim Mehamatzlema Shel Micha Bar-Am" ("1341 Frames of Love and War") von Regisseur Ran Tal läuft im Berlinale Special. Darin folgt der Regisseur den Arbeiten des israelischen Fotografen Micha Bar-Am. Er gilt als Chronist der Geschichte Israels, die er mit seiner Fotografie festgehalten hat. 1930 in Berlin geboren, übernimmt heute seine Frau Orna Bar-Am als gewissenhafte Archivarin die Funktion des Gedächtnisses, das ihrem älter werdenden Mann langsam abhandenkommt.

Der junge jüdische Cioma Schönhaus und sein Freund Det, lassen sich 1942 in Berlin nicht einschüchtern, sie mischen sich unter die Menschen, da ihnen die Öffentlichkeit als gutes Versteck erscheint. Regisseurin Maggie Peren schrieb an dem Drehbuch zu ihrem Film "Der Passfälscher" nach der Biografie von Cioma Schönhaus, der sich während des Zweiten Weltkriegs auch durch Passfälschung vor dem Zugriff der Gestapo retten konnte, über acht Jahre. Der Film läuft, wie auch beschrieben, in der Berlinale Special Gala.

In dem israelischen Spielfilm "Concerned Citizen", Regie Idan Haguel, wohnt ein schwules Paar, Ben und Raz, in einem migrantisch geprägten Stadtteil von Tel Aviv. Beide verfolgen ihren Kinderwunsch, doch als Ben einen Baum pflanzt, löst er damit einen Konflikt in der Nachbarschaft aus, der tiefliegende Vorurteile zutage treten lässt.

"Nelly & Nadine" ist der letzten Teil der "28.-April-Trilogie" des schwedischen Dokumentarfilmers Magnus Gertten. Benannt hat er diese nach dem Tag, an dem Tausende von Überlebenden aus deutschen Konzentrationslagern im Hafen von Malmö ankamen. 2007 sah er die Aufnahmen eines Nachrichtenfotografen von damals und recherchierte biografische Hintergründe zu den darauf abgebildeten Personen. So entstand 2011 "Harbour of Hope" und 2015 "Every Face Has a Name". Im dritten Teil, "Nelly & Nadine", erzählt er von Nelly Mousset-Vos, einer belgischen Opernsängerin, und Nadine Hwang, die sich während des Zweiten Weltkriegs als Häftlinge des KZ Ravensbrück kennen und lieben lernen. Sie überleben, halten ihre Beziehung aber noch lange Zeit geheim.

Filme im Panorama - die AVIVA-Auswahl

In der Ankündigung des Panorama wird auf die ausgewählten Filme als "einen wilden Ritt durch das Gegenwartskino" hingewiesen. Dazu wurden 29 Langfilme ausgewählt, von denen 12 Filme (41,38 %) unter der Regie von Frauen entstanden.

"Klondike" von Maryna Er Gorbach spielt im Juli 2014 an der russisch-ukainischen Grenze, an der die schwangere Irka lebt. Dort wird am 17. Juli das Passagierflugzeug MH17, das von Amsterdam nach Kuala Lumpur fliegen sollte, abgeschossen. Ein Anti-Kriegsfilm, den die Regisseurin den Frauen widmet.

"Cinco lobitos" ("Lullaby") ist ein Film der Regisseurin Alauda Ruiz de Azúa über die generationenübergreifende Fürsorgerollen von Frauen. Die frisch verheiratete Amaja geht wieder zu ihren Eltern zurück, da ihr Mann wegen seiner Arbeit nicht oft zuhause ist. Dies führt dazu, dass sie ihre kranke Mutter unterstützt.

