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Beitrag vom 12.04.2019
Bauhaus, deine Frauen - Die AVIVA-Retrospektive zum 100. Jubiläum. Literatur, Filme und Bauhäuslerinnen
Saskia Balser, Sharon Adler, Christina Mohr
Die Vereinigung von Kunst und Handwerk am Bauhaus gilt bis heute als modern und revolutionär. Dass am Erfolg der Hochschule auch Frauen beteiligt waren, wird leider zu oft übersehen und nicht ausreichend gewürdigt. Auch die Vertreibung und Ermordung jüdischer Künstlerinnen in der NS-Zeit gerät bei Rückblicken anlässlich des Jubiläums häufig in den Hintergrund. AVIVA-Berlin macht in dieser Übersicht deren Wirken sichtbar.
Zum 100 jährigen Jubiläum wird dem Phänomen Bauhaus noch einmal besonders große Beachtung geschenkt, es gibt bundesweit Ausstellungen zu den Werken und Protagonist*innen des Bauhauses und auch das neue Bauhaus-Museum in Weimar wurde nach jahrelangen Arbeiten am 5. April eröffnet. Einige der zum Jubiläum erscheinenden Publikationen und Veranstaltungen sind den "Bauhaus-Frauen" gewidmet – den Frauen, die in der männlichen Geschichtsschreibung des Bauhauses oftmals vergessen und übergangen werden, obwohl sie einen wesentlichen Teil zur Geschichte der Kunstschule beigetragen haben. Ebenso wenig thematisiert wird die erzwungene Emigration durch die Nationalsozialisten sowie die Ermordungen der jüdischen Künstlerinnen in den Vernichtungslagern, beispielsweise der Textilkünstlerin Otti (Otilija Ester) Berger, welche 1944 in Auschwitz ermordet wurde.
Scheinbare Gleichberechtigung
Die Eröffnung des Staatlichen Bauhauses fand im Jahr 1919 statt, zu Beginn der Weimarer Republik und gleichzeitig mit der Einführung des aktiven und passiven Frauenwahlrechts. Begründer Walter Gropius schien also den Zahn der Zeit getroffen und vermeintlich progressiv gedacht zu haben, als er die folgenden, für das Bauhaus signifikanten Worte, in seinem Eröffnungsprogramm formulierte: "Als Lehrling aufgenommen wird jede unbescholtene Person ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht, deren Begabung und Vorbildung vom Meisterrat als ausreichend erachtet wird."
Verdrängung in die Weberei
Dieses Manifest widerspricht jedoch Gropius´ darauffolgendem Handeln enorm. Waren es im 1. Semester noch mehr weibliche als männliche Studierende, so sorgte der Architekt in den anschließenden Jahren dafür, dass sich dieses Geschlechterverhältnis umkehrte. Er forderte "eine scharfe Aussonderung gleich nach der Aufnahme, vor allem bei dem der Zahl nach zu stark vertretenen weiblichen Geschlecht." Der Zugang zu verschiedenen Werkstätten und Studienrichtungen blieb Frauen infolgedessen verwehrt, für die Töpferei und die Druckerei seien sie beispielsweise nicht geeignet hieß es. Stattdessen wurde ihnen die Weberei als Produktionsort zugeschrieben, was der Maler und Bildhauer Oskar Schlemmer mit den spöttischen Worten "Wo Wolle ist, ist auch ein Weib, das webt, und sei es nur zum Zeitvertreib" kommentierte.
Die "Frauenklasse" wurde zu einer der produktivsten Werkstätten am Bauhaus, die zudem schnell einen großen kommerziellen Erfolg verzeichnete. Gropius sorgte sich jedoch um das avantgardistische Image der Institution, weshalb er die Arbeiten männlicher Studierender stärker in den Vordergrund stellte und leitende Positionen nur in Ausnahmefällen an Frauen vergab. 1925 gelang es endlich der Weberin und Textil-Designerin Gunta Stölzl, als erste Frau zum "Meister" ernannt zu werden. 1927 übernahm sie die Leitung der Weberei in Dessau und entwarf zahlreiche neuartige Muster für Teppiche. Auch nach ihrer politisch motivierten Kündigung 1931 setzte sie ihre Arbeit fort, in ihrer eigenen Weberei in der Schweiz.
