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Beitrag vom 08.03.2006
Komm näher
Kirsten Boettcher
Nach "Vergiss Amerika" und "Engel und Joe" wird Vanessa Jopps neuer Film auf der 56. Berlinale uraufgeführt. Der Episodenfilm zeigt das sonderbare Gebaren einsamer GroßstädterInnen zu kalten Zeiten.
Kalt ist es. Draußen auf den Berliner Straßen und drinnen in den drei Wohnungen, mit denen wir es zu tun kriegen. Gleich in der ersten Szene knallt die schmale Mathilda (Meret Becker) mit dem um die Ecke sprintenden Polizisten Bronski (Hinnerk Schönemann) zusammen. Sie, auf den Asphalt geplumpst, zetert lautstark hinter ihm her. Der Anfang ist gemacht: Der neue Film der 1971 geborenen Regisseurin Vanessa Jopp, bekannt geworden durch ihre mehrfach preisgekrönten Erstlinge "Vergiss Amerika" (1999) und "Engel und Joe" (2000), stößt filmisch mit einem harten Kick die Tür auf zu sieben Leben von Großstädter/innen, die durch ihren Alltagsmodder stapfen.
Erst die Arbeit. Und wann das Vergnügen?
Mathilda hangelt sich von einem miesen Job zum nächsten, spritzt Großküchen aus oder wendet Bratwürste auf dem Grill und organisiert sich wortkarg männliche Orgasmusspender für kurze Besenkammer-Intermezzi. Durchschnittliches Kommunizieren scheint aus ihrem Repertoire ausgeschlossen:
Entweder lärmen oder schweigen.
Ähnliches trifft auf die pubertierende Mandy (beeindruckend: Marie-Luise Schramm)zu, die ihre einsame, putzende Mutter Johanna (Heidrun Bartholomäus) nur anschreien oder autoritär ihres Zimmers verweisen kann. Als Mandy nachts ans Telefon geht, findet sie in einer fremden Männerstimme einen Freund und gesichtslosen Flirt, dem sie nicht ihre erbarmungslos meuternde Teenagerfratze zeigt. David (Marek Harloff), der Mann von Mathildas Schwester Ali (Stefanie Stappenbeck) dagegen schrumpft zu einem auf Kindsvater-Funktionen abgestumpften Schweiger zusammen, da seine Frau eigentlich Karriere, Kind und abendliches Kochen viel perfekter ohne ihn zuwege zu bringen scheint.
Rough and raw - Lärm aus Liebe.
In rauen, dunklen DV-Kamera-Bildern, mit offenbar teilweise improvisierten Dialogen erreicht Vanessa Jopp ein glaubhaftes und berührendes Abbild von tastenden, unsicheren Annäherungsversuchen zwischen Menschen. Besonders berührende Momente gelingen Mandys Mutter Johanna und ihrem Kontaktanzeigen-Date Andi (Fritz Roth), dem Bilderbuch-Taxifahrer: Verlegen-steif, das ernste Anliegen einer Beziehungsaussicht, der panischen Suche nach Gemeinsamkeiten, quasi auf der Stirn blinkend, sind Johanna und Andi die blanke, ungeschönte Grundkonstellation unser aller Illusionen und Wünsche rund um die Liebe. Die Verletzlichkeit und der Wunsch nach Nähe ist bei diesem Paar, das weder lärmt noch schweigt, sondern ganz durchschnittlich Konversation vorantreiben will, so evident und tragikomisch real, dass man manchmal gar nicht hinsehen kann.
Anders bei Mathilda, gespielt von Meret Becker: Ihr schaut man gern zu, wie sie die Großstadtgöre mit Berliner Schnauze spielt, die, abends wegen zu lauter Musik die Polizei nach Hause geschickt bekommt und ihr der Zufall den Pöbel-Polizisten Bronski als Lärmbeschwerdeüberbringer schickt.
Nach Lärm und Schweigen: Zum Abschied menschelt es sich besser.
Alle ProtagonistInnen dieser drei locker verbundenen Episoden werden letztlich zu klaren Bekenntnissen und Entscheidungen gezwungen, für oder gegen ein "Näher". Leider endet hier Jopps kleiner, berührend intensiver Film eigenartig plötzlich mit einer Nettigkeitsszene, als ob sie uns mit einem filmischen, hoffnungsvollen Nach-Hause-Schubser ins wahre Leben entlassen wollte:
Hey, Liebe ist hart, aber es lohnt sich auch manchmal.
Lesen Sie auch das Interview mit der Regisseurin Vanessa Jopp
Komm näher
Piffl Medien: D 2006, 35mm, 97Min.,
Regie: Vanessa Jopp
Darstellende: Meret Becker, Hinnerk Schönemann, Stefanie Stappenbeck, Marek Harloff, Fritz Roth, Heidrun Bartholomäus, Marie-Luise Schramm, Jana Pallaske u.a.
Filmstart: 16. März 2006