In ihrem ersten Spielfilm "Fogaréu" nimmt sich Flávia Neves der brasilianischen Kolonial- und Sklavengeschichte an und verknüpft sie mit der Familiengeschichte von Fernanda. Diese kehrt nach Jahren der Abwesenheit in den brasilianischen Bundesstaat Goías und auf die Ranch ihres Onkels zurück, um die Asche ihrer verstorbenen Adoptivmutter in die Heimat zu bringen. Ihre Nachforschungen nach der Wahrheit über ihre Wurzeln werden für ihren Onkel, einen Großgrundbesitzer und konservativen Bürgermeister, zusehends eine Bedrohung.

Mit "Grand Jeté" drehte Isabelle Stever einen Film über Familienbeziehungen und Tabus. Tanzlehrerin und Ballerina Nadja wurde jung Mutter und brachte ihren Sohn Mario deshalb bei ihrer Mutter unter. Nun steht sie vor seiner Tür. Doch die Nähe, die sie zu ihm sucht, kennt immer weniger Grenzen.

Akuol de Mabior zeigt in ihrem Dokumentarfilm "No Simple Way Home" ("Nyandeng") ihre persönliche Betroffenheit durch die aktuellen Entwicklungen im Südsudan. Sie ist die Tochter eines Märtyrers der Revolution, und ihre Mutter ist nun eine der fünf Vizepräsident*innen des Landes, die dafür sorgen will, dass der Tod ihres Mannes, und vieler weiterer Südsudanes*innen, nicht umsonst war. Wird sie als junge Frau dieses bürgerkriegsgeschüttelte Land jemals ihr Zuhause nennen können?

In "El norte sobre el vacio" ("Northern Skies Over Empty Space"), zeigt Alejandra Márquez Abella einen Epochenwechsel im ländlichen Mexiko aus der Perspektive derer, denen sonst die passiven Nebenrollen vorbehalten sind: Der 77-jährige Rancher Tamez stellte sich 2010 bewaffnet gegen eine Gruppe von Kartellmitgliedern, die seine Ranch übernehmen wollten.

Die in Berlin wohnende 39-jährige Philosophiedoktorandin Clara steht im Mittelpunkt des Debütfilms von Annika Pinske "Alle reden übers Wetter". Als sie ihre Mutter in der mecklenburgischen Provinz besucht, wird ihr bewusst, wie weit ihre Lebenswelten nun auseinander gehen.

Den mühsamen Abnabelungsprozess zwischen Tochter und Mutter verfilmte Regisseurin Kim Se-in mit ihren Debütfilm "The Apartment with Two Women". Der Familienstreit zwischen beiden ist "von einer Art von Hass erfüllt, den nur nahe Verwandte haben können, die eng zusammen leben", so die Regisseurin.

Den Male Gaze im Kino erkundet Nina Menkes in "Brainwashed: Sex-Camera-Power" anhand von Beispielen aus über 120 Jahren Filmgeschichte. Sie fragt sich, wie sehr Objektivierung und Sexualisierung des weiblichen Körpers in die Filmsprache eingeprägt sind, und welche Folgen das für die Gesellschaft hat.

Chiara Bellosi lässt in "Calcinculo" ("Swing Ride") eine Fünfzehnjährige feststellen, dass es mehr als die herrschenden Geschlechternormen gibt. Sie verliebt sich in die Betreiberin eines Jahrmarkt-Karussells. Ein Coming-of-Age-Film über eine ungleiche Freundschaft und gelebtes Empowerment.

Mit "Dreaming Walls" verfilmten Amélie van Elmbt und Maya Duverdier die achtjährige Luxussanierung des legendären New Yorker Chelsea Hotel. Trotz der Renovierungsarbeiten leben dort, mehr oder weniger gut, weiterhin 51 Künstler*innen in fortgeschrittenem Alter.

Die filmischen Tagebücher, "Myanmar Diaries", junger Oppositioneller, die sich The Myanmar Film Collective nennen, eine Gruppe anonymer Filmemacher*innen, nutzen die Kinoleinwand, um nach dem Militärcoup vom Februar 2021 anders mit der Welt zu kommunizieren, als es die TV-Nachrichten erlauben.

