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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 01.09.2010


Die Friseuse - Ein Film von Doris Dörrie
Evelyn Gaida

Hauptdarstellerin Gabriela Maria Schmeide ist mit sofortiger Wirkung voll da, wirbelt resolut und wortgewaltig eine etwas hilflose, später dankbare Kundin herum, zelebriert ihr Metier und ...




... erzählt derweil ihr extrem bewegtes Leben, beim Färben hat sie ja genug Zeit.

Das Changieren der Schauspielerin zwischen Unerschütterlichkeit und Traurigkeit ist beeindruckend. "Die Friseuse" lässt sich definitiv nicht unterkriegen, das wird schnell klar, und wer könnte einer so entschlossenen und authentischen Berliner Schnauze widersprechen? Fazit: "Ick fühl ma jut!" Das ist ihrer sprudelnden Redelust zufolge alles andere als selbstverständlich, Multiple Sklerose wird als unerwarteter Schocker erwähnt, außerdem habe sie eigentlich alles verloren ... Der Hauptinhalt des Films zeigt schließlich rückblickend das erzählte Auf und Ab ihrer Geschichte bis zu eben diesem Punkt im Friseursalon. Schmeide brilliert als Friseuse Kathi König durchgehend, ihr (Ost-)Berliner Sprachwitz ist unwiderstehlich, ansonsten hat der Film selbst seine Höhen und Tiefen.

Für Kathi König kommt es ganz dicke. Sie ist nicht nur so übergewichtig, dass sie sich morgens ächzend mit Hilfe eines Seils aus dem Bett ziehen muss, sondern auch noch arbeitslos und von ihrem Mann für ihre (ehemalige) beste Freundin verlassen worden. Zu ihrer pubertierenden Tochter, mit der sie gerade frisch nach Berlin-Marzahn in die Plattenbausiedlung gezogen ist, hat sie ein gespanntes Verhältnis, dann kommt – unter anderem – auch noch die niederschmetternde MS-Diagnose hinzu. Nicht nur als Komödie und Satire, sondern auch als Sozialdrama hat sich Dörries Film mit so viel Schicksalsschlägen den Mund ziemlich voll genommen.

Geradezu "halsbrecherisch" tritt König einen schwer gebeutelten, aber unumstößlich schlagfertigen Marsch gegen die Unbilden der Bürokratie, des Finanzwesens, der Gesellschaft an. "Mit Klauen und Zähnen" will sie um die "FriseurInnen"-Stelle im "Eastgate" kämpfen, einem Marzahner Einkaufszentrum nach amerikanischem Vorbild. (O-Ton: "Ja, ich weiß, ich soll nicht mehr Friseuse sagen, sondern Friseurin, aber ich bin nun mal Friseuse.") Von der Chefin wird sie jedoch als "nicht ästhetisch" abgewiesen. Beim Anblick eines leer stehenden China-Restaurants setzt sich die Friseuse im träumerischen Delirium daraufhin einen aberwitzigen Plan in den Kopf: Ihren eigenen Konkurrenz-Salon zu eröffnen, gleich gegenüber vom Ort des unglückseligen Vorstellungsgesprächs.

Dazu braucht sie neben ihrem Durchhaltevermögen vor allem eines: Geld. Anlässlich der folgenden Odyssee zu Behörden, Banken und Beratern gelingt Dörrie ein amüsanter und anrührender Wechsel zwischen fahlen Gesichtern im Schauhauslicht der Büros und Amtsstuben, papierenem Paragraphendeutsch, Absurdität, Satire und Menschlichkeit. Die Puste geht der Handlung etwas aus, als die streitbare Ostberlinerin zur Komplizin eines halbseidenen Schleusers wird, die "geschleusten" illegalen VietnamesInnen jedoch in ihrer Wohnung stranden und es nicht mehr so recht vorangehen will mit der Glaubwürdigkeit und den Pointen. Bei Kathis Ausflug als "Friseuse auf Rädern" ins Altersheim erreichen letztere ihren absoluten Tiefschlag unter die, äh, Gürtellinie: Ein Senior tut sich durch regelmäßiges Masturbieren beim Glatzewaschen hervor.

