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Beitrag vom 15.11.2023
Deutsches Haus. Start auf Disney+: 15.11.2023
Anke Gimbal, Stiftung Zurückgeben
"Ich habe ausschließlich im Büro gearbeitet" und wusste von nichts … Die 5-teilige Miniserie bei Disney+ spielt in den Jahren 1963/1964 und befasst sich mit dem ersten Auschwitz-Prozess aus der Sicht einer Dolmetscherin für die Sprachen Deutsch und Polnisch. 21 ehemalige Angehörige der Lager-SS und ein einstiger Funktionshäftling …
… wurden vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main angeklagt, im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz in den Jahren 1940 bis 1945 für den Tod von über 45.000 Häftlingen verantwortlich gewesen zu sein.
Im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz beziehungsweise Auschwitz-Birkenau wurden von den Nationalsozialisten zwischen 1940 und 1945 mehr als eine Million weit überwiegend jüdische Menschen ermordet. "Auschwitz" mit seinen Gaskammern und Schornsteinen wurde weltweit zum Symbol der Shoah, des nationalsozialistischen Völkermords. Die Hauptkriegsverbrecher wurden nach Kriegsende vor ein internationales Militärgericht der vier Siegermächte gestellt und verurteilt. Mit der weiteren strafrechtlichen Verfolgung der Verbrechen tat sich die Bundesrepublik Deutschland nach dem Krieg allerdings schwer. Erst der aus der Emigration zurückgekehrte jüdische Jurist Fritz Bauer erreichte als hessischer Generalstaatsanwalt, dass zum einen die "Untersuchung und Entscheidung" in der Strafsache gegen Auschwitz-Täter dem Landgericht Frankfurt am Main übertragen und dann auch Ermittlungsverfahren gegen vormalige Angehörige und Führer der SS-Wachmannschaft des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz eingeleitet wurden. Vor dem Landgericht Frankfurt am Main wurde schließlich im Dezember 1963 gegen 22 Angeklagte der erste Auschwitzprozess eröffnet. Fritz Bauer und sein Team ließen zahlreiche Auschwitz-Überlebende – Zeuginnen und Zeugen aus Polen, Israel und weiteren Ländern anreisen, um durch ihre Aussagen die Mordbeteiligung der Angeklagten nachzuweisen.
An dieser Stelle beginnt die 5-teilige Serie "Deutsches Haus", die ab 15. November 2023 auf Disney+ gestreamt wird. Das gleichnamige 2018 veröffentlichte Buch von Annette Hess wurde mit namhaften Darsteller*innen, wie u.a. Katharina Stark, Iris Berben, Heiner Lauterbach Anke Engelke, Max von der Groeben, Henry Hübchen, Sabin Tambrea und Aaron Altaras verfilmt.
Neue Vokabeln lernen
Eva Bruhns, die Hauptfigur der Serie, ist Dolmetscherin für die Sprachen Deutsch und Polnisch. Bei Familie Bruhns, die in Frankfurt am Main die Wirtschaft "Deutsches Haus" betreibt, ist kurz vor Weihnachten 1963 der künftige gutbetuchte Schwiegersohn zu Besuch. Der Vater serviert den Gänsebraten. Die Familienidylle wird unterbrochen, denn es klingelt das Telefon, die Staatsanwaltschaft braucht Ersatz für einen Dolmetscher. Eva Bruhns nimmt den Auftrag an, ohne zu wissen worauf sie sich einlässt. Von Kriegsverbrechen und Auschwitz hatte sie zuvor nichts gehört. Das Vokabular für die Beschreibung der Verbrechen durch die polnisch-sprachigen Zeug*innen fehlt ihr. Eva übersetzt sonst bei Wirtschaftsverhandlungen. Sie muss die notwendigen Vokabeln erst nachschlagen und lernen, nämlich "alle denkbaren Wörter dafür, wie man Menschen töten kann". Im ersten Gespräch übersetzt sie Gäste statt Häftlinge, Herberge statt Block. Sie hat auch im weiteren Verlauf des Verfahrens das Wörterbuch vor sich, in dem sie immer wieder blättern muss.
Das Gerichtsverfahren
Auch in den folgenden Episoden lernen sie und die Zuschauenden von den Zeug*innen viel über die Morde und Schrecken des Lagers. Diese stehen im Zentrum der Handlung, inklusive Ortstermin in Auschwitz. Trotz der erdrückenden Darstellung der Zeug*innen beharren die Angeklagten darauf, von nichts gewusst, nichts gesehen, ausschließlich im Büro oder in der politischen Abteilung gearbeitet zu haben bzw. erst gar nicht vor Ort gewesen sein zu wollen.
