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AVIVA-BERLIN.de im Oktober 2024 - Beitrag vom 19.11.2008


It´s a free world
Britta Leudolph

Ken Loach erzählt in diesem Sozialdrama die Geschichte von Angie, einer jungen Frau, die im Kampf für ihren eigenen beruflichen Erfolg als Personalvermittlerin moralische Bedenken verwirft,...




...zunehmend rücksichtslos handelt und sich so in große Schwierigkeiten begibt.

Angie (Kierston Wareing) ist eine selbstbewusste und schöne Frau, die in London versucht, ihr Leben zu meistern. Die Mutter des 11-jährigen Jamie (Joe Siffleet) entstammt einer alteingesessenen Arbeiterfamilie, ihre Eltern haben ihr Kind für eine Zeit lang aufgenommen, bis Angie sich und ihn selbst versorgen kann.

Angie arbeitet für eine Personalvermittlungsagentur, die Arbeitskräfte in Osteuropa für schlecht bezahlte Jobs in Großbritannien rekrutiert - ihre zehnte Anstellung in sechs Jahren. Als die junge Frau sich gegen sexuelle Anspielungen eines Vorgesetzten zur Wehr setzt, wird sie gefeuert – obwohl sie sehr gute Arbeit leistet.

Desillusioniert und wütend beschließt Angie gemeinsam mit ihrer Freundin Rose (Juliet Ellis), ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen: Sie gründen selbst eine Zeitarbeitsagentur und vermitteln zunächst legal Arbeitskräfte aus Osteuropa an britische Firmen, meistens für einen Tag, manchmal für eine Woche.

Und tatsächlich, sie haben Erfolg und dieser verleitet Angie, in das profitablere Geschäft mit illegalen ArbeiterInnen einzusteigen. Nur für einen kurzen Zeitraum, bis genug Startkapital für eine legale Firma erwirtschaftet ist. Dass in diesem Umfeld ein rauer Wind weht, merken die beiden Jungunternehmerinnen, als eine Baufirma über Nacht verschwindet und sie ihrer aufgebrachten ArbeiterInnenschaft erklären müssen, dass sie keinen Lohn zahlen können. Doch Angie will nicht wieder umsonst gekämpft haben, sie verwirft ihre Bedenken und blendet etwaige Skrupel aus. Dass ihr Handeln verheerende Folgen hat, begreift sie erst, als es fast schon zu spät ist.

"It´s a free world" spielt irgendwo in der grauen Peripherie Londons, zwischen heruntergekommenen Industriebrachen und alten ArbeiterInnenvierteln, nichts erinnert an die glamouröse Megacity. An diesem Ort ist das Leben ein einziger Kampf, für Angie genauso wie für die legalen und illegalen MigrantInnen, die sie vermittelt. Hier zeigt sich das hässliche Gesicht des globalisierten Kapitalismus, der von entfremdeter Arbeit und Ausbeutung geprägt ist. Der Film stellt das Selbstverständnis westlicher Gesellschaften in Frage und legt ihre zwiespältigen Strukturen offen.

Der neueste Film von Ken Loach wurde auf den 64. internationalen Filmfestspielen Venedig 2007 mit dem EIUC Human Rights Film Award und der "Goldenen Osella" für das Beste Drehbuch ausgezeichnet.

Zum Regisseur: Ken Loach, geboren 1936 in Nuneaton, Großbritannien, studierte zunächst Jura, bevor er sich als Schauspieler einem Tourneetheater anschloss. 1964 begann er bei der BBC. Loach setzt sich in seinen Filmen mit sozialen, wirtschaftlichen oder politischen Problemen der britischen Gesellschaft auseinander und ist für seine kritische Haltung bekannt. Seine Filme führten aufgrund seiner einseitigen Parteinahme oft zu Kontroversen und wurden in wenigen Fällen gar nicht erst ausgestrahlt. 2006 erhielt er für "The Wind that shakes the Barley" die "Goldene Palme" der 59. Internationalen Filmfestspiele in Cannes.

Zum Drehbuchautor: Paul Laverty wurde 1957 in Kalkutta, Indien geboren. Vor seiner Karriere als Drehbuchautor studierte er Philosophie in Rom sowie Jura in Glasgow. In den 90er Jahren lernte er Ken Loach kennen, 1996 schrieb er das erste Drehbuch für den gemeinsamen Film "Carlas Song". Seitdem hat er beinahe alle Drehbücher für Loachs Filme verfasst. 2002 und 2007 gewann er die "goldene Osella" für das beste Drehbuch bei den Filmfestspielen in Cannes.

Kierston Wareing wurde 1977 in Leigh-on-Sea, Großbritannien geboren. Sie studierte von 1997 bis 2000 Schauspiel am New Yorker Lee Strasberg Theatre and Film Institut. Nach ihrem Studium kehrte sie nach Großbritannien zurück, der Erfolg als Schauspielerin blieb ihr bislang versagt, so dass sie eine Ausbildung zur Sekretärin begann. Die Rolle der Angie ist ihre erste Hauptrolle, die sie mit Bravour meisterte.

AVIVA-Tipp: "It´s a free world" ist eine tiefgründige Reflexion auf die moderne, globalisierte Arbeitswelt, in der Ausbeutung eher die Regel als die Ausnahme ist. Die Erfolge der ArbeiterInnenbewegung der letzten 100 Jahre verlieren vor diesem Hintergrund ihre Bedeutung, Verantwortung, Mitgefühl und Solidarität erscheinen wie Relikte einer fernen Vergangenheit. Das Besondere an dieser Verfilmung ist die TäterInnenperspektive, aus der erzählt wird: Angie ist keine Großunternehmerin, sondern eine alleinerziehende Mutter am Rande des Existenzminimums. Sie weckt durchaus Sympathien, ist bis zu einem gewissen Grad mitfühlend und warmherzig, wird aber zunehmend rücksichtsloser, weil sie nicht bereit ist, wieder als Verliererin dazustehen. Es fällt nicht sonderlich schwer, sich in diese Figur hinein zu versetzen. So hinterlässt dieser Film ein flaues Gefühl und viele Fragen, nicht zuletzt an sich selbst.

It´s a free world
Großbritannien, Deutschland, Italien, Spanien 2007, 92 Minuten
Regie: Ken Loach
Drehbuch: Paul Laverty
Produzentin: Rebecca O´Brien
Ausführender Produzent: Ulrich Felsberg
SchauspielerInnen: Kierston Wareing, Juliet Ellis, Leslaw Zurek u.v.a.
FSK: keine Angabe
Kinostart: 27. November 2008
www.free-world-der-film.de

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Beitrag vom 19.11.2008

Britta Leudolph