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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 30.05.2007


Pan Nalin im Interview
Tatjana Zilg

Der indische Regisseur von "Valley Of Flowers" begeistert nicht nur das europäische Publikum mit seinen feingezeichneten Epen über Liebe, Glauben, Abenteuer und Alltag in Indien, Tibet und Nepal.




Kurz vor dem deutschen Kinostart von seinem dritten Langfilm traf AVIVA-Berlin Pan Nalin zu einem Gespräch über visuelle Erzählkunst, Inspirationen, die Motive zu dem Transfer in die Moderne und seinem autodidaktischen Weg zum Filmemacher.

AVIVA-Berlin: Die Hauptcharaktere Ihres letzten erfolgreichen Films "Samsara" und dem neuen "Valley Of Flowers" erscheinen zunächst exakt gegensätzlich. Tashi versucht, einen guten spirituellen Weg zu gehen, auch wenn er das Kloster verlässt, während Ushna und Jalan sich gegen die Gesellschaft stellen, und Spiritualität für ihre eigenen Bedürfnisse nutzen.
Pan Nalin: Mich faszinieren besonders die dunklen Charaktere, die in allen Gesellschaften zu finden sind. Auch als ich "Samsara" verfilmte, ging es mir nicht darum, dass die ZuschauerInnen die Hauptcharaktere 100% sympathisch finden werden. Ich möchte keine HeldInnen, die jeder mögen wird. Für mich war es sehr bewegend, die Charaktere von Ushna, der dämonisch wirkenden Frau, und Jalan, den Banditen, zu erforschen. Ich kenne ihre soziokulturelle Umgebung sehr genau. In "Samsara" habe ich mich mit den Mönchen und deren Weisheit beschäftigt, aber dann waren dort in derselben Landschaft auch diese anachronistischen Banditen. Sie haben ihre Gründe, so zu handeln, manche von ihnen sind wie asiatische Robin Hoods, sich gegen soziale Ungerechtigkeit wehrend. Aber trotzdem haben sie schlechtes Karma. Es war eine große Herausforderung, etwas so Unterschiedliches in einem ähnlichen Setting zu verfilmen. - Es ist geographisch nicht exakt dieselbe Gegend, aber es ist die Erzählung einer Liebesgeschichte mit zwei sehr außergewöhnlichen Charakteren in einer historisch buddhistischen Kulisse.

AVIVA-Berlin: Wie sind Sie mit dem Buch von Alexandra David-Néel in Berührung gekommen, das Sie zu dem Drehbuch inspirierte?
Pan Nalin: Es basiert nicht auf dem kompletten Buch, nur auf einem Ereignis aus dem Buch.
Ursprünglich wollte ich einen Film über das Leben von Alexandra David-Néel drehen. Sie ist eine sehr außergewöhnliche Frau, die den Himalaja, China und Tibet bereiste. Parallel dazu arbeitete ich an einer Liebesgeschichte. Dann las ich in ihrem Buch, wie sie die Begegnung mit einem Banditen beschrieb. Er erzählte ihr, dass er, als er jung war und eine Karawane überfiel, ein wunderschönes Mädchen traf, von dem er glaubte, sie sei die Reinkarnation eines Dämon. Das wurde der Ausgangspunkt. Es waren nur zwei Seiten, die mich zu der ausführlichen Geschichte inspirierten.

AVIVA-Berlin: Wie ist die Idee hinzukommen, die Geschichte mit dem Unsterblichkeits-Aspekt zu verbinden?
Pan Nalin: In diesem Buch erzählt Alexandra nichts darüber, aber in vielen ihrer anderen Bücher gibt es Beschreibungen von Meditationstechniken und dem Wunsch nach Unsterblichkeit. Menschen, die nach Macht streben und sie dann missbrauchen. Sie versuchen, anderen den Atem zu stehlen, sie atemlos zu machen und daraus ein Unsterblichkeitselexier herzustellen. Solche Vorstellungen gibt es im gesamten Himalaja-Gebiet, von Bhutan, über Tibet, bis nach Nepal.

