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Beitrag vom 13.03.2008
Die verlorene und zurückerlangte Ehre der Marla Olmstead
Kristina Tencic
"Das Wunderkind?" - so der Titel einer Dokumentation von Amir Bar-Lev über ein außerordentlich junges und großes Talent, den Fluch der Medien und den Versuch einer Wiedergutmachung
Was ist Kunst? Diese zentrale Frage stellt sich bei der Betrachtung der abstrakten Malerei Marlas. Marla Olmstead ist nämlich keine Kunstakademie-Absolventin, sondern ein Kindergartenkind im Alter von 4 Jahren, als sie und ihre Eltern in den Strudel der Medien gezogen werden, denen es egal ist, welche Auswirkungen der Rummel auf das Kind und dessen Familie hat – Hauptsache die Story stimmt.
Angefangen hat die Geschichte der Medien-Sensation, als Marlas Eltern eines ihrer großflächigen abstrakten Malereien einem befreundeten Barbesitzer schenkten, der das Bild als lustige Wanddekoration ausstellte – prompt kamen Anfragen von Gästen, die das farbenfrohe Bild kaufen wollten. Eine Reporterin hörte von der Geschichte, und die Sensation war perfekt. Nachdem die New York Times über das vermeintliche Wunderkind schrieb, gab es kein Halten mehr: In Zeitungen der ganzen Welt (darunter natürlich auch die BILD) verbreitete sich die Story über das vierjährige Ausnahmetalent wie ein Lauffeuer, interessierte KäuferInnen kamen und trieben den Preis für Marlas Bilder in die Höhe, bis ein Bild von ihr über 10.000 Dollar kostete.
Marla wurde zum Shootingstar der Kunstszene, eröffnete ihre erste Ausstellung und war von nun an den größten Teil des Tages von Kameras umgeben. Welchen vernünftigen Menschen wundert es, dass die als schüchtern und zurückhaltend beschriebene Marla diesem Medienrummel nur mit Mühe standhalten konnte? Wer könnte leugnen, dass die Familie und vor allem ihr jüngerer, im Hintergrund stehender Bruder psychische Erschütterungen erleiden mussten? Und wem liegt nicht auch der Spruch "My kid could paint that" (so der englische Titel des Films) auf der Zunge?
Bekanntlich heißt es, dass auf den steilen Aufstieg der tiefe Fall folgen kann – davon bleib auch die Vierjährige nicht verschont und es kam wie es kommen musste: das immer hungrige Medienmonster verlangte nach einer weiteren Sensation und bekam sie, nachdem ein Video Marla beim Malen filmte und eine Kinderpsychologin aussagte, dass dieses Bild nicht zu dem Stil der übrigen passt. Sie schloss daraus, dass der Vater der eigentliche Künstler ist, oder ihr zumindest als Dirigent zur Seite steht. Wie die Familie dieser Behauptung entgegnet und wie die Kunst eines Kindergartenkindes aussieht, das können Sie sich in Form eines Filmes vergegenwärtigen.
Die Geschichte der kleinen und doch riesigen Künstlerin Marla ist eine, die viele Fragen aufwirft, da sie an dem Grundgerüst der Weltanschauung, bzw. der Kunstbetrachtung rüttelt. Was ist (abstrakte) Kunst, wenn selbst eine Vierjährige einen solchen Ruhm erreichen kann? Welchen Wert hat die Kunst – oder ist eine Krakelei eines Kindes vielleicht in dem Moment Kunst, in dem es einen finanziellen Wert erhält? Was ist ein Genie? Und hat die vierte Staatsgewalt, die Presse, mehr Macht auf uns und seine ProtagonistInnen, als man/frau sich das eingestehen will? Wer hätte sonst je von dieser Künstlerin erfahren?
AVIVA-Tipp: Amir Bar Lev´s Dokumentation "Das Wunderkind?" könnte im Deutschen ebenso den Titel "Die verlorene Ehre der Marla Olmstead" tragen, da es die traurige Geschichte eines Presseopfers darstellt, die mit diesem Film allerdings ihre Ehre zurückerlangt. Ob das gut oder schlecht für das Mädchen ist, sei dahin gestellt. Fest steht, dass die Story um das kindliche Genie spannende Fragen aufwirft, denn ist nicht auch ein Film nur das Abbild der Realität?
Zum Produzenten: Amir Bar Lev schloss 1994 sein Studium der Film- und Religionswissenschaften an der Brown University ab. Nach einigen Kurzfilmen hatte er 2001 mit der Dokumentation "Fighter" seinen ersten großen Erfolg als Filmemacher. Bevor er mit "My kid could paint that" begann, arbeitete er an verschiedenen Pilot-Projekten, darunter "VH1´s Fabulous Life" und "Weather Channel´s series: It could happen tomorrow".
Weitere Infos zu Marla Olmstead: www.marlaolmstead.com
Das Wunderkind?
Originaltitel: My kid could paint that
USA 2007
Regie: Amir Bar Lev
Produktion: Amir Bar Lev, John Battsek
DarstellerInnen: Amir Bar-Lev, Anthony Brunelli, Elizabeth Cohen, Michael Kimmelman, Laura Olmstead, Mark Olmstead, Marla Olmstead
Spielzeit: 80 Minuten
Verleih: Sony Pictures Classics, VÖ: 10.04.2008
FSK: ohne Angabe
www.sonyclassics.com