Die Eroberung "männlicher" Domänen
Trotz der Verdrängung der Frauen in die Weberei, schafften es einige von ihnen, sich auch in anderen Handwerken auszuprobieren und Ideen zu verwirklichen. Marianne Brandt beispielsweise arbeitete in der Metallwerkstatt und entwickelte viele Produktentwürfe, die noch heute als Design-Klassiker nachgebaut werden. Ihr wohl berühmtester Entwurf war derjenige für eine Teekanne, welche typische Bauhauselemente einfing und avantgardistisch interpretierte. Diese Arbeit meisterte sie, obwohl sie dem Spott ihrer männlichen Kollegen ausgesetzt war: "Eine Frau gehört nicht in die Metallwerkstatt, war die Meinung. Man hat dieser Meinung Ausdruck zu verleihen gewusst, indem man mir vorwiegend langweilig-mühsame Arbeit auftrug." Auch den Bereich der Fotografie eroberte Brandt, sie fertigte eindrucksvolle Collagen an, welche 1933 von Nationalsozialisten nicht mehr als moderne, sondern als "entartete" Kunst bezeichnet wurden.
Das Bauhaus – eine männliche Erfolgsgeschichte?
Denken wir an das Bauhaus, scheint es beinahe, als seien bloß Männer an diesem formprägenden und neuartigen Projekt beteiligt gewesen. Die Namen Walter Gropius, Wassily Kandinsky und Paul Klee sind im öffentlichen Diskurs zweifellos präsenter als beispielsweise Otti Berger, Gunta Stölzl, Anni Albers oder Marianne Brandt. Daraus abzuleiten, dass Männer die größeren Genies waren und mehr zum Aufstieg des Bauhauses beigetragen haben, wäre jedoch ein Fehlschluss. Die Geschichte des Bauhauses ist auch eine weibliche – geprägt von Emanzipation, Rebellion, und Kreativität.
Um den Bauhaus-Frauen, ihren Erfolgen und ihren gebrochenen Biographien gerecht zu werden, haben wir für diesen AVIVA-Beitrag eine Auswahl aus Literatur und Film recherchiert. Diese sorgfältige Zusammenstellung, welche die weibliche Seite des Bauhauses in den Fokus rückt, wird fortlaufend auf AVIVA-Berlin erweitert.
Ulrike Müller: Bauhaus-Frauen. Meisterinnen in Kunst, Handwerk und Design
Das Wirken der Frauen am Bauhaus hat die Literaturwissenschaftlerin Ulrike Müller in ihrem bereits 2009 erschienenen Bildband "Bauhaus-Frauen. Meisterinnen in Kunst, Handwerk und Design" dokumentiert. Pünktlich zum Jubiläum kommt die aktualisierte Neuauflage, welche unter anderem Gespräche und Briefkontakte mit Gunta Stölzls in Israel lebenden Töchtern Yael Aloni und Monika Stadler sowie ein Portrait der Bauhausfrau Dörte Helm beinhaltet. Auch das Werk der Künstlerin und Modedesignerin Ré Soupault wird nun in mehreren Kapiteln dieser neu gestalteten Auflage gewürdigt.
Viele der in diesem Bildband vorgestellten Künstlerinnen und Handwerkerinnen sowie ihre Werke sind heute nahezu unbekannt und in Vergessenheit geraten.
Die Autorin Ulrike Müller, von der u.a. "Die klugen Frauen von Weimar", im Elisabeth Sandmann Verlag erschienen ist und die seit vielen Jahren Stadtführungen durch Weimar organisiert, stellt in "Bauhaus-Frauen. Meisterinnen in Kunst Handwerk und Design" ausgewählte Künstlerinnen aus den wichtigsten Lehr-, Werkstatt- und Produktionsbereichen in Weimar, Dessau und Berlin vor. Darunter bekannte Frauen wie Grete Stern, Lucia Moholy, Anni Albers und Marianne Brandt – aber auch die weitgehend unbekannte Bauhaus-Lehrerin Gertrud Grunow, die ein Fach mit der exotischen Bezeichnung "Harmonisierungslehre" unterrichtete, die Werkmeisterin der Weimarer Textilwerkstatt, Helene Börner, die Bildhauerin und (Film-)Bühnengestalterin Ilse Fehling, die Teppichknüpferin und Malerin Ida Kerkovius, die Malerin Lou Scheper, die später an der Gestaltung des Gebäudes der Berliner Philharmonie mitwirkte oder die Weberin und Textil-Designerin Gunta Stölzl, die seit 1927 alleinige Leiterin der Weberei war.
