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Beitrag vom 27.06.2012
Der Seidenfächer. Ein Film von Wayne Wang nach einem Roman von Lisa See. Kinostart: 28. Juni 2012
Ulrike Wagener
Im Shanghai der 90er Jahre schwören sich zwei junge Mädchen ewige Freundschaft. Doch ihre unterschiedliche soziale Stellung, die Karriere und ihr eigener Stolz gefährden ihren Schwur. Sie folgen...
... der Spur ihrer weiblichen Ahnen und suchen nach der Bedeutung inniger Liebe zwischen Schwestern.
Sophia (Gianna Jun) steht am Rande einer vielbefahrenen Straße. Autos rasen an ihr vorbei. Sie versucht verzweifelt ihre beste Freundin Nina (Bingbing Li) zu erreichen. Der Anruf bleibt unbeantwortet.
Mit dieser Szene beginnt "Der Seidenfächer". Der nächste Anruf erreicht Nina vom Krankenhaus. Sophia liegt im Koma. Als Schülerinnen schlossen die beiden jungen Frauen einen Schwur, sich niemals zu trennen. Sie wurden Laotongs, Schwestern im Geiste. Doch seit einem Streit vor sechs Monaten haben die beiden nichts mehr voneinander gehört. Nina versucht nun die letzten Monate der Freundin zu rekonstruieren. Keine leichte Aufgabe. Sophias Stiefmutter lebt in den Ruinen ihres vormals stattlichen Hauses und hatte seit Jahren keinen Kontakt zu der Tochter ihres verstorbenen Mannes. Verbittert und im Jogginganzug weist sie die ehemalige Mandarin-Lehrerin ihrer koreanischen Stieftochter ab.
Ein Manuskript taucht auf und verschafft Klarheit. Anstelle der betagten Lily (Bingbing Li) als Erzählerin in Lisa Sees Roman tritt hier die junge Frau. Sie erzählt die Geschichte des geheimen Fächers im China des 19. Jahrhunderts und damit auch die Geschichte von Lily und Snowflower (Gianna Jun) aus heutiger Sicht. Der Film nimmt uns mit auf die Reise in die Vergangenheit. Der chinesisch-amerikanische Regisseur Wayne Wang arbeitet hier mit sehr kräftigen, satten Farben und klaren Strukturen, die fast schon an ein Theaterstück erinnern lassen. Die schlichten und direkten Bilder erzählen uns die Geschichte der beiden Mädchen. Sie wurden am gleichen Tag geboren und bekamen im Alter von sieben Jahren ihre Lotusfüße. Einem jahrhundertealten Schönheitsideal entsprechend wurden dafür Mädchen die Füße gebrochen, eingebunden, und in kleine Schnabelschuhe eingepasst, um künftigen Ehemännern Unterwürfigkeit zu symbolisieren. Damit wurden sie zu Schwurschwestern, deren Schicksale von nun an bis in alle Zeiten miteinander verknüpft sind. Isoliert und einsam in ihren jeweiligen Ehen kommunizieren sie miteinander, indem sie sich in einer Geheimschrift für Frauen namens "Nu Shu" zwischen den Falten eines weißen Seidenfächers schreiben.
Über Sophias Manuskript lässt Wayne Wang die alte Geschichte zu einer Metaebene werden, in der die Probleme und Fragen im Hier und Jetzt gespiegelt werden. Sie wird so zum Zentrum für die kritischen Auseinandersetzung der beiden modernen jungen Frauen mit sich selbst.
Auf der Handlungsebene des modernen Shanghai bedient sich der Film Schnelligkeit und kalter Blautöne, um die pulsierende Großstadt zu symbolisieren. Doch innerhalb der gegensätzlichen Kulissen taucht allmählich die gleiche, eindringliche Botschaft auf, die mit einer Passage aus dem Nachwort von Sees Roman beschrieben werden könnte: "Auf der Oberfläche betrachtet sind wir modernen Frauen unabhängig, frei und flexibel. Aber tief in unserem Herzen sehnen auch wir uns immer noch nach Liebe, Freundschaft, Glück und innerer Ruhe. Und danach gehört zu werden." Dieser Aspekt war ausschlaggebend für Wangs Verfilmung. Die Parallelen zwischen den beiden Handlungsebenen und den emotionalen Anforderungen an die vier Frauen unterstreicht der Film geschickt durch die Doppel-Besetzung der beiden Hauptdarstellerinnen.