Die AVIVA-Auswahl für das Forum:

Das Arsenal (Institut für Film und Videokunst e.V.) richtet seit der Gründung 1971 das Forum als unabhängige Sektion der Berlinale aus. Die neue Sektionsleiterin ist seit 2020 Cristina Nord, die zur 52. Filmauswahl des Forums sagt: "Hier gibt es Filme, die sich die pandemische Gegenwart einverleiben, und solche, die Erzählung im Experiment auflösen. Dazu Fundstücke aus den Archiven, behutsame Dokumentarfilme, anti-anthropozentrische Filme sowie Essays, die die Möglichkeiten politischen Filmemachens ausloten."
Elf Regisseurinnen stehen neben zwanzig Regisseuren, somit beträgt der Frauenanteil 40,7 %, vier Filme entstanden in kollektiver Regie.

Miryam Charles ist mit ihrem Langfilmdebüt "Cette maison" vertreten. Darin beleuchtet sie das Leben von Tessa, die im Alter von 14 Jahren getötet wurde. Sie fragt sich, wie es hätte weitergehen können für die Jugendliche, die in ihrem Zimmer durch ein Gewaltverbrechen starb, und was das ist, ein sicheres Zuhause.

Zwei Frauen auf einer einsamen Insel vor der Küste von Nova Scotias, Sable Island. Da ist die autodidaktische Wissenschaftlerin und Naturschützerin Zoe Lucas, die seit den 1970er überwiegend allein auf der Insel wohnt und die Regisseurin Jacquelyn Mills, die sie für ihren Dokumentarfilm "Geographies of Solitude" in ihrem Alltag beobachtet. Verwilderte Pferde, aber auch eine Menge Plastikmüll, gefilmt auf 16 mm in einer kargen Landschaft.

"Jetlag" ist ein Filmessay von Zheng Lu Xinyuan, der sich zwischen Zeiten und Orten bewegt. Es ist ein Reisebericht über Quarantäne und Familie, der Linien zwischen Graz, China und Myanmar, wie auch zwischen Intimität, Erinnerung und Politik.

Als Forum Special läuft Alice Agneskirchner Dokumentarfilm "Komm mit mir in das Cinema - Die Gregors". Er zeigt anhand des seit über sechzig Jahren verheirateten Ehepaars Erika und Ulrich Gregor ein Stück bundesrepublikanische Zeitgeschichte. Über verschiedene Pfade nähert sie sich den Gründer*innen des Kino Arsenal und des Internationalen Forums des Jungen Films der Berlinale. Ein Muss für Forumliebhaberinnen.

"Mien Ky u´c" ("Memoryland") ist der zweite abendfüllende Film der Regisseurin Kim Quy Bui aus Hanoi. Sie erkundet darin dörfliche und städtische Bestattungsrituale, Abschied, Jenseits und Diesseits durch drei miteinander verflochtene Geschichten.

In ihrem Dokumentarfilm "Mis dos voces" ("My Two Voices") erzählt Lina Rodriguez drei Geschichten von Einwanderung und Ankommen auf körnigem 16-mm Material. In ihrer neuen Heimat Kanada erzählen Frauen aus Kolumbien und Mexiko von Sprache und Sehnsucht und von dem, was sie zurückließen.

Mit "Nuclear Family", einer filmischen Konfrontationsstrategie, versucht das Ehepaar Erin und Travis Wilkerson ihre Angst in den Griff zu bekommen. Seit der Wahl Donald Trumps hat Travis Albträume von einer nuklearen Apokalypse. Ein Essayfilm, der in Zeiten von Corona und Klimakrise die Bedrohung der Welt auf persönliche Weise in das Bewusstsein holt.

Der Kurzfilm "This Makes Me Want to Predict the Past" von Cana Bilir-Meier zeigt die Kontinuitäten rassistischer Gewalt in Deutschland, aber auch die Unbeschwertheit zweier Frauen, die im Olympia-Einkaufszentrum in München bummeln. Dem Ort, wie eine Gedenktafel zeigt, an dem am 22. Juli 2016 durch einen rassistischen Anschlag neun migrantische Jugendliche getötet wurden.

