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Beitrag vom 15.10.2008
Die Stadt der Blinden – ein Film von Fernando Meirelles
»Nana« Nicole Wenger
Der Eröffnungsfilm der diesjährigen Filmfestspiele von Cannes, die Adaption von Saramagos Roman "Stadt der Blinden", illuminiert mit gleißenden Bildern die Abgründe des Einzelnen ...
... und der Gesellschaft an sich. Es ist ein Tag wie jeder andere in einer beliebigen Stadt: Ein Mann (Yusuke Iseya) steht während der Rush Hour mit seinem Auto an der Ampel. Sie zeigt rot. Er wartet. Sie springt auf grün. Der Mann bleibt stehen und ein wütendes Hupkonzert erklingt. Der Mann gerät in eine verzweifelte Panik, denn – er ist plötzlich blind. Doch darauf nimmt der allgemeine Verkehr keine Rücksicht. Auch der vermeintlich barmherzige Passant (Don McKellar), der sich seiner annimmt und ihn nach Hause fahren will, entpuppt sich als gemeiner Dieb. Doch auch er wird sehr schnell das Schicksal des "ersten Blinden" teilen. Die weiße Blindheit greift wie eine Epidemie um sich. Jeder, der mit ihr in Kontakt kommt, erblindet, so auch der Arzt (Mark Ruffalo). Nur seine Frau (Julianne Moore) bleibt davon verschont. An ihr liegt es nun, sich aus der Rolle der leicht naiven und treu sorgenden Ehefrau zu befreien. Sie muss der Situation, vor allem den verschiedenen Systemen die Stirn bieten, so wird sie zur "Führerin" der Blinden und zur Vermittlerin - auch für das sehende Publikum.
Die Blinden sind der Staats-Macht zunächst hilflos ausgeliefert, finden sich schnell in einem alten Sanatorium interniert und mit Waffengewalt an jeglicher Form des Aufbegehrens gehindert. Brutalität und Habgier kreieren eine Welt, in der nur noch die Stärkeren überleben.
Fernando Mereilles hat sich wieder einmal an ein diffiziles Projekt heran gewagt und dies in mehrfacher Hinsicht: Grundsätzlich sind Literaturverfilmungen immer ein schwieriges Unterfangen, besonders dann, wenn es sich bei der Vorlage um eine derart tiefgründige, vielschichtige und zeitlose Parabel auf die Menschheit handelt. Lange galt der Roman des Nobelpreisträgers José Saramago als unverfilmbar. Das liegt schon im Sujet begründet. Denn wie lässt sich eine Welt, eine Gesellschaft, eine Stadt beschreiben, in der einer nach dem anderen erblindet, und das mit dem Medium Film, in dem das Sehen die Vorraussetzung bildet? Vielleicht mit hervorragenden HauptdarstellerInnen, wie Julianne Moore und Gael Garcia Bernal oder "NebendarstellerInnen" wie Alice Braga und Danny Glover und den Möglichkeiten der modernen Bild- und Schneidetechnik.
Die Umsetzung des mystischen Menschheitsromans von Saramago ist nicht durchweg gelungen. Bilder wie Charaktere wirken teilweise brüchig und gleichzeitig etwas flächig. Auch das Ende bricht etwas unmotiviert und abrupt über das Publikum herein. Beachtlich ist das Einfühlungs- und Darstellungsvermögen der einzelnen Haupt- und NebendarstellerInnen in eine "anders (nicht-) sehende" Welt.
"Die Stadt der Blinden" wurde von der Filmbewertungsstelle Wiesbaden (FBW) mit dem Prädikat besonders wertvoll ausgezeichnet.
AVIVA-Tipp: "Die Stadt der Blinden" ist ein verstörender Film, der die "Krankheiten" der Menschheit und ihre verschiedenen Ausprägungsformen seziert: Ignoranz, Habgier, Neid, Rassismus und Diskriminierung. Es sind alt bekannte, aktuelle und äußerst verstörende Bilder, die hier wieder an die Oberfläche getragen werden und mit ihrer zeitlosen Verortung und Universalität als Mahnung fungieren.
Zur Hauptdarstellerin: Julianne Moore wurde 1960 in North Carolina geboren. Sie stellte ihr schauspielerisches Können in zahlreichen Filmen mit einer großen Bandbreite unter Beweis. Für "Das Ende einer Affäre" (1999), "Dem Himmel so fern" (2002), "The Hours" (2002) und "Children of Men" (2006) wurde sie für den Oscar nominiert.
Stadt der Blinden
Originaltitel: Blindness
Brasilien/Kanada/Japan 2008
Nach einem Roman von José Saramago
Drehbuch: Don McKellar
DarstellerInnen: Julianne Moore, Mark Ruffalo, Alice Braga, Yusuke Iseya,
Yoshino Kimura, Danny Glover, Gael Garcia Bernal u. a.
Verleih: Kinowelt
Lauflänge: 120 Minuten
Kinostart: 23. Oktober 2008
Weitere Informationen finden Sie auf der Website von "Die Stadt der Blinden" www.diestadtderblinden.kinowelt.de