Abgesehen von solchen Schwachstellen ist der Film vor allem durch zweierlei interessant. Zum einen durch die lebensechte und detailreiche Sprachfreude. Der imponierenden Schlagfertigkeit Königs werden kleine und feine Nebenbemerkungen beigemischt, die sowohl dem Milieu als auch den Charakteren ihren Realitätscharakter verleihen. Von den VietnamesInnen wird Kathi trotz ihrer desolaten Lage irrtümlicherweise ständig "Frau Königin" genannt. Mit Redewendungen nimmt sie es selbst nicht so genau und muss die "Karotten aus dem Feuer" holen oder die "Läuse" ertragen, die ihr Ex-Mann der gemeinsamen Tochter ins Ohr setzt. Kleinigkeiten, die in den Dialogen eine große Wirkung entfalten.

Zum anderen ist die Darstellung der Protagonistin hervorzuheben. Klischees werden gekonnt und unterhaltsam ausgespielt, aber nicht instrumentalisiert, um allzu platte Botschaften an die BürgerInnen zu bringen. Kathi König ist eine überaus widersprüchliche Figur, ihre eigenen Äußerungen auch nicht "politisch korrekt": "Bloß weil ick dick bin, muss ick ja nich och auf Dicke stehn." Gerade deshalb ist ihre Weigerung, unglücklich zu sein, bewundernswert, die sonst vielleicht als konstruierter "Hollywood"-Heroismus durchgefallen wäre. Ihre Durchsetzungsfähigkeit wirkt glaubhaft und stark, ihr Mangel an kritischer Selbstwahrnehmung wird jedoch ebenfalls gezeigt. Wohlmeinend, aber gnadenlos nervtötend versucht sie ihrer Tochter Kleidung und Konzertbegleitung aufzuschwatzen und ist überhaupt verbal nicht zu stoppen, mal im guten, mal im nervigen Sinne.

Das körperliche Übergewicht wird filmisch weder zum heimlichen Lebensideal stilisiert, noch als "unästhetisch" disqualifiziert. Dörrie widersetzt sich dem Kaschieren von Fett wie die Faust dem Auge. Der Film verschreibt sich der Nahsicht auf voluminöse Körperlichkeit. Einerseits befreit diese das Dicksein im Beth-Ditto-Trend mit unkonventioneller Ästhetik aus der Verhüllung, schießt andererseits aber oft über das Ziel hinaus. In die Spanner-Position versetzt, sehen die ZuschauerInnen wie Gabriela Maria Schmeides Body Double morgens in den Schlüpfer steigt oder die Brüste zum Eincremen ihrer Unterseite anhebt. Bedenklich schnaufende Beschwerlichkeit und heldinnenhafter Glaube an sich selbst, allen Rückschlägen zum Trotz, stehen in die "Die Friseuse" nebeneinander.

AVIVA-Tipp: In Doris Dörries erstmaliger Verfilmung eines nicht von ihr stammenden Drehbuches trifft die erstklassige Hauptdarstellerin Gabriela Maria Schmeide auf eine Handlung mit Schwachstellen, die häufig zu "dick" aufträgt. Widersprüche anstelle allzu plakativer Botschaften sind ansonsten der Vorzug dieses oft sehr amüsanten und anrührenden Films. Eine übergewichtige Friseuse kämpft sich wortstark durch die (Plattenbau-)Schluchten Berlin-Marzahns, des Jobcenters, der Bürokratie und Intoleranz. Ihr Berliner Mundwerk ist dabei unschlagbar – ihm können sich auch die ZuschauerInnen gerne ergeben!

Die Friseuse
Label: Constantin Film
Bildformate: 2.35:1 in 16:9
Tonformate: DD 5.1, DTS, Deutsche Untertitel für Hörgeschädigte möglich
Sprache: Deutsch
Anzahl Disks: 2
VÖ: 12. August 2010
Gesamtspieldauer: ca. 102 Minuten
Extras: Interviews (ca. 14 Min.), Blick hinter die Kulissen (ca. 3 Min.), Darsteller-Infos

Blu Ray
Bildformat: 2.35:1, 16:9
Tonformat: Deutsch DTS-HD High Resolution 5.1, Deutsche Untertitel für Hörgeschädigte möglich
VÖ: 12. August 2010
Länge: ca. 106 Min.
Extras: Interviews (ca. 14 Min.), Blick hinter die Kulissen (ca. 3 Min.), DarstellerInnen-Infos

Weitere Informationen finden Sie unter:

www.friseuse.film.de

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Beitrag vom 01.09.2010

Evelyn Gaida