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Beitrag vom 15.04.2013
I AM A WOMAN NOW. Ein Film von Michiel van Erp. Kinostart: 18. April 2013
Sabine Reichelt
Wer will sein Leben nicht nach den eigenen Vorstellungen gestalten? Der Dokumentarfilm des niederländischen Regisseurs porträtiert Frauen, die genau das taten und als Einige der ersten ihr...
...Geschlecht operativ angleichen ließen.
Auf die Frage, seit wann sie denn wisse, dass sie ein Mädchen sei, hatte die damals elfjährige Alex der taz-Redakteurin im Januar 2012 mit "Schon immer!" geantwortet.
Ihr Fall war durch die Medien gegangen, zusammen mit der Frage, ob man transidenten Kindern bereits im Jugendalter Hormone verabreichen solle, oder ob sich die Transidentität in einigen Fällen "auswachsen" würde.
Van Erp wendet den Blick zurück und zeigt nun fünf Frauen, die im Körper eines Mannes geboren wurden und sich bereits in den 1960er und 1970er Jahren als einige der Ersten einer geschlechtsangleichenden Operation unterzogen. Sie kommen aus verschiedenen europäischen Ländern und müssen nach Casablanca zu Dr. Georges Burou fahren, einem Gynäkologen und Pionier auf diesem Gebiet, um die Operation vornehmen zu lassen. Für die Frauen ist es ein mutiger Schritt, eine Reise ins Ungewisse, den jedoch keine von ihnen später bereut. April Ashley, die elegante Britin und frühere Cabaret-Tänzerin, wird vor der Kamera zum Sohn Burous sagen: "Jeden Morgen, wenn ich aus dem Bett aufstehe, empfinde ich noch etwas von der Freude, die ich an dem Tag empfand, nachdem Ihr Vater mich operiert hatte."
Jetzt sind alle Frauen zwischen 70 und 80 und blicken vor der Kamera reflektierend auf ihr Leben vor und nach der Operation zurück. Freude und Dankbarkeit bestimmen dabei die eine Seite. Dankbarkeit für einen Zustand, der für die meisten Menschen so selbstverständlich ist, dass sie wohl nicht einmal darüber nachdenken: Dankbarkeit, sich im eigenen geschlechtlichen Körper richtig und wohl zu fühlen. Diese Dankbarkeit ist gepaart mit einem unbedingten Lebens- und Glückswillen, der sich durchsetzt gegen gesellschaftlich auferlegte Beschränkungen und oft auch gegen den Willen der eigenen Familie. Mit Stolz zeigen die Protagonistinnen Bilder aus vergangenen Jahren, Bilder, die junge Frauen im Bikini am Strand zeigen, verruchte Tänzerinnen mit Federboa.
Unter den porträtierten Frauen ist auch Marie-Pierre Pruvot aus Frankreich, die als Revuestar Bambi berühmt und nach einem Studium an der Sorbonne Literaturdozentin wurde. Ein gleichnamiger Film von Sébastien Lifshitz wurde auch bei der diesjährigen Berlinale gezeigt und erhielt den Teddy Award als beste Dokumentation.
Aber das ist natürlich nur eine Seite der Geschichte. Denn "I AM A WOMAN NOW" ist auch ein Film über Leid und Schmerz. Weniger der körperliche Schmerz der Operation ist hier gemeint, als vielmehr die alltägliche Diskriminierung und Gewalt, die sich zeigt, wenn die niederländische Kosmetikerin und Textilkünstlerin Colette Berends erzählt, wie das Auto, in dem sie gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten saß, von Fremden bespuckt wurde. Oder wenn April Ashley von ihrer katholischen Familie berichtet, die sie verstieß, bevor sie sich daraufhin der Marine anschloss. Ihre Traurigkeit spült sie vor der Kamera mit einem Schluck Champagner herunter.
"I AM A WOMAN NOW" ist ein Film über die Angst vor Zurückweisung und Ablehnung. Über das leider immer wieder notwendige Coming-out. So verfolgt die Zuschauerin mit stockendem Atem, wie sich Corinne van Tongerloo, die hundeliebende Belgierin und ebenfalls ehemalige Tänzerin, ihrer guten Freundin erstmalig anvertraut: "Vielleicht hast du schon mal so was gehört, aber ich will das ins Reine bringen. Ich war früher... nicht Corinne. Ich war Cornelis." Es ist eigentlich unerhört, dass die Sprecherin es wegen dieser Botschaft überhaupt in Betracht ziehen muss, abgelehnt zu werden. Die Freundin ist nach kurzem Schock verständnisvoll.
