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Beitrag vom 30.12.2005
Yes
Tatjana Zilg
Eine crosskulturelle Liebe, leidenschaftlich und existenzerschütternd. Irisch-amerikanische Biologin trifft auf libanesischen Arzt. Von Sally Potter, der Meisterin der malerisch-epischen Erzählung
I don´t believe this.
I must say no, definitely.
Der Weg, den eine Frau in der Mitte ihres Lebens geht, um Ja sagen zu können zu ihrer großen Liebe, um kulturelle Begrenzungen zu überwinden und um zu ihren eigenen Wünschen und Begierden zu finden - dies könnte die Essenz dieses feinsinnig und ausdrucksstark inszenierten Werkes beschreiben. Und doch ist "Yes" viel mehr: Ein Film über den wachsenden Spalt zwischen der östlichen und der westlichen Welt, über Vorurteile und Klischeebilder, über Gefühlskälte und Leidenschaft, über die existenziellen Fragen des Lebens wie Glaube, Atheismus und die darin verborgenen Mikrokosmen.
Die Regisseurin Sally Potter, die auch das Drehbuch schrieb, setzt ihre brillante Idee auf ungewöhnliche und mutige Weise um. Ihre beiden Hauptcharaktere lässt sie unbenannt, sie werden als "Sie" (Joan Allen) und "Er" (Simon Abkarian) bezeichnet. Das Wechselspiel zwischen Männlich und Weiblich bekommt so einen besonderen Fokus. Der Interaktion und der erotischen Anziehung haftet eine Universalität an. Das Potential dieser Liebe, die sich zum Größtmöglichen entwickelt, ist in jeden Mann und jeder Frau vorhanden.
"Sie" ist zu Beginn in einer unterkühlten, leidenschaftslosen Ehe verfangen. Anthony (Sam Neill), ihr Mann, ist nüchtern und stets realistisch. Seine früheren Träume hat er tief in sich vergraben. Ihr gemeinsames Haus ist zwar edel und kostspielig eingerichtet, aber es fehlt jegliches Gefühl von Geborgenheit und Lebendigkeit. Durch die Vielzahl der weißen Einrichtungsgegenstände wirkt es fast steril. Eine Putzfrau (Shirley Henderson) sorgt jeden Tag dafür, dass alles perfekt rein bleibt. Hier setzt Sally Potter eine weiteren genialen Akzent: Der Putzfrau kommt eine wesentliche Rolle im Film zu, ohne dass sie je direkt mit den Hauptpersonen interagiert. Stattdessen führt sie einen ironisch-philosophischen Monolog über die in die Brüche gehende Ehe ihrer ArbeitgeberInnen, über die Beschaffenheit von Schmutz und der Unmöglichkeit, ihn jemals wirklich loszuwerden. Sie begleitet die gesamte Story durch kleine Einschübe, ergänzt durch Putzfraukolleginnen in aller Welt.
Als "Sie" auf einem Bankett nachdenklich etwas abseits vom geselligen Treiben steht, sieht "Er" sie zum ersten Mal und spricht sie sofort an. Er arbeitet dort als Koch, denn er ist aus politischen Gründen aus dem Libanon emigriert, wo er ein angesehener Arzt war. Nun lebt er in London in bescheidenen Verhältnissen. Sie ist fasziniert von diesem feinsinnigen, weltgewandten Mann. Nach kurzem Zögern wählt sie einige Tage später die Telefonnummer von der übergebenen Visitenkarte.
Ein Seitensprung von allerbester Qualität beginnt. Er verwöhnt sie mit erotischer Liebeskunst, spielerischen Tanzdarbietungen und hochgeistigen Dialogen. Eher wenig erfährt sie über sein reales Leben im Exil. Als eines Tages aus einem Wortgefecht über die verschiedenen Kulturen mit den Küchenmitarbeitern eine gewalttätige Auseinandersetzung wird, verliert er seinen Job. Anstatt sich seiner Geliebten anzuvertrauen, fordert er die Trennung. Und zwar an einem Moment, wo sie sich fast endgültig aus ihrer verfahrenen Ehe gelöst hätte und ihn mehr braucht als je. Doch er entzieht sich ihr. In einer der wichtigsten Szenen des Filmes führen die beiden konträren Liebenden in einer Tiefgarage einen ausführlichen Dialog, wo sie sich gegenseitig die Sichtweise auf den anderen in der Begrenzung kultureller Vorbestimmung und politischer Machtverhältnisse offenbaren und hinterfragen. Doch ein Anruf unterbricht die Auseinandersetzung. Sie muss plötzlich zu ihrer sterbenden Tante, der wichtigsten Bezugsperson ihrer Kindheit, nach Irland fliegen.
Beide spüren in der körperlichen Entfernung, dass sie sich entscheiden müssen. Er ist mittlerweile in seine Heimat zurückgekehrt, aber er merkt, dass das Vertraute ihn nicht zufrieden stellt. Die Sehnsucht ist zu stark.
Der künstlerisch-multitalentierten Sally Potter gelang das Wunderwerk eines Filmes, der malerische Bilder, perfekte Effekteinsetzung, eine kleine Weltreise und magisch-poetische Sprache mit einer fesselnden Storyline verbindet. Alle Sinne der ZuschauerInnen werden angesprochen. Die Reife der Regisseurin sorgte dafür, dass dennoch keine Überforderung eintritt. Jede Minute des Filmes ist ein delikater Genuss, der sich in die Erinnerung einprägt. Wer sich dieses seltene Kinoerlebnis für den Alltag bewahren will, kann die Verse als Screenplay erwerben, denn Sally Potter hat das Drehbuch zur Veröffentlichung freigestellt. Ein Großteil der intelligenten Wortspiele und Dialoge ist in einem prosaisch-lyrischen Stilmittel geschrieben, dem iambischen Pentameter. Sie erhalten dadurch besonderen Ausdruck und Intensität, sind aber dennoch leicht verständlich.
AVIVA-Tipp: Ein wahrhaft außergewöhnlicher Film über die Magie des Augenblickes, die Sehnsucht nach der Ewigkeit, die Suche nach Wissen und über die Weisheit des Alters. Zum Sich Fallenlassen, zum Träumen, zum Sehnen, aber auch zum Nachdenken, zum Hinterfragen heutiger Denkmechanismen und zur Erweiterung des Blickes auf die fremde Kultur.
AVIVA-Berlin führte kurz vor dem Filmstart ein Interview mit der Regisseurin Sally Potter, der nach langjähriger erfolgreicher Arbeit als Choreographin, Tänzerin und Theaterintendantin 1992 der internationale Durchbruch als Filmemacherin mit der vielbeachteten und preisgekrönten Virginia Woolf-Adaption "Orlando" gelang.
Yes
Großbritannien, USA 2004, 95 Minuten
Regie: Sally Potter
Drehbuch: Sally Potter
Produzenten: Christopher Sheppard, Andrew Fierberg
DarstellerInnen: Joan Allen, Simon Abkarian, Shirley Henderson, Sam Neill, Samantha Bond, Sheila Hancock, Stephanie Leonidas
Verleih: www.alamodefilm.de
Kinostart: 05.01.2006
www.yesthemovie.com