Doch nicht nur die Werke der Frauen stellt die Autorin in diesem sorgfältig gestalteten Bildband vor. Auch das persönliche Schicksal der Bauhausfrauen stellt sie in den Fokus ihrer Forschungen. So spiegelt sich am Leben der jüdischen Künstlerin Otti Berger, die als Otilja Ester Berger geboren wurde und sich unter der Matrikelnummer 131 am 1. Januar 1927 am Bauhaus in Dessau einschrieb, der Geist dieser Zeit. Otti Berger wurde wie viele andere Bauhausfrauen in Auschwitz ermordet.
AVIVA-Tipp: "Bauhaus-Frauen. Meisterinnen in Kunst Handwerk und Design" dokumentiert die teilweise vergessenen Werke der Künstlerinnen und Designerinnen, deren Einfluss auf die Produktion der Moderne bis heute und verhilft ihnen so zu der Aufmerksamkeit, die sie verdienen.
Ursula Muscheler: Mutter, Muse und Frau Bauhaus. Die Frauen um Walter Gropius
Der im Winter 2018 im Berliner Berenberg Verlag erschienene Band der Architektin Ursula Muscheler konzentriert sich auf die Frauen, die um den Bauhausgründer Walter Gropius gelebt und gewirkt haben. Mit zahlreichen Zitaten aus Tagebüchern und Briefen zeichnet ihr erzählendes Sachbuch ein detailreiches und ehrliches Bild von Manon Gropius, Alma Mahler, Lily Hildebrandt, Maria Benemann und Ise Gropius und verhilft ihnen auf diese Weise zu der Aufmerksamkeit, die sie verdienen.
Es sind sehr unterschiedliche Frauen, die Gropius´ Leben beeinflusst und sein Wirken geprägt haben. Manon Gropius, Walters Mutter, war für ihn stets eine Stütze, sowohl emotional als auch finanziell stand sie ihm zur Seite und half ihm durch alle Lebenskrisen – auch als dieser eine Affaire mit der verheirateten Alma Mahler begann, die sie selbst als zu leidenschaftlich und wild einschätzte.
Als sich Gropius und Alma im Juni 1910 kennenlernen, war Alma noch mit dem Komponisten Gustav Mahler verheiratet, was sie von der geheimen Liebschaft mit Gropius jedoch nicht abhielt. Sie schien ein ausdrucksstarker und eigenwilliger Charakter zu sein, schrieb im Zorn gegen Gropius: "Auf die Knie vor mir, wenn ich bitten darf!" In ihrem Tagebuch notiert sie: "Ich möchte eine große Tat tun. Möchte eine wirklich gute Oper komponieren, was bei Frauen wohl noch nie der Fall war. Ja, das möchte ich."
Da die Ehe der beiden nicht lange hielt, trat eine neue Frau in Gropius´ Leben, die Malerin Lily Hildebrandt: "32 Jahre jung, schön, unternehmungslustig, ebenfalls verheiratet." Die Briefe der Liebenden waren erotisch aufgeladen, so schreibt Gropius "Dein Sonntagsbrief heut´ Morgen hat mich wild gemacht, meine Sinne brausen über. Ich muss an mich halten, dass ich nicht plötzlich zu Dir tose und Dich in meine Arme schließe." Nachdem er einige Monate mit Lily liiert war, begegnet der bei Frauen allzu beliebte Gropius der Dichterin Maria Benemann. Ihrer selbstbewussten und fordernden Art war Gropius jedoch schon nach kurzer Zeit nicht gewachsen, er schrieb an sie: "Nicht drohen! Nicht fordern! Nicht erwarten!" – sein patriarchales Frauenbild wird anhand der von Muscheler ausgewählten Textstücke immer wieder deutlich und manifestiert sich in seiner Angst vor der weiblichen Dominanz am Bauhaus im Sommersemester 1919.