Mit "Die leere Mitte", mit der sie sich auf die Bebauung des ehemaligen Todesstreifens bezieht, und " Normalität 1-10 ", in dem sie auf die antisemitische und rassistische Gewalt in Österreich und Deutschland eingeht, werden zwei Filme von Hito Steyerl gezeigt.

Serpil Turhan macht aus ihrem Dokumentarfilm, einem intimen Projekt über die Reise ihrer Mutter, die nach 30 Jahren das kurdische Dorf ihrer Eltern besucht, eine beispielhafte Geschichte. Zu den drei Generationen gehört auch der Bogen vom Dorf nach Istanbul und dann weiter nach Berlin. Mit dem Filmtitel "Dilim dönmüyor - Meine Zunge dreht sich nicht" spielt sie auf die besondere Rolle der Sprache an, die im Laufe des Lebens gelernt und vergessen wurden.

In "Scala" beobachtet die Regisseurin Ananta Thitanat, wie eines der drei letzten großen Kinos in Bangkok seinen Betrieb einstellt. Die Erinnerungen aus ihrer Kindheit, als sie ihren dort arbeitenden Vater besuchte, verbindet sie mit den dort beschäftigten heutigen Angestellten und deren Leben in diesen Kinoräumen, die sich langsam leeren.

"O trio em mi bemol" (The Kegelstatt Trio") ist eine Version eines Theaterstück von Eric Rohmer, das dieser 1987 schrieb. Von Rita Azevedo Gomes verfilmt wird, zeigt sie die Begegnungen eines ehemaligen Paares, die sich vor der Kamera austauschen und dabei vom legendären spanischen Regisseurs Adolfo Arrieta auf die Schippe genommen werden.

Forum Expanded - mehr als Kino

Die 39 Arbeiten, die aus Kurz- und Langfilmen, Installationen und einer Performance bestehen, sind mit unterschiedlichen Sinnen zu erkunden. Das Thema dieses Jahr ist "Sich näher am Boden bewegen, den Dingen auf den Grund gehen, genau hinschauen und -hören, wahrnehmen, was in nächster Nähe, oft unerkannt, passiert: In diesem Zeichen steht die 17. Ausgabe des Forum Expanded", so deren Co-Leitung Ala Younis und Uli Ziemons.

Perspektive Deutsches Kino - die AVIVA-Auswahl

Bereits seit 2011 leitet Linda Söffker diese Sektion. Zu der diesjährigen Auswahl bemerkt sie, dass sich durch alle Filme "ein Echo der Vergangenheit" zieht und der deutsche Filmnachwuchs im "deutschen Wald ein Motiv für Identität und Geschichte" findet. Eine sehr spezielle, nicht auf Anhieb attraktiv erscheinende Beschreibung ihrer Filmauswahl. Von den sieben angekündigten Filmen, entstanden sechs als Regiearbeiten von Frauen, was 85,74 % ausmacht. Wir hoffen, dass diese Förderung auch einmal in den Bereich des Wettbewerbs hinein Früchte trägt.

In ihrem Langfilmdebüt "Echo" verbindet Mareike Wegener die Traumatisierung von Saskia Harder als Ausbilderin in einem Polizeicamp in Afghanistan mit ihrem nachfolgenden Job als Kommissarin in Deutschland. Schuld und Trauma werden Auslöser persönlicher und gesellschaftlicher "Echos".

Der Kurzfilm "Rondo" von Katharina Rivilis, in dem Zoé bei einem Wochenende an der Ostsee ihre Vergangenheit reflektiert, wird zusammen gezeigt mit Ladies Only" von Rebana Liz John. Diese führt mit ihrem Dokumentarfilm in einen anderen Teil der Welt, nach Mumbay, und da in die Damenabteile der dortigen Nahverkehrszüge. Dort lässt sie Frauen sagen, was sie wütend macht - ihre Antworten weisen weit über die indische Gesellschaft hinaus.