Die Mauer des Schweigens und Verdrängens der Gräueltaten während der Nazizeit in den Nachkriegsjahren in der Gesellschaft und in der Familie wird deutlich, wenn die Tochter eines Angeklagten als Zuschauerin erfährt, dass ihr zu Hause treusorgender Vater gleichzeitig ein brutaler Mörder war. Auch Eva erfährt, dass ihre Familie nicht unbeteiligt war.
Der Gegensatz zwischen Nazis (stehen in Auschwitz beim "Aussondern an der Rampe") und einfachen Bürger*innen (kochen für die, die an der Rampe stehen) verschwimmt. Ob Mitläufer*in oder Mittäter*in, "jeder ist ein Teil des Rädchens" – so Annette Hess im Anschluss an die vom Deutschen Anwaltverein organisierte Preview am 12.11.2023 in Berlin. Der erste Frankfurter Auschwitz-Prozess dauerte 20 Monate und endete mit teils lebenslangen Haftstrafen.
Frauenrechte in den 60er Jahren
Zu den verschiedenen Nebenhandlungen, die sich in den Episoden entwickeln, gehört die Beziehung zwischen Eva und ihrem Freund und späterem Verlobten Jürgen, der sich eine gehorsame Ehefrau wünscht. Aus diesem Grund spricht er zum Beispiel persönlich bei der Staatsanwaltschaft vor, um den Arbeitsvertrag zu kündigen. Ein Recht, das (zukünftigen) Ehemännern, bis zur ersten Eherechtsrefom Ende der 70er Jahre zustand.
Erinnern, erinnern, erinnern
Annette Hess selbst sagt, sie habe ihr Buch "Deutsches Haus" und auch die Serie unter anderem deswegen realisiert, weil sie "erinnern, erinnern, erinnern" wolle. Ein Teil der deutschen Gesellschaft vertritt stabil rechte Positionen. Der weit überwiegende Anteil der antisemitischen Gewalttaten war laut Kriminalstatistik dem "Phänomenbereich rechts" zuzurechnen (2022 über 80 Prozent). Durch die auf Propaganda und Gegenreaktion ausgerichteten Verbrechen der Hamas am 7. Oktober 2023 erhält die Serie aber nun eine ganz neue Aktualität. Was in den online gestellten Videos der Hamas zu sehen ist, erinnert beängstigend an das, was die Auschwitz-Prozesszeug*innen schildern. Wie sieht es hier mit der Strafverfolgung bzw. Verurteilung der Taten aus? Die barbarischen Morde an Jüdinnen und Juden werden soweit "kontextualisiert", dass es oft nur noch zu einer allgemeinen Verurteilung von Gewalt kommt, an anderer Stelle werden sie mit Süßigkeiten gefeiert. Es fliegen Molotov-Cocktails auch in Deutschland auf Synagogen, es wird "Free Palestine from the River to the Sea" gebrüllt. Plakate mit Fotos der entführten Geiseln werden direkt wieder abgerissen. Die Premiere des Films am 8.11.2023 im Berliner Zoopalast fand unter Polizeischutz statt.
Die Serie ist für die TikTok-Generation gemacht, anzuschauen auf mobile devices. Die fünf Episoden sind mit ihren jeweiligen Cliffhangern auch spannend genug zum Durchhalten bis zum Ende. Und das sollten vor allem auch diejenigen tun, die keine Möglichkeit (mehr) haben mit Zeitzeug*innen zu sprechen. Wer mehr wissen und sich mit dem Thema auseinandersetzen will: Es gibt unter anderem 400 Stunden Tonbandmitschnitte des Auschwitz-Prozesses, veröffentlicht vom Fritz Bauer Institut.
Das Institut bietet auch darüber hinaus viele Informationen zur Geschichte und Wirkung des Holocaust.
"Deutsches Haus" ist eine Produktion von Gaumont GmbH für Disney+. Gefördert wird die fünfteilige Mini-Serie vom Polish Film Institute und dem Ministry of Culture and National Heritage of the Republic of Poland.
Erscheinungsdatum: 2023
Genre: Drama, Historisch
Altersfreigabe: 12
Idee: Annette Hess
Besetzung: Katharina Stark, Aaron Altaras, Max von der Groeben, Anke Engelke, Heiner Lauterbach, Iris Berben, Max von der Groeben, Henry Hübchen, Sabin Tambrea
Der offizielle Trailer ist online unter: www.youtube.com
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(Deutschlandfunk Kultur, Politisches Feuilleton, Beitrag vom 01.03.2023)