1923 verliebt sich Gropius in Ilse Frank, die er, als die beiden eine Beziehung führten, Ise nannte, "was gleich viel aparter klang." Sie verfolgte, anders als die bisherigen Frauen an Gropius´ Seite, keine eigenen Interessen, sondern gab sich ganz der Idee des Bauhauses hin, arbeitete als Sekretärin und Lektorin für Gropius und begleitete ihn ins Exil nach Amerika.
AVIVA-Tipp: Ursula Muscheler erzählt von den Frauen, von Gropius und den jeweiligen (Liebes-)Beziehungen. Ihrer Beurteilung nach hätten sich beispielweise Alma Mahler und Lily Hildebrandt nicht hinter ihm verstecken, sondern verstärkt ihren eigenen Bestrebungen folgen sollen. Mit ihrem Buch "Mutter, Muse und Frau Bauhaus" liefert Muscheler einen lesenswerten Beitrag zu den zahlreichen zum 100. Jubiläum des Bauhauses erscheinenden Werken. Sie ergänzt zum einen das Gesamtbild Walter Gropius´ durch die vielen persönlichen Texte und eigenen Beobachtungen und schafft es zugleich, die Frauen aus Gropius´ Schatten hervorzuholen.
Patrick Rössler & Elizabeth Otto: Frauen am Bauhaus. Wegweisende Künstlerinnen der Moderne (Knesebeck, 2019)
Die Professor*innen Otto und Rösser beschäftigten sich beide in den vergangenen Jahren intensiv mit dem Thema "Bauhaus" und hatten dabei immer geschlechtsspezifische Aspekte im Blick. So hat Otto beispielsweise die Bücher "Bauhaus Women: A Global Perspective" und "Bauhaus Bodies: Gender, Sexuality, and Body Culture in Modernism´s Legendary Art School" veröffentlicht und Rössler hat an der Herausgabe des die gleichnamige Ausstellung begleitenden Katalogs "Vier Bauhausmädels" mitgewirkt. Im Februar 2019 gaben sie nun gemeinsam diesen umfangreichen Band heraus, welcher die Karrieren von insgesamt 45 Frauen portraitiert, die am Staatlichen Bauhaus wirkten. Dazu gehören sowohl Studentinnen und Lehrerinnen als auch die Partnerinnen der Bauhausdirektoren und -lehrer.
Auf 200 farbigen und schwarz-weißen Abbildungen sind die unterschiedlichen Frauen dargestellt: Selbstportraits, Fotocollagen und Fotografien, die die Frauen beim Arbeiten zeigen. Auch die unterschiedlichen Werke und somit die zahlreichen Talente der Studierenden werden gezeigt, darunter Gemälde, Stoffe, Gebäude und Gegenstände – wie beispielsweise die bekannten geometrischen Bauklötze von Alma Siedhoff-Buscher. Abgedruckt sind auch zahlreiche Original-Dokumente aus der Bauhaus-Zeit, darunter Entwürfe und Skizzen sowie Studierendenausweise der Bauhäuslerinnen.
Von den unterschiedlichsten Orten brachen die Frauen Richtung Weimar auf: Friedl Dicker aus Wien, Marguerite Friedender-Wildenhain aus Lyon, Irene Bayer aus Chicago. Am Bauhaus kamen sie zusammen, haben Kunst und Handwerk betrieben und miteinander vereint. Elizabeth Otto, Professorin für moderne und zeitgenössische Kunstgeschichte an der State University of New York in Buffalo (USA) und Patrick Rössler, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Erfurt, haben zusammengetragen, wie vielfältig sowohl die Werke der Künstlerinnen, Designerinnen und Architektinnen, als auch die Lebensgeschichten der Frauen sind. Viele gingen jahrzehntelang ihren künstlerischen Ambitionen nach, anderen hingegen blieb dieses Glück verwehrt – sie wurden zur Emigration gezwungen, oder wurden wie Friedl Dicker, Otti Berger und Zsuzska Bánki in Auschwitz ermordet.