"Für uns zwei ist es schon einfach. Aber die Außenwelt macht es schwierig." sagt der ehemalige Lebensgefährte von Colette. Und auch Colette selbst blickt zufrieden auf ihr Leben zurück: Sehr viele Leute sagen am Ende ihres Lebens so was wie: `Hätte ich nur...´. Das ist bei mir nicht der Fall. Ganz und gar nicht. Hier spricht eine Frau, die mit sich im Reinen ist.
Aber nicht alle Frauen sind sich ihrer selbst immer so sicher gewesen. Jean Lessenich, Grafikerin aus Deutschland, war erst als Mann mit einer Frau verheiratet, ging abends auf Dienstreisen allerdings heimlich als Frau aus. Irgendwann kam die OP. Und dann gab sie sich doch wieder jahrelang nach Außen als Mann, um ihrer japanischen Lebensgefährtin den Aufenthalt in Deutschland zu ermöglichen. Heute, nach dem Tod der Freundin, lebt sie eine lesbische Identität.
Die Frage an Jean: Was zeichnet denn eine richtige Frau aus? Ein kurzes Nachdenken, dann: "Also, eine richtige Frau ist für mich ein sehr selbstbewusstes Wesen, die genau weiß, dass Vieles, was sie tut, (dafür da ist,) die Fantasien von Männern zu erfüllen." In Momenten wie diesem werden gängige Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit am deutlichsten benannt und hinterfragt.
Der Film zeigt die Frauen in ihrem täglichen Leben – auf dem Wochenmarkt, bei der Gartenarbeit, beim Waschen des Hundes – und auf Reisen. Corinne sucht die Klinik in Casablanca abermals auf. April besucht einen alten Freund aus der Zeit im Pariser Revuetheater Le Carousel und den Sohn Dr. Burous. Regisseur Michiel van Erp folgt ihnen dabei mit der Kamera ohne erklärende oder gar wertende Kommentare in Schrift oder Ton. Er stellt lediglich Fragen, um zur Reflexion anzuhalten.
AVIVA-Tipp: Dem Dokumentarfilmer gelingt es, die Protagonistinnen weder auf die Rolle als Vertreterinnen einer diskriminierten Minderheit zu reduzieren, noch die Schwierigkeiten, die ein Leben für Transgender innerhalb der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse immer noch mit sich bringt, zu ignorieren. Entstanden sind einfühlsame Portraits über mutige Vorreiterinnen.
Zum Regisseur: Michiel van Erp, geboren 1963 in Eindhoven, studierte Industrie-Design, arbeitete als Schauspieler für zahlreiche freie Theatergruppen und ist seit 1991 für das niederländische Fernsehen tätig. Große Aufmerksamkeit erhielt seine Serie "Lang Leve..." (Lang lebe...), die in zahlreichen Episoden die Hoffnungen und Wünsche von NiederländerInnen zeigte. 2003 gründete er zusammen mit Monique Busman die Produktionsfirma De Familie. Er arbeitet als Dokumentarfilmer und Regisseur. (Informationen vom Verleih)
www.defamilie.net
I AM A WOMAN NOW
Niederlande 2012
Regie: Michiel van Erp
Mit: Marie-Pierre Pruvot (Bambi), April Ashley, Corinne van Tongerloo, Colette Berends, Jean Lessenich
Kamera: Mark van Aller
Recherche: Manon van der Sluijs, Alex Bakker
Schnitt: Hinne Brouwer
Produktion: Monique Busman, Michiel van Erp
Ton: Rob Dul
Sound-Design: Rob Dul
Musik: Louis Ter Burg
Ausführende ProduzentInnen: Inge Schapendonk, Jean Marc van Sambeek
Länge: 86 Minuten
Verleih: Neue Visionen Filmverleih
Kinostart: 18. April 2013
Der Trailer unter: www.youtube.com
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Weitere Informationen:
Bambi
Die transzendierte Frau. Eine Autobiografie von Jean Lessenich
www.april-ashley.com