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Beitrag vom 03.05.2015
Die abhandene Welt. Kinostart: 07.05.2015, Filmtour durch elf Städte mit Regisseurin Margarethe von Trotta
Helga Egetenmeier
Das Herzstück ihres aktuellen Films ist auch ein Teil ihrer Lebensgeschichte, erzählt Margarethe von Trotta im Interview mit AVIVA. Die Film-Tochter erhält nach dem Tod der geliebten Mutter einen...
... Hinweis darauf, dass sie womöglich nicht ihr einziges Kind ist. Auch Margarethe von Trotta hat erst nach dem Tod ihrer Mutter von der Existenz ihrer älteren Schwester erfahren.
Als uneheliches Kind 1942 in Berlin geboren, ist Margarethe von Trotta bereits früh durch ein ungewöhnliches Tochterschicksal geprägt. Ihre Mutter Elisabeth von Trotta, eine aus Moskau stammende baltische Aristokratin, zieht sie alleine auf. Nur selten sieht sie ihren Vater, den Maler Alfred Roloff, der 1951 stirbt.
Margarethe von Trotta: "Sie hat eine Tochter, die mir ähnlich sieht."
Diese Erkenntnis bringt auch im Film den Stein ins Rollen. Der Blick des Witwers Paul (Matthias Habich) fällt im Internet auf eine Abbildung der New Yorker Opernsängerin Caterina (Barbara Sukowa), die seiner verstorbenen Frau ähnelt. Beunruhigt weist er seine Tochter Sophie (Katja Riemann) darauf hin und fordert von ihr eine Bestätigung seiner Wahrnehmung.
Durch diesen Zufall zerbrechen bei der Film-Familie langsam die bisherigen Gewissheiten. Auch Margarethe von Trottas eigene Familiengeschichte verändert sich, als die ihr unbekannte Schwester zu ihr Kontakt aufnimmt.
Margarethe von Trotta: "Meine Mutter ist 1979 gestorben und ein halbes Jahr später kommt eine Frau und sagt mir, dass sie meine Schwester ist."
Doch so einfach war dieses Zueinanderkommen nicht. Während Margarethe von Trotta ihren Film "Schwestern oder die Balance des Glücks" (1979) drehte, entstand ein Dokumentarfilm über sie.
Margarethe von Trotta: "Darin sprach ich zum ersten Mal öffentlich über meine Mutter, die bei meiner Geburt bereits 42 Jahre alt war. Da sie nicht verheiratet war, erhielt ich meinen Nachnamen von ihr. Nach dem Film starb meine Mutter. Sie hatte Alzheimer, wie Karin Dor in diesem Film. Als ein halbes Jahr später der Dokumentarfilm im Fernsehen gezeigt wurde, hat ihn meine Schwester gesehen."
Zwei Töchter - zwei Sängerinnen
Mit Barbara Sukowa (Caterina) und Katja Riemann (Sophie), die beide auch gelegentlich als Sängerinnen auf der Bühne stehen, hat sich Margarethe von Trotta deren Musik mit in den Film geholt. Sie lässt beide als erfolgreiche Künstlerinnen in New York auftreten und nutzt dieses Setting, um der quirligen Sophie einen Zugang zu der spröden Opernsängerin Caterina zu schaffen, die Sophie für ihren Vater auskundschaften soll.
Margarethe von Trotta: "Der Mann hat seine Frau unendlich geliebt und sehr egoistisch geliebt, er liebt auch seine Tochter sehr, aber er ist ein Autoritärling. Er behandelt seine Tochter, wie er vielleicht seine Frau behandelt hat. In dem Film gibt es sehr viele Spiegelungen, so dass man sich vorstellen kann, wie der eine mit dem anderen umspringt, aber man kann sich dann auch vorstellen, wie er mit der Frau umging. Die eigentliche Hauptrolle spielt die tote Frau, die ganzen Nachforschungen gehen von ihr aus."
Bald fächern sich weitere emotionale Beziehungen auf. Und während die Figuren aus ihrem konventionellen Schema heraustreten, steuern sie, zuerst unmerklich, auf die verborgene Familiengeschichte zu. Dabei finden die Töchter zueinander, und beginnen gemeinsam, ihre unbekannte Vergangenheit zu entdecken.