Jeder der Frauen und ihren außerordentlichen Leistungen wird nun individuell Beachtung geschenkt und einige kommen selbst durch Zitate zu Wort. So beispielsweise die Fotografin Lucia Moholy: "Nicht Technik und Werkzeug bestimmen, was Kunst ist, sondern der Mensch, wenn er die Gabe hat, damit Kunst zu schaffen."
Trotz der ausführlichen Aufzeichnungen sind sich die Autor*innen sicher, es gäbe über jede der Frauen noch weiteres zu erzählen. Aus diesem Grund benennt ein Literaturverzeichnis am Ende des Bandes wichtige weiterführende Quellen.
"In ihrer Gesamtheit bieten die Biografien einen facettenreichen Blick darauf, was es für Frauen im 20. Jahrhundert bedeutete, eine Bauhäuslerin gewesen zu sein."
AVIVA-Tipp: Dieser knapp 200 Seiten starke Band rückt Frauen und Werke in den Fokus, die bisher vielleicht nur Bauhausexpert*innen bekannt waren. Von Margarete Heymann-Loebensteins Teeservice aus Keramik, über Lore Leudesdorffs Stoffmuster bis hin zu Ivana Tomljenovics Fotomontagen lernen die Leser*innen die produktive, kreative, weibliche Seite des Bauhauses kennen.
Christiane Kruse: das bauhaus in weimar, dessau und berlin. leben, werke, wirkung (Edition Braus, 2018)
"Ein neuer Anfang. Ein neues Leben beginnt. [...] Am ersten Abend ein wundervolles Fest, man spürt gleich, was für ein Geist da weht." Mit diesem Zitat der Bauhausstudentin Gunta Stölzl leitet die Kunsthistorikerin und Schriftstellerin Christiane Kruse ihr Buch über das Bauhaus ein, welches eine besondere Auswahl von Bauhausarchitekturen sowie Künstler*innen vorstellt.
Christiane Kruse, die an der Freien Universität Berlin über die Villen- und Gartenkonzepte von Ludwig Mies van der Rohe promovierte und seit vielen Jahren auch als Autorin tätig ist, portraitiert in ihrem neuesten Buch zunächst einige Bauhauskünstler*innen – sowohl prominente als auch weniger bekannte. Darunter sind beispielsweise Anni Albers, Gertrud Arndt, Otti Berger, Marianne Brandt, Lucia Moholy, Lilly Reich und Gunta Stölzl mit jeweils einer Kurzbiografie und Fotos, die ihre Arbeiten und sie selbst abbilden. Das Leben, Wohnen und Arbeiten der Bauhäusler*innen rückt Kruse in diesem ersten Teil in den Fokus.
Der zweite Abschnitt des Buchs konzentriert sich auf die bedeutenden Orte und Bauten rund um das Bauhaus. Dabei werden nicht nur die zahlreichen mittlerweile zur UNESCO-Welterbestätte gehörenden Gebäude, wie das Haus "am Horn" und die Bauhaus-Universität in Weimar oder die Meisterhäuser in Dessau aufgelistet. Auch Siedlungen, Kirchen und Denkmäler, die weniger intuitiv mit dem Bauhaus in Verbindung gesetzt werden, schenkt Kruse Beachtung. Sie werden sowohl durch neue als auch historische Abbildungen illustriert.
AVIVA-Tipp: Christiane Kruse zeigt durch einen kunsthistorischen, rekonstruierenden Ansatz, wie die "legendäre Schule" zum einen durch die an vielen Orten errichteten Gebäude und zum anderen durch die wegweisenden neuen Ideen nachwirkt und auch nach der 1933 erzwungenen Auflösung durch die Nationalsozialisten bis heute fasziniert.
Patrick Rössler: Bauhausmädels. A tribute to Pioneering Women Artists (TASCHEN, 2019)
Der titelgebende Begriff des "Bauhausmädels" mag aus heutiger Sicht abwertend erscheinen, wie ein despektierliches Diminuitiv für wenig ernstzunehmende "Novizinnen". Zu Beginn des 20. Jahrhunderts aber stand "Mädel" für moderne junge Frauen, die sich bewusst vom betulichen "Fräulein" abgrenzen wollten. Wie so oft waren es die Nazis, die ein Wort negativ besetzten und quasi unbenutzbar machten: vom "Blitzmädel" bis zum "BDM" reicht die ungute Verbindung ins "Dritte Reich".
