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Beitrag vom 10.10.2008
Die Türkei ist das Ehrenland auf der Frankfurter Buchmesse 2008
Karolin Korthase
Für die meisten Deutschen ist die türkische Literatur ein Niemandsland, obwohl in Deutschland ungefähr 2,5 Millionen Menschen türkischer Herkunft leben. Grund genug für Juergen Boos, Direktor...
... der Frankfurter Buchmesse 2008, den Fokus der in diesem Jahr zum Sechzigsten Mal stattfindenden Messe auf die Türkei zu legen. Dort gibt es ungefähr 1.700 Verlage und eine reiche Literaturlandschaft, die bedauerlicherweise im Ausland nur wenig bekannt ist, weil viele der Werke in den Grenzen der türkischen Sprachraums verbleiben. Dies soll sich durch die Frankfurter Buchmesse vom 15. bis 19. Oktober 2008 ändern, auf der rund 350 türkische, armenische und kurdische Autoren und Autorinnen vertreten sind.
Der Ehrengast präsentiert sich in diesem Sinne unter dem Motto "Türkei - Faszinierend farbig" und will auf das reiche kulturelle Erbe seines Landes und der daraus erwachsenen faszinierenden Vielfalt in der heutigen Türkei hinweisen. Dem Generalkoordinator Ahmet Ari ist es dabei wichtig zu erwähnen, dass er die Ernennung seines Landes als Ehrengast auf der Buchmesse auch als Chance sieht, nicht nur die gesellschaftlichen und kulturellen Aspekte der Türkei vorzustellen, sondern auch über sie zu diskutieren.
Die Literatur bietet, wie Juergen Boos vermerkt, immer auch einen ganz besonderen Zugang zu einem Land und im Falle der Türkei dazu noch einen sehr brisanten. In den vergangenen Jahren wurden, in Berufung auf den Artikel 301 ("Beleidigung des Türkentums") in der türkischen Gesetzgebung immer wieder führende Intellektuelle, AutorInnen und JournalistInnen angeklagt und zum Teil auch verklagt. Der Literaturnobelpreisträger des Jahres 2005 Orhan Pamuk gehört zu ihnen oder auch die Journalistin Ipek Calislar. Gut in der Erinnerung des öffentlichen Gedächtnisses geblieben ist auch der Mord an dem armenisch-türkischen Journalisten Hrant Dink im Januar 2007 und die harten Worte des konservativen Präsidenten Tayyip Erdogan zu dem Brand in Ludwigshafen.
Die zunehmenden Spannungen zwischen den Kemalisten, die in der laizistischen Tradition des Staatsgründers Kemal Mustafa Atatürk stehen und den Religiösen, die Staat und Religion nicht strikt voneinander trennen wollen, spalten das Land. Diese Spannungen entluden sich erst kürzlich in dem angestrebten Verbotsfahren gegen die regierende konservative Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP), welches allerdings nicht durchgesetzt werden konnte. Der AKP wird vorgeworfen, eine sukzessive Islamisierung des Landes voranzutreiben und oppositionelle Kräfte zu unterdrücken.
Für negative Schlagzeilen sorgten auch die latent zunehmenden antisemitischen Äußerungen und Vorkommnisse im Land, die mit dem Erstarken der konservativ-religiösen Lager korrelieren.
All diese Ereignisse, die in der internationalen Wahrnehmung ein tendenziell negativ-geprägtes und eindimensionales Bild der Türkei erzeugten, dürfen allerdings nicht vergessen lassen, dass es in diesem Land auch unzählige Stimmen gibt, die für mehr Freiheit und gegen eine zunehmende Radikalität und Islamisierung eintreten.
Vieles muss noch passieren und die Abmilderung des Artikels 301 im April 2008 ist nur ein kleiner Anfang, aber es bleibt zu hoffen, dass die Stimmen derer, die für mehr (Meinungs-)Freiheit eintreten, zunehmend lauter und bestimmter gehört werden.
Die Ernennung der Türkei als Ehrenland auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse bietet dabei die Chance, Akzente und Impulse zu setzen - für ein differenziertes Bild in der internationalen Öffentlichkeit, für eine freie und demokratische Berichterstattung und Kulturlandschaft und für die stärkere Einbindung der Türkei in ein geeintes Europa.
AVIVA-Berlin hat für Sie eine Auswahl unter den Publikationen türkischer Autorinnen getroffen, die im Herbst 2008 veröffentlicht werden. Thematisch sind die Werke breit gefächert: Neben einer Biographie über die Ehefrau des türkischen Staatsgründers Atatürk befindet sich ein Buch über die 14-Millionen-Stadt Istanbul, ein Sammelwerk über die junge Literatur in Istanbul und ein Sachbuch über die in Deutschland viel diskutierten Ehrenmorde in der Auswahl. Besonders oft vertreten ist die deutsch-türkische Literatur, die es seit der Ankunft zahlreicher ArbeitsmigrantInnen in den 60er Jahren gibt. Diese Literatur war, laut Juergen Boos, von Anfang an politisch und sozialkritisch und thematisiert das Leben in einem fremden Land, in "Almanya", und die daraus erwachsene Spannung zwischen einer islamisch und einer westlich geprägten Gesellschaft.
Aber lesen Sie selbst und erfahren Sie nicht nur mehr über unseren vertrauten, aber doch so fremden europäischen NachbarInnen, sondern auch über die deutsche Kultur aus einer anderen Perspektive.
(Quellen: Frankfurter Buchmesse 2008, taz am 02.05.2006, SPIEGEL Online am 01.07.2008, sueddeutsche.de am 31.07.2008, amnesty international am 01.03.2006)
Weitere Infos zur Frankfurter Buchmesse finden Sie unter:
www.buchmesse.de
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