Margarethe von Trotta: "Vielleicht hat ja die Mutter ihr etwas erzählt, was er nicht weiß. Man vermutet ja auch immer, das der andere vielleicht auch mehr weiß. Doch im Grunde ist die Unschuldigste von allen die Figur der Katja. Sie hat keine Vergangenheit, in der etwas ist, was sie bewegt oder verdrängt hat, oder sie sich schuldig fühlen muss. Und genau sie wird auf die Reise geschickt. Und das fast von ihrer Mutter, da diese dem Alten immer in der Nacht erscheint und ihn quält, so dass er die Tochter losschickt und irgendwann kommt alles raus."
Das Geheimnis der Mutter und "Die abhandene Welt"
Margarethe von Trotta: "Meine Mutter und ich hatten ein liebevolles und vertrauensvolles Verhältnis miteinander, und dass sie mir so eine lebenswichtige Tatsache nicht sagen konnte, hat mich erst einmal gekränkt und verletzt. Ich habe sehr viel darüber nachgedacht, warum sie dieses Vertrauen zu mir nicht hatte und dann auch begriffen, dass sie mich entweder schützen wollte, oder dass sie Angst hatte, dass ich sie dann weniger liebe. Sie war manchmal ganz erstaunt, wie heftig ist sie liebte und sie sagte dann, ´Das habe ich doch gar nicht verdient.´"
Die in einem Pflegeheim lebende demente Rosa (Karin Dor) erschrickt beim ersten Anblick von Sophie und nennt sie beim Namen ihrer Mutter. Doch Rosas Tochter Caterina hat diesen Namen noch nie gehört und auf ihre sanften Nachfragen reagiert sie verstört. So liebevoll die Beiden auch im Angesicht der Krankheit miteinander umgehen, die fragende Tochter erhält keine erklärenden Antworten. Auch hier bringt Margarethe von Trotta ihre persönliche Geschichte ein, da sie von ihrer kranken Mutter einmal gefragt wurde, wie es ihrer Schwester gehe und sie diese Frage damals noch nicht einordnen konnte.
Margarethe von Trotta: "Zu wissen, da ist ein Kind, zu dem sie sich nie manifestieren konnte als Mutter, so habe ich das empfunden bei meiner Mutter, ich habe mir vorgestellt, dass das ein ganz schweres Gewicht ist. Man weiß, da ist eine Person, die gehört eigentlich zu einem und mit der kann man nicht in Verbindung treten. Das schwächt einen Menschen sicher psychisch, auch wenn man sich von beiden Männern geliebt fühlt, aber das fehlt einem dennoch ein Leben lang."
Schwestern und starke Frauen
Margarethe von Trotta: "Der erste Film, indem ich das Thema schon aufgegriffen habe, war "Schwestern und die Balance des Glücks", den habe ich 1979 gemacht und dieser Film ist jetzt der Abschluss für mich. Jetzt weiß ich alles, jetzt bin ich irgendwie befreit."
1978 erschien mit "Das zweite Erwachen der Christa Klages" ihre erste eigenständige Arbeit als Regisseurin und Drehbuchautorin. Darin erzählt sie die Geschichte einer jungen Frau, die eine Bank überfällt, um einen Kinderladen vor der Schließung zu bewahren. Im darauf folgenden "Schwestern oder die Balance des Glücks" schrieb sie den beiden Hauptfiguren Anna und Maria die zweiten Namen von sich und ihrer bis dahin unbekannten Schwester ins Drehbuch. "Im Grunde wusste ich alles, ohne es zu wissen." reflektiert dies Margarethe von Trotta heute.