Die Mädels/Frauen, die ans Bauhaus wollten, hatten mit den nationalsozialistischen Umtrieben, die sich nach dem Ersten Weltkrieg zu regen begannen, nichts zu tun, ganz im Gegenteil: "Mädchen wollen etwas lernen" betitelte Die Woche: moderne illustrierte Zeitschrift anno 1930 einen Artikel über die Studentinnen. Lernen, arbeiten, etwas bewirken, gestalten - das wollten zunächst alle der knapp 500 am Bauhaus eingeschriebenen Studentinnen, von denen allerdings nur ein vergleichsweise geringer Teil das Institut mit einem Abschluss verließ. Gründe für Studienabbrüche gab es von der Familiengründung bis zum Umzug mit dem Ehemann viele, nur wenige trauten sich den ganz großen Schritt in selbstbestimmte kreative Tätigkeiten zu. Dazu kam, dass viele Studentinnen mit jüdischen Wurzeln Deutschland in den frühen Dreißiger Jahren verließen – das Studium am Bauhaus schützte nicht vor Verfolgung, wie die erschreckend kurzen Lebensläufe einiger Künstlerinnen vor Augen führen, die von den Nazis in Konzentrationslagern ermordet wurden.
Patrick Rösslers "bauhaus mädels" ist ein in vielerlei Hinsicht bemerkenswertes Buch, nicht nur aufgrund des schieren Umfangs: Die dem Bildteil vorangestellte Analyse der Studentinnen und ihrer Arbeitsbedingungen am Bauhaus ist umfassend, faktenreich und doch kompakt (wie in allen TASCHEN-Bänden werden die Texte in deutsch, englisch und französisch abgedruckt, was eine gewisse Reduktion bedingt), das große Plus ist aber, dass sich Rössler nicht auf "Stars" wie Gunta Stölzl, Marianne Brandt, Otti Berger oder Ré Soupault beschränkt. 87 teils unbekannte oder in Vergessenheit geratene Künstlerinnen und Kunsthandwerkerinnen werden vorgestellt – je nach Recherche- und Archivlage kurz und knapp mit einem einzigen Foto wie Textilgestalterin Marianne Gugg. Andere wie die mit 29 Jahren tragisch verunglückte Tänzerin und Sportlehrerin Karla Grosch können über mehrere Seiten betrachtet werden. Die Fotos entstanden überwiegend am Institut, in den Werkräumen oder in Pausen: wir sehen die Frauen fokussiert und ernsthaft bei der Arbeit, aber auch gelöst, fröhlich und für Feiern zurechtgemacht – frau kommt immer wieder ins Staunen angesichts der unfassbar modern wirkenden "Mädels", die schon vor fast hundert Jahren stilistisch und lebensweltlich althergebrachte Geschlechterrollen aufhoben.
AVIVA-Tipp: "bauhaus mädels" sticht aus der Vielzahl aktueller Publikationen über Frauen am Bauhaus durch die Präsentation auch wenig berühmter Künstlerinnen heraus. Die – wenn auch sehr kurz gehaltenen – Vitae der Studentinnen und Absolventinnen machen Zeit und Menschen postum lebendig und wiederholen nicht nur bereits Bekanntes. Empfehlung!
Weitere Neuerscheinungen im Jubiläumsjahr sowie einschlägige Publikationen der letzten Jahre
Jörg Stabenow und Ronny Schüler (Hrsg.): Vermittlungswege der Moderne – Neues Bauen in Palästina (1923 – 1948) (Gebr. Mann Verlag, 2019)
Die Region Palästina – das spätere Israel – bildet ein besonders aussagekräftiges Beispiel für die Internationalisierung der europäischen Architekturmoderne in den 1920er bis 1940er Jahren. Das Buch behandelt die Konjunktur des Neuen Bauens im damaligen britischen Mandatsgebiet unter dem Gesichtspunkt der zugrundeliegenden Vermittlungsprozesse. Die aus Deutschland vertriebenen Exilant*innen wie die in Berlin geborene Architektin und Stadtplanerin Lotte Cohn waren maßgeblich daran beteiligt, die Architekturmoderne vor allem in Tel Aviv durchzusetzen und mit dem Begriff Bauhaus zu verknüpfen. Lotte Cohn prägte die Kibbuz-Architektur wesentlich mit und führte in Israel einen sachlichen Baustil mit einer ganz eigenen Funktions- und Formensprache ein. Nicht zuletzt ist es Lotte Cohn und ihren architektonischen Vorstellungen zu verdanken, dass Tel Aviv auch "die weiße Stadt" genannt wird. Besonders in Tel Aviv ist die Handschrift Lotte Cohns unübersehbar. Auch wenn sie nie nach Deutschland zurückkehrte, fühlte sie sich dem eher sachlichen Bauhausstil immer verpflichtet, verknüpfte ihn aber mit von ihr neu entdeckten Elementen der orientalischen Baukunst.
