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Beitrag vom 11.10.2008
African Screens – Neues Kino aus Afrika
Karolin Korthase
Der afrikanische Film kommt endlich auch in Deutschland an. Vom 9. Oktober bis zum 9. November 2008 zeigt das Haus der Kulturen der Welt Filme aus Afrika, die sich mit postkolonialen Verhältnissen ...
... und den Sehnsüchten der Menschen beschäftigen.
Den Neuen afrikanischen Film nach Deutschland zu bringen, scheint der Politik sehr am Herzen zu liegen. Zur Veranstaltungseröffnung der "African Screens – Neues Kino aus Afrika" am 9. Oktober 2008 erschien nicht nur Bundespräsident Horst Köhler, sondern auch Brigitte Zypries, die Bundesministerin der Justiz und einige andere Bundestagsabgeordnete. Vieles wurde gesagt, aber noch mehr blieb ungesagt, und es konnte erahnt werden, warum sich der vielbeschworene gleichberechtigte Dialog zwischen Europa und den afrikanischen Ländern so schwierig gestaltet.
Nach einführenden Worten der charmanten Moderatorin Mo Asumang vor über 1000 Gästen erklärte Köhler, dass es an der Zeit sein sollte, Afrika nicht mehr als Hilfsbedürftigen, sondern als Partner auf Augenhöhe zu betrachten. Seiner Ansicht nach haben sich afrikanische Filmemacher längst von einem postkolonialen Blick befreit und neue, kritische Ausdrucksmittel gefunden. Diese Entwicklung und das neu erwachsende Selbstbewusstsein afrikanischer Intellektueller sollte von uns Europäern mehr wahrgenommen und anerkannt werden, wozu, laut Köhler, das Festival einen großen Beitrag leisten kann.
Die Intention, sich auf gleicher Augenhöhe zu begegnen, mag löblich sein, aber es fragt sich, welche Augenhöhe oder genauer ausgedrückt, welche Perspektive genau gemeint ist. Wer ist schon wirklich bereit, sich auf einen afrikanischen Blickwinkel oder auf die afrikanische Kultur einzulassen? Die Begegnung soll nach unseren Maßstäben und Richtlinien geschehen - ob diese noch immer postkolonial beeinflusst sind oder nicht, spielt dabei auch keine Rolle mehr.
Im Anschluss an die Rede des Bundespräsidenten äußerte sich im Dialog mit Mo Asumang der Kurator des Festivals, Manthia Diawara, geboren in Mali und Professor für "Vergleichende Literaturwissenschaften", sowie Leiter des Fachbereichs "Africana Studies" an der New York University.
Manthia Diawara schloss sich der Ansicht Köhlers an und kritisierte die eindimensionale Sichtweise vieler Europäer, die Afrika primär als Problem betrachten. Dieser unilateralen Wahrnehmung will er ein Bild Afrikas entgegensetzen, dass durch Diversität und Multikulturalität besticht und der Vielzahl politischer Visionen und Filmsprachen der unterschiedlichen Länder Afrikas gerecht wird. Um das Neue Kino Afrikas dem westlich geprägten ZuschauerInnenblick leichter zugänglich zu machen, wählte er vor allem Filme aus, die einen universellen Ton treffen und einen "new african humanism", der sich "between black and white" positioniert, vermitteln.
Aber auch hier fragt sich, wie viel Kulturaustausch so ein Filmfestival wirklich bietet, wenn zum Einen hauptsächlich Regisseure vertreten sind, die nicht ausschließlich in Afrika, sondern auch in Europa leben und dementsprechend auch Filme machen, die dem westlich-geprägten Blick und der eurozentrischen Erwartungshaltung eher schmeicheln und sie nicht herausfordern. Bedauernswert ist zudem die Minderzahl an weiblichen Regisseuren, auf die auch die Moderatorin und Filmemacherin Mo Asumang hinwies. Auf ihre Nachfrage diesbezüglich, zeigte auch der Kurator sein Bedauern über das Ungleichgewicht in der Geschlechterverteilung. Er erklärte, dass es zum Einen weniger Frauen in Afrika gäbe, die Filme machen, und dass die verfügbaren Filme weiblicher Regisseure dem westlichen Publikum schwer zugänglich wären, weil sie zu afrikanisch seien. Was uns wieder zum Ausgangsproblem zurückführt.
Im Anschluss an den Dialog zwischen Asumang und Diawara wurde der Eröffnungsfilm "Clouds over Conacry" von Cheick Fantamady Camara gezeigt, der auf die folgenden Festivalwochenenden, an denen über 40 Spielfilme, Dokumentationen und Kurzfilme gezeigt werden, einstimmte.