Gesellschaftspolitischen Themen, verknüpft mit starken Frauenfiguren, nimmt sich Margarethe von Trotta bereits seit Beginn ihres Schaffens an. Dabei fokussiert sie immer wieder auf das Schwester-Thema, wie in "Die bleierne Zeit" (1981) über Christiane und Gudrun Ensslin und "Die Schwester" (2010) über zwei einsame, voneinander abhängige Schwestern im Rentenalter. Politische Biographien griff sie in "Rosa Luxemburg" (1986) und "Hannah Arendt" (2013) auf. Mit "Jahrestage" (2000) wagte sie sich für das Fernsehen an die Verfilmung des bis dahin als unverfilmbar geltenden gleichnamigen Romanzyklus von Uwe Johnson über die 1933 in einer mecklenburgischen Kleinstadt geborene Gesine Cresspahl, die Ende der 60er Jahre in New York ihrer Tochter die Familiengeschichte erzählt.
Frauen im Filmgeschäft
Was hat Margarethe von Trotta geholfen, ihren Weg im Filmgeschäft zu finden?
Margarethe von Trotta: "Ich war vorher Schauspielerin und hatte mir auch schon einen Namen gemacht. Das sind viele Sachen, die mit reinspielen. Ich bin einfach für die Produzenten, ich halte die Budgets ein, ich überziehe die Zeit nicht, ich bereite mich gut vor und weiß, was ich will und alle arbeiten gerne mit mir, es gibt somit nirgends Probleme. Und das ist für Geldgeber prima. Schwieriger wird es, wenn man an die Förderanstalten geht. Immer wieder muss ich mir anhören, ich sei nicht kommerziell genug. Dabei habe ich schon Filme gemacht, zu denen genügend Zuschauer kamen und ich für das, was ich mache, ganz gute Zahlen hatte. Doch beim nächsten Drehbuch heißt es wieder: nicht kommerziell genug."
Bevor Margarethe von Trotta anfing Regie zu führen und Drehbücher zu schreiben, arbeitete sie als Schauspielerin zuerst am Theater und später auch in Filmen, wie Rainer Werner Fassbinders "Warum läuft Herr R. Amok?" (1970) und "Götter der Pest" (1970). Ihr Filmdebüt gab sie als Co-Regisseurin und Co-Drehbuchautorin (neben ihrem damaligen Mann Volker Schlöndorff) mit "Die verlorene Ehre der Katharina Blum oder: Wie Gewalt entsteht und wohin sie führen kann." (1975). Als Autorenfilmerin gehörte sie in den 70er bis 80er Jahren zu den RegisseurInnen des Neuen deutschen Films, der sich mit den bürgerlichen Strukturen und Geschlechterverhältnissen des Nachkriegsdeutschland auseinandersetzte und zwischen den sich verändernden politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen und neuen Denkweisen vermittelte.
Margarethe von Trotta: "Ich würde mich auch freuen, wenn nur die Qualität anerkannt würde und deswegen den Frauen die Chance gegeben wird, doch das stimmt ja eben nicht. Wir haben damals mit der Arbeitsgemeinschaft für Frauen-Filmarbeiterinnen damit begonnen, es hat alles nichts gebracht. Und doch hat es insofern schon etwas gebracht, dass viele Frauen jetzt Filme machen können. Damals waren wir die Einzigen und jetzt gibt es fast mehr Studentinnen als Studenten. Auf der unteren Ebene hat sich viel getan. Aber dann, wenn es an die wirklichen Budgets geht, fallen die Frauen immer hinten runter und das muss sich ändern. Und wenn sich das nicht durch Qualität bzw. Aufmerksamkeit ändert, muss man das verlangen."
Als Unterstützerin des 2013 gegründeten Zusammenschlusses "Pro Quote Regie" setzt sich Margarethe von Trotta mit vielen weiteren Regisseurinnen und FilmarbeiterInnen für eine Gleichstellung der Frauen in ihrem Beruf ein.
Das nächste Filmprojekt: eine Komödie
Margarethe von Trotta: "Ich habe einmal eine Komödie fürs Fernsehen gemacht, für Regina Ziegler, das war mehr eine Klamotte und hat mir großen Spaß gemacht. Manche denken ja, ich sei so ein ernsthafter Mensch und könnte nicht anders. Doch man muss sich immer wieder neuen Aufgaben stellen. Es gibt ein Drehbuch, das Pam Katz geschrieben hat, die mit mir "Hannah Arendt" und auch "Rosenstraße" gemacht hat. Pam ist aus New York und Jüdin, wie Woody Allen, und sie hat auch genau diesen Witz. Als Schauspielerinnen sind Barbara Sukowa und Janet McTeer eingeplant."
