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Beitrag vom 06.03.2020
Die perfekte Kandidatin. Kinostart am 12. März 2020
Saskia Balser
Die Ärztin Maryam kandidiert, entgegen aller Einschränkungen die ihr als Frau in Saudi-Arabien auferlegt werden, für den Stadtrat. In einem erbitterten Wahlkampf setzt sich die junge Frau für Freiheit und Gleichheit ein – Regisseurin Haifaa Al Mansour ("Das Mädchen Wadjda") erzählt eine bewegende Geschichte. Ausgezeichnet mit dem Prädikat "Besonders Wertvoll".
Ein schwer verwundeter älterer Mann wird in die Notaufnahme gebracht. Er schreit vor Schmerz und bedarf sofortiger Behandlung. Als Maryam (Mila Al Zahrani) dazukommt um ihn zu versorgen, lehnt er ihre Hilfe jedoch lautstark ab, weil sie eine Frau ist. Situationen wie diese kennt Maryam zur Genüge. Täglich muss sie gegen tradierte Vorurteile ankämpfen und ihre Fachkenntnisse unter Beweis stellen.
Als Maryam nach Dubai fliegen will, um sich dort auf eine bessere Stelle zu bewerben, wird ihr am Flughafen die Abreise verboten, weil die dafür benötigte digitale Einverständniserklärung ihres Vaters fehlt. Doch Maryam ist tough und lässt sich nicht unterkriegen. Sie sucht einen Cousin auf, der als Verwaltungsbeamter gerade Kandidaten für die anstehende Wahl des Stadtrats empfängt. Kurz entschlossen lässt sich Maryam für diese Position aufstellen. Was zunächst nur Mittel zum Zweck sein sollte, entpuppt sich für Maryam schnell als eine gigantische Chance: Als Stadträtin könnte sie endlich die brüchige Zufahrtstraße zum Krankenhaus asphaltieren lassen.
"Ich werde erst Ruhe geben, wenn ich mein Ziel erreicht habe."
Maryam ist hoch motiviert und startet gemeinsam mit ihren zwei Schwestern eine Kampagne, über die schon bald die ganze Stadt spricht – nicht immer positiv. Die zutiefst gespaltene, von patriarchalen Strukturen geprägte Gesellschaft nimmt Maryams Präsenz, ihre Auftritte und ihre Forderungen nur widerwillig hin. Maryam merkt schnell, dass es um mehr geht als die Zufahrtsstraße, es geht um weibliche Selbstbestimmung, um gleiche Rechte, um Freiheit.
Maryam muss als Frau in der Saudi-Arabischen Gesellschaft zahlreiche Regeln einhalten, die ihr ein politisches Agieren fast unmöglich machen. Zum einen macht ihr das Verhüllungsgebot zu schaffen, weil sie oft nicht erkannt wird, aber an Bekanntheit gewinnen will. Zum anderen darf Maryam sich nicht mit ihren männlichen potentiellen Wählern zusammen in einem Raum aufhalten. Per Videoübertragung legt sie die Punkte ihres politischen Programms dar, doch sie wird nicht ernst genommen. "Wir lassen uns von Frauen nichts sagen und wir wählen auch keine Frauen. Der Platz einer Frau ist im Haus." - solche Parolen werden ihr entgegen gerufen. Doch Maryam und ihre Schwestern halten zusammen und kämpfen eisern für Maryams Traum und für ihre Rechte.
Die Diskriminierungen, die Maryam erlebt, hat Regisseurin Haifaa Al Mansour am eigenen Leib erfahren. Im Interview mit AVIVA-Berlin sprach sie 2013 über ihre Rolle als Regisseurin: "It did make things more complicated, because the country is very segregated. When we were shooting outside, for example, I was not able to be on the street with the crew. I was always separated in a van, observing on a monitor and communicating through a walkie-talkie. But I was screaming and interfering all the time, so even when people in the neighbourhoods couldn´t see me, they could still hear me."
