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Beitrag vom 14.04.2013
Verliebte Feinde. Kinostart: 2. Mai 2013
Claire Horst
In Deutschland kennt sie kaum jemand. Dabei war die Schweizerin Iris von Roten eine der wichtigsten deutschsprachigen Feministinnen des 20. Jahrhunderts. Mit ihrem Buch "Frauen im Laufgitter" ...
... eckte sie nicht nur bei den konservativen GegnerInnen der Gleichberechtigung an, sondern brachte auch die schweizerische Frauenbewegung gegen sich auf.
Zu radikal waren 1958 ihre Forderungen, die heute fast als Selbstverständlichkeiten erscheinen. Wichtigstes Ziel der Autorin war die Durchsetzung des Frauenwahlrechts, in der Schweiz der 50er Jahre ein Ding der Unmöglichkeit. Für ebenso zentral hielt sie allerdings eine Regelung der Kinderbetreuung, etwa durch die Einrichtung von Krippen. Denn die Verantwortung für Haushalt und Nachwuchs machte die Gleichberechtigung in der Arbeitswelt unmöglich. Das ging auch engagierten Feministinnen zu weit: Mit derart überzogenen Forderungen würden sie niemals das Wahlrecht bekommen, fürchteten sie.
Auch ihre Arbeit für das "Schweizer Frauenblatt" machte von Roten zum Feindbild vieler konservativer SchweizerInnen. Dabei ließ sie sich nicht einschüchtern. Mit GegnerInnen wie der antifeministischen Autorin Esther Vilar ("Der dressierte Mann") setzte sie sich öffentlichkeitswirksam auseinander.
Der Film "Verliebte Feinde" stellt nicht nur die Autorin und Feministin Iris von Roten in den Mittelpunkt, sondern erzählt die Geschichte der Liebe zwischen ihr und Peter von Roten, einem katholischen Politiker und Juristen. Grundlage des Drehbuchs ist das gleichnamige Buch von Wilfried Meichtry, das auf Hunderten von Briefen des Paars beruht. An der Uni Bern, wo beide Jura studieren, lernen Iris und Peter sich kennen und kämpfen zunächst mit den Widerständen ihrer Umwelt. Seine Familie gehört zur Aristokratie und ist zudem zutiefst katholisch. Die emanzipierte und moderne Iris kann sich den traditionellen Sitten dieser Familie nicht anpassen. Gegen deren Willen heiraten sie, und der Jurist und Walliser Nationalrat Peter von Roten wird zum Kämpfer für das Frauenwahlrecht. Dieses Engagement kostet ihn schließlich sein politisches Amt.
Seine Beziehung lebte das Paar nach einer Vereinbarung: Beide sollten vollkommen selbstbestimmt leben, sowohl politisch als auch sexuell. Auch damit lösten sie natürlich Skandale aus. Und Iris von Roten setzte ihren Wunsch nach Unabhängigkeit tatsächlich um: Einige Jahre verbrachte sie auf Reisen. So fuhr sie allein mit dem Auto in die Türkei und schrieb darüber ein Buch. Auch den Maghreb, Indien und weitere Länder bereiste sie – immer auf der Suche nach politischen wie soziologischen Erkenntnissen.
Ergänzt durch sparsam eingesetzte ZeitzeugInnen-Interviews und Archivaufnahmen, gelingt den FilmemacherInnen ein überzeugender Einblick in die verknöcherte und fortschrittskritische Schweizer Realität der 50er Jahre. Iris von Roten erscheint dabei als eine Kämpferin nicht nur für die politische Gleichstellung von Männern und Frauen, sondern ebenso für die freie Liebe und gegen das beschränkende Ideal der Frau als liebender Mutter. Zu Wort kommt neben FreundInnen und KollegInnen der beiden ProtagonistInnen auch die Tochter Hortensia, promovierte Historikerin und Verfechterin der Thesen ihrer Mutter.
Ähnlich wie in Margarete von Trottas jüngst erschienener Filmbiografie von Hannah Arendt besteht eine latente Gefahr der Trivialisierung: Wie kann das Leben von zwei Intellektuellen dargestellt werden, ohne es durch romantische Liebesszenen auf eine allzu banale Ebene zu holen? Vielleicht aufgrund des geringeren Bekanntheitsgrades der beiden Hauptcharaktere, erscheint die Mischung von Privatleben und Werk in diesem Film weniger störend.
AVIVA-Tipp: Der Film informiert unterhaltsam und überzeugend über die spannende Biografie einer Frau, die in Deutschland viel zu wenig bekannt ist und regt dazu an, sich mit ihrem Werk zu beschäftigen. Die Geschichte Iris von Rotens ist tragisch und beeindruckend zugleich: Sie stellte Forderungen, die andere nicht einmal zu denken wagten und zerbrach an der Ablehnung ihrer Umwelt. Umgesetzt wurden ihre Forderungen erst nach Jahrzehnten: Das Frauenstimmrecht wurde in der Schweiz erst 1971 eingeführt, die Gleichstellung sogar erst 2005.
Zum Regisseur: Werner Schweizer wurde 1955 in Kriens geboren und lebt in Zürich und Ligerz. Er studierte an der Universität Zürich Soziologie, Publizistik und Europäische Volksliteratur. Er ist Mitbegründer von Video-Zentrum und Genossenschaft Videoladen Zürich («Züri brännt») sowie der Filmproduktionsfirma Dschoint Ventschr AG, die er heute zusammen mit Samir und Karin Koch leitet. Er ist Autor und Regisseur von Dokumentarfilmen für Kino und Fernsehen und Produzent bei Dschoint Ventschr Filmproduktion, Zürich.
Verliebte Feinde
Dokufiction nach dem gleichnamigen Buch von Wilfried Meichtry
Schweiz 2012
Regie: Werner Schweizer
Drehbuch: Wilfried Meichtry, Werner Schweizer, Daniela Baumgärtl, Katja Früh
DarstellerInnen: Mona Petri, Fabian Krueger
Kamera: Reinhard Köcher, Carlotta Holy-Steinemann
Szenenbild: Urs Beuter
Ton: Dieter Meyer
Kostüm: Monika Görner-Vogt
Schnitt: Kathrin Plüss
Musik: Michel Seigner
Herstellungsleitung: Sereina Gabathuler
Produktion: Dschoint Ventschr Filmproduktion
Filmlänge: 112 Min.
Kinostart in Deutschland: 2.5.2013
Infos und weitere Vorführungstermine unter: www.verliebtefeinde.de/verliebtefeinde_kinos.htm
Der Film im Netz: www.verliebtefeinde.de
Weitere Informationen zu Iris und Peter von Roten:
www.irisundpeter-vonroten.ch
www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/iris-von-roten
Buchtipps:
Iris von Roten: Frauen im Laufgitter. Neuauflage 1991. eFeF-Verlag, ISBN 3-905561-09-3
Iris von Roten: Vom Bosporus zum Euphrat : eine Reise durch die Türkei. eFeF-Verlag, Neuausgabe Zürich 1993, ISBN 3-905493-49-7.
Wilfried Meichtry: Verliebte Feinde – Iris und Peter von Roten. Ammann-Verlag 2007, 978-3250104872