Jean Molitor: bau1haus – die moderne der welt (Hatje Cantz Verlag, 2018)
Hrsg. von Nadine Barth, Text von Kaija Voss, Gestaltung von Julia Wagner grafikanstalt, Deutsch, Englisch: Die Erben des Bauhauses, die der Fotograf Jean Molitor seit 2009 auf der ganzen Welt aufspürt, werden in bau1haus gemeinsam präsentiert. In seinem Kunstprojekt nimmt er die Ästhetik der Bauten in den Fokus: Er sieht sie als zentrales Element einer epocheprägenden Bewegung in Architektur, Kunst und Design, die aus dem Jugendstil in die Moderne führt. Mit seinen Bildern dokumentiert er die grenzenlosen Verbindungen der Bauhäusler*innen.
Inge Hansen-Schaberg: Entfernt: Frauen des Bauhauses während der NS-Zeit – Verfolgung und Exil (edition text + kritik, 2012)
Die Beiträge des Sammelbandes weisen auf Lücken in der Rezeption der Bauhaus-Geschichte hin, indem sie die Lebensgeschichten von Frauen in den Fokus rücken, die in vielfältigen Disziplinen ihre Darstellungs- und Experimentierfelder sahen und lebenslang unter dem Einfluss des Bauhauses arbeiteten oder sich von ihm emanzipierten.
Jana Revedin: Jeder hier nennt mich Frau Bauhaus. Das Leben der Ise Frank (Dumont Buchverlag, 2018)
Dieser biografische Roman zeigt, dass die heute weitestgehend unbekannte Ise Frank weitaus mehr war als Walter Gropius´ Ehefrau und den Kurs des Bauhauses entscheidend mitbestimmte.
Ausstellungen (Auswahl)
"Wanderausstellung "26 x Bauhaus. 100 Jahre Bauhaus: Das Bauhaus im französischen Kontext" des Institut Français
(Berlin 12.04.19 – 08.05.19, Bremen 22.05.19 – 16.06.19, München 26.06.19 – 24.07. 19, Mainz 12.09.19 – 23.10.19, Bonn 06.09.19 – 04.12.19)
"Wohnungsfrage und Freiraum. Bauhaus und die Moderne in Berlin und Tel Aviv" im Freiraum in der Box, Berlin (16.05.19 – 26.10.19)
"BauhausFrauen – Lehrerinnen und Absolventinnen der Bauhaus Universität Weimar" in der Kunsthalle, Erfurt (18.04.19 – 14.07.19)
"Vier ‚Bauhausmädels" im Angermuseum, Erfurt (23.03.19 – 16.06.19)
"bauhaus imaginista" im Haus der Kulturen der Welt, Berlin (15.03.19 – 10.06.19)
"Bauhaus und die Fotografie" im Museum für Fotografie, Helmut Newton Stiftung, Berlin (11.04.19 – 25.08.19)
TV: "Lotte am Bauhaus" und MDR-Dokumentation "Bauhausfrauen"
Der Fernsehfilm von Gregor Schnitzler wurde am 13. Februar 2019 im Rahmen des Themenabends "Frauen am Bauhaus" im Ersten gezeigt. Er thematisiert das Leben der jungen Lotte Brendel, gespielt von Alicia von Rittberg, die gegen den Willen ihrer Familie ein Studium am Bauhaus beginnt. Die Figur der Lotte ist, anders als die meisten anderen Figuren des Films, fiktiv, wurde jedoch an die Designerin und Kunsthandwerkerin Alma Siedhoff-Buscher angelehnt.