Die Forstpraktikantin Anja lässt Saralisa Volm in "Schweigend steht der Wald" im Oberpfälzer Wald Nachforschungen zum ungeklärten Tod ihres Vaters machen. Schon 20 Jahre her, rührt sie dabei an ein gut gehütetes Geheimnis, worauf im Dorf Angst vor einem Imageschaden für die Region entsteht.

Aus Liebe zu Hedi zieht der Linksaktivist Karl-Heinz in die DDR, so der Ausgangspunkt von Vera Brückners Spielfilm "Sorry Genosse". Dafür muss er jedoch in den Dienst der Stasi treten. Daraus entsteht für beide im Laufe der Zeit eine Enttäuschung über das Leben in der DDR, weshalb sie ihre Flucht planen, bei der einiges schief geht.

"Wir könnten genauso gut tot sein" nennt Natalia Sinelnikova ihr Landfilmdebüt über ein Hochhaus, dessen Mikrokosmos sie als Spielfeld für eine zeitlose dystopische Versuchsanordnung anlegt. Die Menschen leben dort, um von der gefahrvollen Umwelt abgeschirmt zu sein. Als sich nach einem Vorfall eine Bürgerwehr gründet, fürchtet die Sicherheitsbeauftragte Anna um ihr Bleiberecht.

Teddy-Filme und der queere Filmpreis

Der 36. Teddy Award wird auf der Webseite als "Im Jahr 2 unter Covid 19 Bedingungen" angekündigt und dazu mitgeteilt, dass "nur Beteiligte und Mitwirkenden der Zugang zur Preisverleihung in der Volksbühne" ermöglicht wird. Doch für alle, die weder in Berlin sind, noch in die Volksbühne können, gibt es die Möglichkeit per Livestream die Preisverleihungam 18.02.2022 ab 21 Uhr zu verfolgen,

Für den Teddy sind 42 Filme in die Auswahl gekommen, die auf der Webseite www.teddyaward.tv vorgestellt werden.
Darunter sind auch die bereits hier bei AVIVA besprochenen Filme "Brainwashed: Sex-Camera-Power", "Concerned Citizen", "Fogaréu", "Jet Lag", "Ladies Only", "Nelly & Nadine", "Queens of the Quing Dynasty" und "Terminal Norte".

Generation - Abschied von Maryanne Redpath

Seit Mai 2008 ist Maryanne Redpath die Leiterin der Sektion Generation, doch dieses Jahr ist leider ihr letztes bei der Berlinale. Die in Neuseeland Geborene hat in die Sektion Generation beeindruckende Filme mit herausragender Qualität eingeladen, und achtet bereits seit langem auf Geschlechterparität. Dieses Jahr sind von den eingeladenen 52 Filmen 58 % von Regie-Frauen dabei. Redpath erklärt, die diesjährige Auswahl lege "den Fokus auf die Entdeckung neuer, ungebändigter, nachhallender Stimmen eines jungen Kinos."

Da die Filme der Generation mich noch nie enttäuscht haben, empfehle ich sie hiermit alle gerne unbesehen - treffen Sie ihre eigene Auswahl, egal in welches Alter Sie sich einordnen, es wird sich lohnen!

Berlinale Shorts - eine Auswahl

Allen, die den Kurzfilm lieben, weil er ästhetisch und inhaltlich eine besondere Freiheit genießt, da er keine Erwartungshaltungen bedienen muss und seine Magie jenseits der üblichen Sehgewohnheiten entfalten darf, sei hier gesagt, dass der Frauenanteil in der Regie bei 38,08 % liegt, das sind acht der insgesamt 21 eingeladenen Filmen.