"Clouds over Conacry" von Cheick Fantamady Camara
Conacry, die Hauptstadt Guineas wird seit Wochen von einer anhaltenden Dürreperiode heimgesucht. Der Himmel ist mit Staubwolken verhangen, die Sonne hat jegliche Farben aus den Pflanzen herausgesogen, alle warten auf Regen. Hier lebt Bangali, von allen kurz BB genannt, der als Karikaturenzeichner bei einer liberalen Zeitung arbeitet und in Kesso, die Tochter des Chefs verliebt ist. In seinen Zeichnungen kritisiert er die führende religiöse Elite und politische Obrigkeiten, in seiner Freizeit geht er mit seiner Freundin Kesso an den Strand und auf Parties. Eigentlich ist er ein ganz normaler junger Mann, der mit offenen Augen und einem kritischen Blick seiner Umwelt begegnet. Aber er führt ein Doppelleben, denn er ist nicht nur der Karikaturenzeichner BB, sondern auch der Sohn Karamos, dem Imam von Conacry, der Großes für ihn vorgesehen hat.
Bangali soll, auf Wunsch der Ahnen, mit denen der Vater im ständigen Zwiegespräch steht, zur Koranlehre nach Saudi Arabien gehen und in die Fußstapfen Karamos treten. Der Autorität seines Vaters erlegen, gelingt es Bangali weder, sein Doppelleben aufzulösen und von seinen Tätigkeiten als Zeichner bei der Zeitung zu erzählen, noch den Wunsch des Vaters abzulehnen. Die Situation spitzt sich ins Unerträgliche zu, als BB von der Schwangerschaft seiner Freundin erfährt und zudem durch eine explizit gegen seinen Vater gerichtete Karikatur unter der religiösen Elite einen Protestschrei auslöst.
Nach langem Zögern und Zaudern entscheidet er sich für die Wahrheit und beichtet seinem Vater die Schwangerschaft und seine Tätigkeit als Karikaturenzeichner. Entgegen der Erwartung des Publikums kommt es zwar zur Eskalation, aber auch zur Auflösung derselben, denn ein Happy-End scheint in Sicht, nachdem sich Kesso dazu bereit erklärt, das gemeinsame Kind im Heimatdorf BB´s zur Welt zu bringen und rituell reinigen zu lassen. Erfüllte Szenen der Schwangerschaft und der Liebe zwischen den werdenden Eltern folgen. Die ZuschauerInnen lassen sich schon beglückt und beseelt in den Kinosessel sinken, bis das Unmögliche und Unerhörte passiert: Im Zuge des Rituals, das der Imam mit weiteren Mitgliedern der Familie unmittelbar nach der Geburt abhält, wird der Säugling unter der fadenscheinigen Begründung, die Ahnenlinie von einem Bastard reinigen zu müssen, kaltblütig umgebracht.
Die verbohrte und widersprüchliche Hörigkeit des Imams gegenüber den Ahnen, die im Verlaufe des Films höchstens zum belustigten Kopfschütteln einlud, offenbart in diesem menschenverachtenden Akt, seine ganze fanatische und gefährliche Dimension. Die Beziehung zwischen Vater und Sohn ist nun vollkommen zerstört, der Bruch zwischen Tradition und Moderne erscheint endgültig unüberbrückbar. Bezeichnend sind die letzten Bilder mit denen der Regisseur Cheick Fantamady Camara die ZuschauerInnen entlässt: Der Vater sitzt gebrochen von seiner eigenen Starrheit zusammengesunken im Regen, der ihn doch nicht reinzuwaschen vermag. Kesso ist zwei Jahre nach dem Verlust des ersten Kindes wieder schwanger und noch immer glücklich mit BB zusammen.
Der Regisseur entwirft ein realistisches Bild der gesellschaftlichen Wirklichkeit in Guinea, das die Macht der Tradition verdeutlicht, aber im gleichen Atemzug auch den Willen der Jugend zur Veränderung zeigt. Korruption, Religion und Tradition stehen in einem unerträglichen Spannungsverhältnis zu den Wünschen und zur Lebensart der Jugend Guineas.
"African Screens – Neues Kino aus Afrika"
Vom 9. Oktober 2008 bis zum 9. November 2008
Die fünf Festivalwochenenden sind thematisch aufgeteilt in:
"Postkoloniale Ästhetik", "Afrika unter dem Mikroskop", "Négritude", "Nollywood/Fokus Südafrika" und "AFRIKAMERA 2008 – Best of FESPACO 07".
Veranstaltungsort: Haus der Kulturen der Welt
John-Foster-Dulles-Allee 10
10557 Berlin
Öffnungzeiten: Di - So 10 - 21 Uhr
Karten und Infos: Montags von 10 - 18 Uhr
Dienstags bis Sonntags von 10 - 21 Uhr
Telefon: 030 39 78 71 75
Das Veranstaltungsprogramm zu allen Filmen und Veranstaltungen im Rahmen von "African Screens – Neues Kino aus Afrika" finden Sie unter:
www.hkw.de