Filmtour durch 11 Städte mit Margarethe von Trotta
"Die abhandene Welt" feierte seine Weltpremiere auf der diesjährigen Berlinale. Nun geht der Film zum Kinostart am 7. Mai zusammen mit seiner Regisseurin und Drehbuchautorin auf Tour. In folgenden elf Städten wird Margarethe von Trotta persönlich ihren Film vorstellen: Berlin, Potsdam, Bremen, Braunschweig, Hannover, Osnabrück, Münster, Düsseldorf, Freiburg, Erlangen und Nürnberg.
AVIVA-Tipp: In der ruhig gezeichneten Geschichte bleiben die Figuren trotz ihres liebevollen Umgangs zueinander auf Distanz. Doch daraus schöpft der Film seine fast fortwährend spürbare emotionale Spannung, die sich durch die Suche der Töchter nach der tatsächlichen Familiengeschichte weiter speist. Subtil erzählend, blickt Margarethe von Trotta mit diesem Film ganz privat auf die kleinen Strukturen der Gesellschaft.
Zur Regisseurin und Drehbuchautorin: Margarethe von Trotta, 1942 in Berlin als uneheliche Tochter der deutsch-baltischen Aristokratin Elisabeth von Trotta geboren, ging mit ihrer Mutter nach dem Zweiten Weltkrieg nach Düsseldorf. Als junge Frau lebte sie einige Zeit in Paris heiratete 1964, bekam ihren Sohn Felix und hatte ihr erstes Bühnenengagement. Von 1971 bis 1991 in zweiter Ehe mit Volker Schlöndorff verheiratet, schrieb sie 1975 gemeinsam mit ihm ihr erstes Drehbuch und führte Co-Regie bei "Die verlorene Ehre der Katharina Blum". Für ihren Debütfilm als Regisseurin, "Das zweite Erwachen der Christa Klages" (1977), wurde ihr 1978 der Bundesfilmpreis "Filmband in Silber" überreicht. Es folgten weitere Inszenierungen für das Kino und das Fernsehen, darunter "Rosa Luxemburg", (1986), "Rosenstraße" (2003) und "Hannah Arendt" (2012), für die Margarethe von Trotta mehrfach ausgezeichnet wurde.
Hauptdarstellerinnen:
Katja Riemann studierte an der Hochschule für Musik und Theater Hannover und an der Otto Falckenbergschule München. Für die Kamera wurde sie 1987 durch "Sommer in Lesmona" bereits während ihrer Studienzeit entdeckt. Sie spielte in unterschiedlichen Film-, Fernseh- und Theaterrollen, u.a. auch in Margarethe von Trottas "Ich bin die Andere" und "Rosenstraße" und ist als Musikerin aktiv.
Barbara Sukowa, in Bremen geboren, begann 1968 ein Schauspielstudium am Berliner Max-Reinhardt-Seminar und spielte an verschiedenen Theatern, u.a. in Berlin, Frankfurt und Hamburg. 1980 stand sie für Faßbinders Fernsehmehrteiler "Berlin Alexanderplatz" vor der Kamera, und erhielt dafür 1981 den Deutschen DarstellerInnenpreis als beste Nachwuchsdarstellerin. Unter der Regie von Trottas verkörperte sie "Rosa Luxemburg" und wurde für ihre Rolle 1986 mit dem Darstellerinnenpreis von Cannes ausgezeichnet. Zuletzt spielte sie die Hauptrolle in "Hannah Arendt". Als Sängerin gibt sie sowohl klassische Konzerte und tritt auch mit der Rockband "Barbara Sukowa & The X-Patsys" auf. Sie lebt seit vielen Jahren in New York.
Die abhandene Welt
Deutschland 2014
Regie und Drehbuch: Margarethe von Trotta
DarstellerInnen: Katja Riemann, Barbara Sukowa, Matthias Habich, Gunnar Möller, Karin Dor, u.a.
Verleih: Concorde
Lauflänge: 101 Minuten
Kinostart: 07.05.2015
www.dieabhandenewelt-film.de
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