Dazu gehört Alice Brygo mit "Soum", über koloniale Vergangenheit und kapitalistische Gegenwart, Amandine Meyer und ihre Animation "Histoire pour 2 trompettes" über der Entwicklung eines Kleinkindes zur erwachsenen Frau und Künstlerin, und Wilbirg Brainin-Donnenberg, in "Dirndlschuld" die Konstruktion der Bedeutung von Kleidungsstücken und Orten reflektiert.

Zwischen Drill und Ekstase fängt Anastasia Veber in "Trap" das Lebensgefühl junger Erwachsener in Russland ein. Marina Herrera dokumentiert mit "Heroinas" das Gedenken an die über tausend Frauen, die vor fast 250 Jahren im heutigen Peru gegen die spanischen Kolonialherren kämpften. Die Auflösung eines Hauses beschreibt Joung Yumi durch eine Bleistiftzeichnung in "Jon-Jae-Ui Jib".

Anabela Angelovska hat sich mit "Retreat" den tausenden jungen Arbeitsmigrant*innen angenommen, die nach dem Truppenabzug traumatisiert aus Afghanistan zu ihren Familien nach Nordmazedonien zurückkehren. Und Evgenia Arbugaeva begibt sich mit "Haulout" für ein Naturschauspiel in die Einöde der russischen Arktis.

Berlinale Series - die AVIVA-Auswahl

Ein "starkes skandinavisches Jahr" präge die Auswahl der Serien, so Leiterin Julia Fidel. Und so gehören die von ihr benannten drei Länder (Island, Dänemark, Schweden) genau zu den drei von sieben Filmen, die mit Regie-Beteiligung von Frauen entstanden. Es ergibt sich daraus ein Frauenanteil von 22,55 %.

Bei der achtteiligen schwedischen Comedyserie "Lust" führt Elle Lemhagen Regie. Die Geschichte erzähle "freimütig, feministisch und voll unverschämt ehrlichem Humor von Themen, die allen bekannt vorkommen dürften, die die hormongesteuerte Euphorie der Jugend bereits hinter sich gelassen haben". Umgesetzt wird dieses Motiv als eine Regierungsstudie, für die Frauen ab Mitte 40 unter dem Motto "Make Sweden Sexy Again" nach ihrem Sexleben befragt werden.

Lone Scherfig, die 2019 mit ihrem Film "The Kindness of Strangers" die Berlinale eröffnete, befindet sich mit Sore Balle und Ole Christian Madsen in der Gruppe der Regisseur*innen der Serie "Ellas vagt". In dieser Serie wird die Arbeit der leitenden Hebamme Ella und ihrer Kolleg*innen erzählt, die aus Überzeugung und mit hohen Idealen auf der Entbindungsstation eines dänischen Krankenhauses arbeiten.

Gemeinsame Regie führt Thora Hilmarsdottir mit Ed Lilly, Paul Walker und Carl Tibbetts bei der Serie "The Rising". Diese ist eine Adaption der belgischen Mystery-Serie "Beau Sejour" und erzählt die Geschichte der 19-jährige Neve, die seit ihrer Ermordung in einer Zwischenwelt steckend, und entschlossen ist, ihren Mörder zu finden.

Weitere Details zur Berlinale - kurz zusammengefasst

Die Retrospektive widmet sich dieses Jahr den drei US-amerikanischen Schauspielerinnen Mae West, Rosalind Russel und Carole Lombard und deren "komödiantischem OEuvre", so Sektionsleiter Rainer Rother. Ausgewählt wurden 27 Filme, alle unter männlicher Regie, die zeitlose Themen, "wie die Vereinbarkeit von Liebe, Karriere und Partnerschaft" verhandeln, begründet Rother seine Zusammenstellung. Entstanden sind diese Screwball-Komödien zwischen 1932 und 1943, so zum einen im Angesicht des Zweiten Weltkriegs, und dazu in einer aufkommenden moralischen Zensur der Kultur in den USA, dem "Hays Code". Damit hatte besonders Mae West zu kämpfen, die sich früh für die Rechte von Homosexuellen einsetzte und unter dem Pseudonym "Jane West" in den 1920er Jahren zahlreiche Bühnenstücke mit sexuellen Anspielungen veröffentlichte.