Was eine differenzierte und feministische Hommage an die Bauhaus-Frauen hätte werden können, hat bedauerlicherweise die Grenzen eines typischen Prime-Time-Melodrams nicht überschritten. Im Mittelpunkt der Handlung stehen weder die künstlerischen und handwerklichen Errungenschaften der Bauhäuslerinnen noch der Druck der Nationalsozialisten, der letztendlich zu Schließung der Hochschule führte – sondern eine wenig emanzipierte Liebesgeschichte.
Die im Anschluss an den Film gezeigte MDR-Dokumentation "Bauhausfrauen", welche noch bis zum 9. Februar 2020 kostenlos in der ARD-Mediathek abrufbar ist, lädt dagegen zu einer tiefgründigen Auseinandersetzung mit den weiblichen Genies des Bauhauses ein. Mit Archivmaterial wie Tagebucheinträgen und Videoaufnahmen sowie Gesprächen mit Nachfahren der Bauhausfrauen wie beispielsweise Monika Stadler, der Tochter Gunta Stölzls, wird ein umfangreiches Bild der Künstlerinnen Stölzl, Buscher und Dicker gezeichnet – Die Dokumentation stellt daher eine klare Empfehlung von AVIVA-Berlin dar.
Radio
Die Serie "Frauen im Bauhaus" auf Deutschlandradio Kultur (2019): www.deutschlandfunkkultur.de/serie-frauen-im-bauhaus
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
Lotte Cohn. Eine schreibende Architektin in Israel. Bd. 1: Ausgewählte Schriften (1934–1982) und Bd. 2: Ausgewählte Briefe (1921–1982). Herausgegeben von Dr. Ines Sonder
Ein Tagebuch hat die deutsch-israelische Architektin und Stadtplanerin Lotte Cohn nicht geführt, dafür aber unzählige Briefe, Nachrufe, Schriften, Pläne und Skizzen hinterlassen. Besonders an ihren Gebäuden in Tel Aviv wird ihre Verbindung zum sachlichen Bauhausstil sichtbar. Aus dem Konvolut hat die Kunsthistorikerin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien an der Universität in Potsdam mit dem Forschungsschwerpunkt Architektur- und Kulturgeschichte Israels, Dr. Ines Sonder, diese sorgfältig editiert, deren Werk kuratiert, und damit in Ausstellungen und Publikationen zugänglich gemacht. Erschienen im Neofelis Verlag in der Reihe Jüdische Kulturgeschichte in der Moderne. (2018)
Theresia Enzensberger: Blaupause
In ihrem Debütroman zeigt die Journalistin und Autorin Theresia Enzensberger anhand der fiktiven Figur Luise Schilling, dass am Bauhaus Gleichberechtigung und Entfaltungsmöglichkeiten für Frauen nur auf dem Papier bestanden. Auch die progressiven Bauhauslehrer waren in ihrem Rollenverständnis alles andere als modern. Frauen sollten deren Meinung nach Weben und nicht Architektur studieren. (2017)
Bauhaus-Frauen. Meisterinnen in Kunst, Handwerk und Design"
Bekannte und heute vergessene Künstlerinnen, Gestalterinnen und Lehrerinnen, deren Werke und Schicksale dokumentiert die Autorin von "Die klugen Frauen von Weimar" erstmalig in diesem Bildband. (2009)
Marianne Brandt 1893 – 1983. Fotografien am Bauhaus
Das verborgene Museum zeigte Fotografien der Künstlerin. Szenen der Großstadt und Technik, Tanz und Kultur sowie die Stellung der Frau wurden experimentell thematisiert. (2004)
Otti (Otilija Ester) Berger. 1898 – 1944. Eine Recherchereise
Die Suche nach dem verlorenen Vermächtnis der Textildesignerin – ihren Werke und ihren Schriften. Zusätzlich zu ihrer Biografie versucht die deutsch-israelische Graphikdesignerin Linn Fischer zu entschlüsseln und zu verstehen, wie sie arbeitete, um einige ihrer Techniken in ihre eigene Arbeit zu adaptieren. (2013)