AVIVA-Berlin: Jalan wird in der modernen Zeit Sterbehelfer.
Sterbehilfe für Unheilbarkranke wird in der öffentlichen Meinung in Europa kontrovers diskutiert. Gibt es eine ähnliche Diskussion in Indien?
Pan Nalin: In Indien sind die Leute wie in den meisten anderen Ländern dagegen. Verallgemeinernd gesagt, ist man der Ansicht, dass der Lebensstil in der modernen Gesellschaft das Leiden der Sterbenskranken erschwert, die heutzutage oft von großer Einsamkeit betroffen sind. Jede Krankheit wird erleichtert, wenn die Familie den Betroffenen unterstützt. Natürlich gibt es einige furchtbare Krankheitsbilder. Aber wenn Menschen da sind, die den Kranken umsorgen, wird er sich dennoch besser fühlen und friedlich sterben. Sterbenskrank allein in einem Krankenhauszimmer zu liegen ist das Schlimmste, was einem passieren kann. In Indien und auch in Japan sehen die Menschen dies als Versagen der Gesellschaft. In heutiger Zeit ist es sehr schwer, Unheilbarkranke zu pflegen. Wenn man sich dafür ein oder zwei Jahre Zeit nimmt, ist danach möglicherweise der Job oder die Jugend verloren.

AVIVA-Berlin: Im Film ist es das Ehepaar in Japan, das sich an Jalan wendet, damit er Sterbehilfe leistet.
Pan Nalin: Ihre Tochter versucht es zu verhindern, aber es gelingt ihr nicht. Der Bruder hat es akzeptiert. Die Großmutter wird sehr wütend und schlägt Jalan. Sie sagt: "Schau, ich bin noch viel älter als die beiden, sie sollen an einem natürlichen Tod sterben." Ich habe die Szene anhand eines Falles von einem britischen Ehepaar konstruiert, das vor drei Jahren in die Schweiz flog, um das Leben zu beenden. In England wohnten sie mit ihren beiden Söhnen, die für sie sorgten, auf dem Land. Die Eltern befürchteten, dass den Söhnen ihr Leben entgeht. Der eine war 18, der andere 22. Sie wollten ihnen nicht die Jugend nehmen. Aber die Söhne waren von ihrem Entschluss entsetzt und fühlten sich schuldig.
Im Film stellt sich Yeti gegen Jalans Tun, indem er dafür sorgt, dass die Natur wieder ins Gleichgewicht kommt und die Wirkung des Unsterblichkeitselexiers aufgehoben wird.

AVIVA-Berlin: Könnten Sie die Funktion des Yeti im historischen Indien näher beschreiben? Im Film bleibt das möglicherweise für Menschen, die sich mit dem Gesellschaftssystem dort nicht auskennen, etwas undeutlich.
Pan Nalin: Die Version, die in Deutschland in die Kinos kommt, ist für den Verleih hier noch einmal gekürzt wurden. Die Originalversion ist 25 Minuten länger. Leider wurden viele Szenen, die für die Entwicklung des Yeti-Charakter wichtig sind, beschnitten. Man erhält so nicht alle Antworten, in der anderen Version haben alle Zuschauer es verstanden. Beim Los Angeles Indian Film Festival erhielt der Film bereits den Jury-Preis für den Besten Spielfilm. Hier wurde ich aber schon oft danach gefragt.
Der Charakter des Yeti ist angelehnt am Schneeriesen, ein mystisches Wesen im Himalaja. Er wird als sehr seltsam beschrieben, vielleicht ein Tier, vielleicht ein großer Mensch. Diese Legende dient dem Schutz der Natur im Himalaja, indem sie die Menschen ängstigt und fernhält. Ich nahm diese Metapher und gab ihr eine neue Form. Er erscheint als Bewahrer, wenn Ushna und Jalan die spirituellen Kräfte ins Ungleichgewicht bringen. Darum verfolgt er Ushna bis in das moderne Japan. Sie stirbt, während Jalan mit Hilfe des Elexier unsterblich wird, aber sie wird fünfmal wiedergeboren, mit der tiefen Sehnsucht nach ihrem Geliebten im Herzen. Yeti schließt mit ihr ein Bündnis, damit sie ihm hilft, Jalan zu überwältigen und wieder sterblich werden zu lassen.
Seine Aufgabe ist es, sich jedes Mal, wenn jemand das Gleichgewicht der Natur stört, für die Wiederherstellung einzusetzen. Er ist sozusagen der Sheriff, der die Banditen Ushna und Jalan verfolgt.