Stellung der Frau* in Saudi-Arabien
In der Saudi-Arabischen Gesellschaft unterliegen die Frauen einer gesetzlichen männlichen Vormundschaft und der Schleierpflicht, der Scharia. Der Trend geht jedoch, von Fundamentalisten lautstark beklagt, in Richtung Liberalisierung. Saudi-Arabien war das letzte Land, in dem Frauen nicht selbst Autofahren durften, bis im Juni 2018 dieses Verbot schließlich aufgehoben wurde. Auch Maryam genießt diese Freiheit, die für viele Frauen im Westen schon lange selbstverständlich ist.
Im August 2019, zur gleichen Zeit als "Die perfekte Kandidatin" erstmals im Rahmen der Filmfestspiele von Venedig ausgestrahlt wurde, wurde das Reiseverbot aufgehoben, das Haifaa Al Mansour in ihrem Film thematisiert hat. Von diesem Zeitpunkt an ist es endlich auch Frauen endlich möglich, ohne die Einwilligung ihres gesetzlich bestimmten Vormunds das Land verlassen. Auch die Geschlechtertrennung in öffentlichen Räumen wird langsam weniger strikt. Seit Dezember 2019 benutzen Frauen und Männer in Restaurants keine separaten Eingänge und dürfen zusammen sitzen. Es sind kleine wichtige Schritte in die richtige Richtung.
Auszeichnungen
Nachdem Haifaa Al Mansour 2013 für ihren Debütfilm "Das Mädchen Wadjda" international vielfach ausgezeichnet wurde, führte sie Regie bei der Filmbiografie "Mary Shelley" (2017), die das Leben der gleichnamigen "Frankenstein"-Autorin behandelt. "Die perfekte Kandidatin" ist ihr dritter Langfilm. Er feierte seine Weltpremiere am 29. August 2019 im Rahmen der Filmfestspiele von Venedig, wo er für den "Goldenen Löwen" nominiert war. Darauf folgten Vorstellungen auf zahlreichen Film-Veranstaltungen, unter anderem beim "Sundance Film Festival" in der Sektion "Spotlight". In seinem Produktionsland Saudi-Arabien wurde der Film als Beitrag für die Oscarverleihung 2020 in der Kategorie "Bester Internationaler Film" eingereicht. Von der Deutschen Film- und Medienbewertung FBW wurde er überdies mit dem Prädikat "Besonders Wertvoll" ausgezeichnet.
AVIVA-Tipp: Haifaa Al Mansour fängt in "Die perfekte Kandidatin" aktuelle politische Entwicklungen ein und behandelt sie mit Sorgfalt, Engagement und Humor. Der Film ist, besonders dank seiner kraftvollen Protagonistin und dem starken Band zwischen den Schwestern, ein Zeugnis der Solidarität unter Frauen.
Zur Regisseurin: Haifaa Al Mansour , geboren 1974 in el-Zilfi, ist die erste weibliche Filmemacherin Saudi-Arabiens. Sie studierte Literaturwissenschaften an der amerikanischen Universität in Kairo und Regie und Filmwissenschaften an der University of Sydney. Ihr preisgekröntes Kinodebüt "Das Mädchen Wadjda" (2012) war der erste Film, der jemals vollständig im Königreich Saudi-Arabien gedreht wurde.
Zu den Hauptdarstellerinnen: Mila Al Zahrani (Maryam) gehört zur neuen jungen Generation saudi-arabischer Schauspielerinnen, die die aktuelle Filmszene des Landes prägen. Nachdem sie 2016 erste Filmrollen übernahm, gelangte sie national vor allem durch ihre Hauptrolle in dem Drama "Boxing Girl" schnell zu Ruhm und Popularität. Sie überzeugt mit unkonventionellen Rollen und Charakterdarstellungen.
Dae Al Hilali (Dhay) als Selma: Die junge Künstlerin macht sich sowohl als Schauspielerin als auch im Social Media auf sämtlichen Medienplattformen einen Namen. Sie ist als Influencerin und Networkerin bekannt ist und testet die Grenzen aus, wie sich saudische Frauen virtuell präsentieren (können). Sie war auch in mehreren lokalen Fernsehproduktionen zu sehen.
