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Beitrag vom 01.09.2011
Die Qual der Wahl - Berlin wählt
Isabell Serauky
Am 18. September 2011 haben die BerlinerInnen mal wieder die Qual der Wahl. Die Abgeordnetenhauswahl steht an. Bunte, omnipräsente Wahlplakate sollen für zünftige Wahlkampfstimmung sorgen.
Traditionell lassen Wahlplakate nicht einmal rudimentär eine politische Aussage erkennen. Ich frage mich immer, warum sich die beratenden Werbeprofis so frei von Aussagegehalt und Kreativität austoben. Politische Programme lassen sich wohl deutlich schleppender "verkaufen", als Zahnpasta, Müsliriegel, Schokolade & Co. Wahlkampfparolen auf Pappe wären glatte Ladenhüter, gäbe es sie nicht überall gratis. Und auch in diesem Jahr werde ich nicht enttäuscht. Faszinierende und einzigartige Aussagen werden uns um die Ohren gehauen. Die SPD fesselt mit: "Berlin verstehen", die CDU kommt ganz dynamisch mit: "Damit sich was ändert." daher und bei den Grünen heißt es ganz menschelnd: "Renate sorgt."
Es sei die leise Frage gestattet: Was soll die nach Orientierung dürstende Wählerin mit diesen flachen Botschaften bloß anfangen?
Und die Problemvielfalt der "arm aber sexy" Metropole ist beeindruckend. Neben altbekannten städtischen Problemen kommen dieser Tage besondere Herausforderungen hinzu. So brennen seit Wochen nachts Autos aus, in unterschiedlichsten Stadtbezirken und egal welchen Typs oder Alters, ein Brandbrief einer Neuköllner Schule an Bildungssenator Jürgen Zöllner signalisiert mal wieder die Hilflosigkeit gegenüber Gewalt und Chaos und die Explosion der Mieten verbreiten in der Stadt ein mulmiges Gefühl.
Nur wahrhaftig wagemutige Menschen drängen bei diesen Problemen auf den Sitz des Regierenden. Denn Lösungen sind kaum in Sichtweite, wie auch bei leeren Kassen?
Ein spannungsfreier Wahlkampf zieht seine Runden, weder inhaltlich noch personell. Nach derzeitigen Prognosen – knapp drei Wochen vor der Wahl - liegt Landesvater Wowereit solide vor den Grünen, trotz deren monatelangen Höhenflugs. Irgendwie trifft die burschikose Renate nicht den Ton, der die BerlinerInnen packt. Noch erstaunlicher ist, dass die Linke nach selbstzerstörerischer Mauerbaudiskussion, beschworener Wege Richtung Kommunismus und glühender Glückwunschschreiben an den kubanischen Freund Fidel Castro wohl wieder dicke ins Abgeordnetenhaus einziehen wird. Für die FDP bleibt Berlin ein hartes Pflaster. Es ist müßig darüber zu spekulieren, warum der Sprung über die 5% Hürde wohl nicht gelingen wird. Selbst für sonst stramme FDP-WählerInnen ist die Palette breit, dieses Mal abtrünnig zu werden. Die CDU geht auf andere Weise einen harten Weg, glänzt sie doch mit ihrem – nach wie vor - fast unbekannten Kandidaten Frank Henkel.
Einzig spannungsgeladener Moment in diesem Berliner Wahlkampf ist, wer am Abend des 18. September wem schöne Augen macht. Denn in dem Punkt der Lagerbildung sind alle KandidatInnen recht zugeknöpft oder besser: Ganz, ganz offen. Die denkbaren Konstellationen sind daher bunt: Fortsetzung von rot-rot, mal wieder die Auflage rot-grün mit Blick auf die Bundestagswahl 2013, nach dem Liebesentzug für Renate etwas in die Ferne gerückt, aber nicht völlig vergessen: grün-schwarz oder gar mal wieder rot-schwarz?
Letztlich ist es unwahrscheinlich, dass Wowi der Stadt nicht erhalten bleibt. Und da ist die Frage, wer an seiner Seite ist, fast egal. Als waschechter Berliner hat er die Stadt in den letzten zehn Jahren geprägt. Manches Mal mit einem Tick Lokalkolorit zu viel. Aber sollte die Ära Wowereit in die Verlängerung gehen, dann dürften diese Jahre angesichts der wachsenden Probleme eine neue Herausforderung für den altgedienten Regierenden werden. Und das ist auch gut so.
Die Autorin Isabell Serauky ist Rechtsanwältin und arbeitet in einer Kanzlei im Berliner Prenzlauer Berg, www.jurati.de
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