Die Schauspielerinnen lösen den Anspruch der Doppelrolle auf elegante Weise und geben den Zuschauenden dadurch die Möglichkeit die beiden Handlungsstränge enger zu verknüpfen. Die Frauen im Hier und Jetzt haben mit anderen Problemen zu kämpfen als ihre Urahninnen. Es geht nicht um Rebellenüberfälle oder Kältetode, sondern um die eigene Karriereplanung. Die Form ihrer Füße spielen in den Liebesbeziehungen von Sophia und Nina keine Rolle mehr. Trotz all dieser Unterschiede gelingt es dem Film, die Parallelen zwischen den Jahrhunderten ins Bewusstsein zu rufen und nachdenklich zu machen.
AVIVA-Tipp: Mit eindrucksvollem Farbenspiel und faszinierenden Bildern wechselt "Der Seidenfächer" zwischen dem damaligen und dem heutigen China, den warmen Farben der traditionellen Dörfer und den kühlen Fassaden der pulsierenden Großstadt Shanghai. Doch über aller Veränderung schwebt ein Appell für die Liebe und die Freundschaft.
Zu den Hauptdarstellerinnen:
Jun Ji-Hyun alias Gianna Jun wurde am 30. Oktober 1981 im südkoreanischen Seoul geboren, wo sie später am Theater- und Filminstitut der Dong-Guk-Universität studierte. Ihre Karriere begann sie 1997 als Model für das Magazin Ecole.
Nach Fernsehauftritten und Rollen in verschiedenen Kinoproduktionen gelang ihr 2001 der Durchbruch mit der Komödie "My Sassy Girl". Heute ist sie eine der erfolgreichsten und populärsten Schauspielerinnen Asiens und auch nach wie vor ein gefragtes Werbe-Model.
Sie lebt mit ihren Eltern in Seoul.
Bingbing Li wurde am 27. Februar 1973 in China geboren. Ursprünglich hatte sie nicht vor, Schauspielerin zu werden, sondern besuchte eine Schule für angehende LehrerInnen. Nach ihrem Abschluss entdeckte sie ihr Interesse an der Schauspielerei und meldete sich auf das Drängen eines Freundes 1993 am Shanghai Drama Institute an. Ihr Leinwanddebüt gab sie mit Zhang Yuans "Seventeen Years". Mit der Hauptrolle in der Fernsehserie "Young Justice Bao" wurde sie schnell zu einer der berühmtesten Schauspielerinnen Chinas. Zu ihren weiteren Filmen gehören die romantische Komödie "Waiting Alone", "The Knot" und "The Forbidden Kingdom". "Der Seidenfächer" ist ihre erste englischsprachige Hauptrolle. Aktuell steht sie neben Milla Jovovich für den neuen Teil der "Resident Evil" - Reihe vor der Kamera.
(Quelle: Senator Film Verleih)
Der Seidenfächer
Originaltitel: Snow Flower and the Secret Fan
China, USA/ 2011
Regie: Wayne Wang
Drehbuch: Angela Workman, Ron Bass, Michael K. Ray
DarstellerInnen: Bingbing Li, Gianna Jun, Russell Wong, Hugh Jackman, Archie Kao, Coco Chiang, Hu Qing Yun, Shi Ping Cao, Ruijia Zhang, Shouqin Xu, Feihu Sun, Zhong Lü, Mian Mian, Yi-Ching Lu, Zhoubo Fang, Wu Jiang
Produktion: Wendi Deng Murdoch, Florence Low Sloan
Ausführende Produktion: Hugo Shong
Kamera: Richard Wong
Schnitt: Deirdre Slevin
Musik: Rachel Portman
Länge: 104 Minuten
Kinostart: 28. Juni 2012
www.derseidenfaecher.senator.de
Weitere Informationen:
zur Frauenschrift Nushu
zum chinesischen Brauch der Lotusfüße
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