Berlinale Talents wurde vor 20 Jahren gegründet, um dem internationalen Filmnachwuchs eine Plattform zu schaffen, auf der diese sich mit renommierten Expert*innen auseinander setzen können. Für diese Gruppe der Besucher*innen aus mehr als 70 Ländern wird dieses Jahr ausschließlich eine digitale Teilnahme angeboten. Es gibt auch einige öffentliche Online-Veranstaltungen, in denen das Jahresthema "Labours of Cinema", diskutiert wird. Diese Veranstaltung, ein Live-Workshop zum Modellbau, ein Gespräch mit Isabelle Huppert, ein Panelgespräch mit Julia Fidel zur Kompars*innen-Arbeit und ein Fokusgespräch zu Arbeit und Verdienst mit der Präsidentin des WZB für Sozialforschung Jutta Allmendinger, können über die Webseite der berlinale-talents.deim Live-Stream verfolgt werden.

Der Berlinale World Cinema Fund (WCF) unterstützt seit 17 Jahren "die Filmproduktion in Ländern, in denen die Infrastruktur der Filmindustrie noch nicht ausreichend ausgebaut ist", so deren Leiter Vincenzo Bugno. Es gehe dabei um die "Dekolonialisierung des Kinos", was auch bedeute, "unsere Identität und unsere Förderstrategien zu hinterfragen und zu optimieren", Bugno weiter. Dazu gibt es auf der Webseite der Berlinale eine Liste der Länder und Regionen, die anspruchsberechtigt sind.
Der WCF Day am 16. Februar, findet als öffentliche Online-Veranstaltung statt, die über einen Livestream auf dem YouTube-Kanalder Berlinale verfolgt werden kann.

Ein nicht-öffentlicher Bereich ist der Berlinale Co-Production Market. Dieser bringt Produzent*innen und Finanziers zusammen. Und es ist auch der Ort, an dem Bücher gesichtet werden, die für eine Verfilmung in Frage kommen könnten. Zu den ausgewählten "Books at Berlinale 2022" zählen, unter anderem, "Die Bagage" von Monika Helfer, "More Than I Love My Life" von David Grossmann, "Mary" von Anne Eekhout, "Spanish Beauty" von Esther Garcia Llovet, "Das mangelnde Licht" von Nino Haratischwili und "The Lamplighters" von Emma Stonex.

Auch der European Film Market, EFM ist für Berlinale-Besucher*innen nicht geöffnet und hat dennoch Auswirkungen auf das Kinoprogramm. Diese zentrale Plattform für den weltweiten Handel mit Rechten von Filmen findet dieses Jahr nur digital statt. Hier wird über Innovation und Veränderungen in der Branche diskutiert, über Grüne Filmproduktion nachgedacht, und eine Erleichterung des Zugangs marginalisierter Gruppen zur Herstellung von Filmen besprochen.

Ergänzende Angebote rund um die Berlinale

"Imagine Afghanistan. Women Filmmakers and Their Vision" ist das Thema der 10. Paneldiskussion, zu der das Internationale Frauen* Film Fest Dortmund + Köln im Zusammenhang mit der Berlinale einlädt. Am 14. Februar findet um 16 Uhr dazu Online ein Netzwerktreffen statt, bei dem Regisseurinnen über ihre Produktionserfahrungen in Afghanistan berichten. Es wird dazu diskutiert, wie sich empowernde Geschichten und Figuren jenseits von Katastrophen erzählen lassen. Eine Anmeldung dazu ist erforderlich unter www.discussion.frauenfilmfest.com.
DasFrauen Film Festival selbst findet vom 29.03. bis 3.04. 2022 in Köln statt.