AVIVA-Berlin: Sie haben viele Rollen mit LaiendarstellerInnen besetzt. Haben Sie zu der Arbeit mit Non-Professionellen einen besonderen Zugang, da Sie auch schon einige Dokumentarfilme gedreht haben?
Pan Nalin: Ich mag es sehr, professionelle und nicht-professionelle SchauspielerInnen zu mischen. Aus meiner Sicht sind Castings immer sehr anstrengend, weil die SchauspielerInnen in sie hineingehen wie Pferde in ein Rennen. Das ist überall so, in Europa genau wie in Indien. Ich vermisse dort oft echte Gesichter, echte Haut, die Landschaften in den Gesichtern und auf den Körpern. So etwas mit einem klassischen Casting zu finden ist nahezu unmöglich. Das ist der Hauptgrund, warum ich viele der Bandenmitglieder und die beiden Sayuris mit LaiendarstellerInnen besetzt habe. Die beiden spirituellen Männer, der Schwebende und der Hersteller des Elexier, sind auch im realen Leben Sayuris. Sie wissen ganz genau, was sie tun. Kein Make Up und kein Kostüm-Design hätte das abbilden können. Die Bandenmitglieder leben in 50.000 Fuß Höhe und seit vielleicht 40 Jahren prägt die Sonne ihre Haut. Aus ihren Augen und ihren Gesichtern wurden ganz erstaunliche Landschaften. Ich habe es nicht beabsichtigt, LaiendarstellerInnen für meine Filme zu casten, es führte einfach kein Weg daran vorbei. Auch in Samsara spielten viele reale Mönche mit.

AVIVA-Berlin: Sie haben sich das Filmemachen selbst beigebracht. Wann hatten Sie zum ersten Mal den Wunsch, Regisseur zu werden?
Pan Nalin: Seit ich meinen ersten Film gesehen habe, war es mein größter Wunsch, selbst Filme zu inszenieren. Ich wusste aber nicht, mit welchen Inhalt und wie. Ich war fasziniert von der Magie und der Kraft des Storytellings und drehte viele Kurzfilme, Dokus und experimentelle Aufnahmen. Zunächst mit sehr einfachen Mitteln, später konnte ich mir dann eine bessere Ausstattung leisten. Ich habe mir viele Filme angesehen, Hollywood-Filme, Arthouse-Kino aus Italien, aus Deutschland. Dann begann ich nach meiner eigenen filmischen Stimme zu suchen. Ich suchte danach, was mich tief berührt, in meiner eigenen Kultur, in meinen eigenen Wurzeln, und wie ich dies für die Leinwand umsetzen könnte. In meinen Filmen gibt es viele Sequenzen, die von meiner eigenen inneren Reise zum Filmemacher inspiriert sind. Der Einsatz von Stille oder die Wanderung von Jalan durch die Zeit von der historischen Vergangenheit in die Gegenwart, wo nur die Füße gezeigt werden.

AVIVA-Berlin: Vielen Dank für das Interview!

Der Film im Web: www.valley-of-flowers.de/

Lesen Sie auch unsere Filmrezension zu "Valley Of Flowers".



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Beitrag vom 30.05.2007

AVIVA-Redaktion