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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 17.11.2005


Durch diese Nacht sehe ich keinen einzigen Stern
Karin Effing

Tschechiens bekannteste Schriftstellerin, Bozena Nemcová, schrieb in ihren letzten Tagen drei verzweifelte Briefentwürfe. Dagmar Knöpfel nahm sie als Grundlage für einen Film über das Schreiben.




Bozena Nemcová ist hierzulande wenig bekannt. Das ist verwunderlich, denn in Tschechien war und ist sie eine gefeierte und verehrte Schriftstellerin. Mit dem Roman "Großmutter" trug sie ihren Teil zum Entstehen einer eigenständigen tschechischen Literatur bei. Sie kam aus armen Verhältnissen und wurde von ihrer Mutter schon früh in eine unglückliche Ehe mit dem fast doppelt so alten Josef Nemec gedrängt. Innerhalb von fünf Jahren brachte sie vier Kinder zur Welt. Trotzdem erlebte sie auf dem Hintergrund der nationalen Bewegung ihre persönliche Hochzeit und trat mit "Großmutter" als gefeierte Schriftstellerin in Erscheinung. Neben dem eigenen Schreiben sammelte sie auch Sagen und Märchen und gab diese heraus. Trotz ihrer Ehe führte sie zahlreiche Liebesaffären. Finanzielle Probleme und ihr gewalttätiger Ehemann überschatteten ihre letzten Jahre. Sie erkrankte schwer und lebte in bitterer Armut. Die drei Briefentwürfe "Durch diese Nacht sehe ich keinen einzigen Stern", bei der Friedenauer Presse Berlin erschienen, sind ihr letzter Versuch, sich über das Schreiben zu behaupten.

Die Regisseurin Dagmar Knöpfel entdeckte die Briefe der bekannten-unbekannten Schriftstellerin durch einen Freund und war sofort vom Sog der Texte fasziniert. Sie erarbeitete eine erste Drehbuchversion und erhielt das überraschende Angebot des Stadttheater Heilbronn, den Stoff unter ihrer eigenen Regie auf die Bühne zu bringen. Nach dem Theatererfolg im Herbst 2000 begannen die ersten Schritte in Richtung Realisierung des Filmes. Dagmar Knöpfel gab Corinna Harfouch die Briefentwürfe zum Lesen, auch sie war von der Kraft der Schriftzeugnisse der talentierten Frau beeindruckt. Damit war die passende Besetzung der Hauptrolle gefunden.

Geschildert werden die letzten Tage und Monate der Schriftstellerin.
Ihren Tod vor Augen schreibt sie fieberhaft Briefe an ihren Gönner Vojtech Náprstek.
Dreimal setzt sie an, um bei jedem Versuch wieder zu verstummen. Zu peinigend sind die Umstände, sie findet nicht die richtigen Worte, sie verliert sich in Erinnerungen an die schönen und glanzvollen Seiten ihres Lebens. Und außerdem möchte sie es immer wieder besser machen. Schöner Schreiben, sich schönere Umstände erschreiben. Dabei verliert sie den Adressaten scheinbar aus den Augen, überwältigt von ihrem Leid, für das sie glaubt, keine adäquaten Worte zu finden.
Dagmar Knöpfel hält sich in "Durch diese Nacht sehe ich keinen einzigen Stern" eng an die Briefentwürfe. Die Zuschauerin erlebt die Schriftstellerin in ihrer Kammer beim Verfassen der Schriftstücke. Verfilmtes Schreiben hat so seine Tücken, und auch in diesem Film gibt es einige Momente, in denen das Zusammenspiel von Schreiben und Sprechen und Darstellung des Geschrieben nicht so ganz gelingen wollen. Corinna Harfouch gibt ihr Gesicht und ihre Stimme jedoch ganz der Bozena Nemcová und die Schönheit und Kraft der Briefe, sowie der verzweifelte Kampf um Ausdruck der schwerkranken Frau, werden erfahrbar.
"Durch diese Nacht sehe ich keinen einzigen Stern" ist kein leicht zu konsumierender Film. Vor den KinobesucherInnen wird Brief nach Brief geschaffen, mit allen Wiederholungen des Erzählstranges und Abweichungen der Erinnerung. Er ist aber auch kein psychologischer Film. Dafür wirkt die extreme häusliche Gewalt mit den "klassischen" Momenten von Kontrolle, Einschüchterung und Erniedrigung, die Josef Nemec ausübt, zu wenig glaubwürdig. Weder die Opfer, Mutter und Kinder, noch der Täter überzeugen aus dieser Sichtweise. Trennt man sich jedoch von diesen Erwartungen, kann man sich einlassen auf das, was der Film eben ist: ein Film über das künstlerische Schaffen an der Grenze zum Wahnsinn. Über das Schreiben selbst und die künstlerische Arbeit an der eigenen Realität.

AVIVA-Tipp: Mit "Durch diese Nacht sehe ich keinen einzigen Stern" hat sich die Regisseurin Dagmar Knöpfel keine einfache Aufgabe gestellt. Auf der Grundlage von drei Briefentwürfen der Schriftstellerin Bozena Nemcová gibt sie Einblick in die letzten Tage der bei uns leider zu wenig bekannten Tschechin. LiteraturliebhaberInnen werden die wunderbaren Texte, zum Leben erweckt durch die Stimme und Gestalt Corinna Harfouchs, zu schätzen wissen.

Lesen Sie auch unser Interview mit Corinna Harfouch.

Durch diese Nacht sehe ich keinen einzigen Stern
Deutschland 2005, 109 Minuten
Regie und Drehbuch: Dagmar Knöpfel
DarstellerInnen: Corinna Harfouch, Boleslav Polívka, Petr Forman, Ondrej Vetchý, Anna Polívková
ProduzentInnen: Alena Rimbach, Herbert Rimbach
FSK: freigegeben ab 12 Jahren
Verleih: Movienet
Kinostart: 17.11.2005


AVIVA-Berlin verlost 3 x 2 Kinokarten für den Film "Durch diese Nacht sehe ich keinen einzigen Stern" sowie 3x den Roman "Großmutter" zum Film. Bitte nennen Sie uns den Titel des bekanntesten Werkes der Autorin Bozena Nemcová und senden Sie bis zum 28.11.05 eine eMail an folgende Adresse: gewinnspiel@aviva-berlin.de



Bozena Nemcová
Durch diese Nacht sehe ich keinen einzigen Stern

Drei Brief-Entwürfe
Friedenauer Presse Verlag, erschienen Dezember 1997
30 Seiten, kartoniert
ISBN: 3-932109-03-1
9,50 Euro200300054075" target="blank">



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Beitrag vom 17.11.2005

AVIVA-Redaktion