Die perfekte Kandidatin
Saudi-Arabien, Deutschland 2019
Regisseurin: Haifaa Al Mansour
Darsteller*innen: Mila Alzahrani, Dae Al Hilali (Dhay), Nora Al Awadh, Khalid Abdulrhim, Shafi Al Harthy
Produktion: Roman Paul, Gerhard Meixner, Haifaa Al Mansour, Brad Niemann
Kamera: Patrick Orth
Neue Visionen Filmverleih
Laufzeit: 101 Minuten
Kinostart: 12.03.2020
Mehr zum Film, der Trailer und Kinotickets unter: www.die-perfekte-kandidatin.de und www.facebook.com
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
Das Mädchen Wadjda - Ein Film von Haifaa Al Mansour. Ab 20.03.2014 auf DVD und Blu-ray
Die Geschichte der zehnjährigen Rebellin ist nicht nur das erste von einer Frau in Saudi-Arabien realisierte, sondern auch das erste vollständig im Land gedrehte Filmprojekt überhaupt. Die Regisseurin entwirft eine ebenso humorvolle wie traurige Geschichte über Widerstand, Hoffnung und Veränderung. (2014)
Creating an atmosphere for change - Interview mit Haifaa Al Mansour
Subtlety and dialogue - These ae crucial elements in the work of the Saudi-Arabian film director who ist determined to make a contribution to her country´s opening. After a number of short movies and the renowned documentary "Women Without Shadows" (2005), Al Mansour recently released her first feature film "Wadjda". It tells the story of a ten-year-old girl´s relentless and creative fight for finally owning the green bicycle she passes daily on her way to school - even though cycling is not allowed for women in Saudi Arabia. (2013)
The Poetess. Dokumentarfilm von Stefanie Brockhaus und Andreas Wolff. Kinostart am 31. Mai 2018
Hissa Hilal schaffte es als erste weibliche Dichterin in das von 75 Millionen Zuschauer*innen gesehene Finale der arabischen Reality-TV-Show "Million´s Poet". Der Dokumentarfilm begleitet die selbstbewusste Frau mit der eindrucksvollen Stimme durch das patriarchal geprägte Saudi-Arabien und lässt sie von ihrem Leben zwischen Familie, Islam und gesellschaftlichen Zwängen erzählen. (2018)
Nora Amin - Weiblichkeit im Aufbruch
Das Essay der in Kairo geborenen Schriftstellerin, Performance-Künstlerin und Theatermacherin Nora Amin liest sich wie ein persönlicher Erfahrungsbericht über die Entwertung des eigenen, weiblichen Körpers durch den zumeist männlichen Blick. Die tagebuchartigen Episoden behandeln sexuelle Gewalt gegen Frauen im Zusammenhang mit dem Arabischen Frühling und geben zudem einen umfassenden Einblick in die Gedankenwelt der Verfasserin. (2018)
Manal al-Sharif - Losfahren. Eine autobiografische Erzählung
Ihr Video, das sie beim für Frauen verbotenen Autofahren in Saudi-Arabien zeigt, ging um die Welt. Seit August 2017 liegt die beeindruckende Autobiografie von Manal al-Sharif, der ersten saudischen IT-Expertin für Datensicherheit eine der ersten Frauen Saudi-Arabiens, die gemeinsam mit Männern in einem Büro der staatlichen Ölfirma Aramco arbeitete, im Secession Verlag auch auf Deutsch vor. (2017)
Nach der Revolution. Ein Film von Yousry Nasrallah. Kinostart: 30. Mai 2013
Ein Geflecht aus dokumentarischem Material und fiktivem Gesellschaftsdrama eröffnet einen Einblick in die sozialen Gegensätze und unterschiedlichen Kämpfe von Frauen im postrevolutionären Ägypten. (2013)
Necla Kelek - Hurriya heißt Freiheit. Die arabische Revolte und die Frauen - eine Reise durch Ägypten, Tunesien und Marokko
In ihrer aktuellen Veröffentlichung weist die Volkswirtin und Soziologin, alarmiert durch die jüngsten Entwicklungen in Ägypten, dem arabischen Frühling reaktionäre und frauenfeindliche Züge nach. (2012)