Unter dem Motto "Make Them Laugh!" bietet WIFT, Women in Film and Television Germany am Samstag, den 12.2.2022, einen Berlinale Event an. Warum und inwiefern Humor einen großen Anteil an der erfolgreichen inhaltlichen Vermittlung eines Filmes für die Fernsehindustrie hat, steht dabei im Fokus. Das Online-Treffen findet via Zoom von 17 - 18.30 Uhr statt. Der Eintritt ist frei, eine Anmeldung ist jedoch erforderlich: www.eventbrite.de/e/wift-germany-berlinale-event-2022

Das Projekt Wikipedia: Förderung/FilmFrauen-Berlinale 2022 will den Gender Gap bei Filmemacherinnen im Wikiversum schließen, und wurde bereits 2020 gestartet. Nach coronabedingter Pause 2021 soll es jetzt 2022 mit dem Schreiben von Artikeln über Frauen aus der Filmbranche weitergehen. Das Filmangebot der Berlinale 2022 soll auf weibliche* Filmschaffende hin überprüft, und fehlende Einträge zu Kuratorinnen und Juryfrauen im Berlinale-Team ergänzt werden. Für Interessierte findet, je nach Corona-Auflagen, vom 11.-13. Februar im Wikibär in Berlin ein Live-Treffen statt. Im Vorfeld dazu besteht die Möglichkeit zur Online-Beteiligung. Weitere Informationen unter: www.de.wikipedia.org

Seit 2015 lädt die "Woche der Kritik" während der Berlinale zu einem alternativen Filmprogramm ein, um in gemeinsamen Diskussionen "über Filme, Kritik und das Kino als kulturellen Raum nachzudenken", so die Veranstalter*innen auf der Webseite. Die Woche beginnt am 9. Februar in der Akademie der Künste mit einer Konferenz unter dem Motto "Stillstand verboten? - Welche Fortschritte das Kino braucht." Als Gast dabei ist unter anderem Nadav Lapid, dessen Film "Synonymes" 2019 den Goldenen Bären gewann. Danach folgt im Filmtheater Hackesche Höfe vom 10. - 20. Februar jeweils abends ein Film mit anschließender Diskussion. Laut Webseite finden alle Veranstaltungen in Präsenz statt. Karten dafür sind aufgrund der Corona-Pandemie online auf der Webseite zu buchen, wie auch Mitschnitte der Debatten und der Konferenz auf dem entsprechenden YouTube-Kanal zu finden sind.

AVIVA-Tipp: Das zweite Festivaljahr mit der Corona-Pandemie ist für die Berlinale, die in persönlichen Begegnungen und Gesprächen, auch für das gewöhnliche Publikum, seine Besonderheit sieht, eine Herausforderung. Es ist aber auch eine Herausforderung für die Filmliebhaber*innen, die sich zwischen Ansteckungsgefahr und Kinogenuss entscheiden müssen. Das Programm selbst erscheint spannend genug, um wieder die Qual der Wahl zu haben, auch wenn weiterhin zu wenige Regisseurinnen zur Vorführung ihres Films eingeladen werden. Für alle, die aus unterschiedlichen Gründen nicht anreisen werden, bleibt zu hoffen, dass die Berlinale in Zukunft die Chance ergreifen wird, aus ökologischen und Gerechtigkeitsgründen ein Online-Angebot für die Filmfans in der weiten Welt zur Verfügung zu stellen.

Mehr Infos unter:

www.berlinale.de

www.teddyaward.tv

www.berlinale-talents.de

Wikipedia: Förderung/Berlinale-Projekt 2022

Woche der Kritik vom 9.-17. Februar 2022

Akademie der Künste: "Stillstand verboten? - Welche Fortschritte das Kino braucht

Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

Die AVIVA-Filmauswahl zur 71. Berlinale, die 2021 in zwei Teilen stattfand - vom 1.-5. März und vom 9.-22 Juni 2021

Das war die 70. Berlinale


Kunst + Kultur > Kino

Beitrag vom 07.02.2022

AVIVA-Redaktion