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Beitrag vom 31.12.2003
Lesben und Mode
Sharon Adler
Das Interview mit Prof. Dr. Gertrud Lehnert, Autorin von "Wir werden immer schöner."
AVIVA-Berlin: Was war der Auslöser dafür, "Wir werden immer schöner" zu schreiben?
Gertrud Lehnert: Das hat sich mit der Zeit entwickelt. Ich habe viel über Mode veröffentlicht und der Verlag und ich kamen auf diese Weise zusammen. Die von der lesbischen Seite und ich von der Modeseite. Wir haben dann überlegt, dass man mal was über lesbische Mode machen sollte. Das war ein Thema, das mich interessiert hat, weil ich mich immer über Klischees aufrege. Das ist zwar nichts, von dem ich mich total absetze, aber ich identifiziere mich auch nicht darüber. Und da ich als Lesbe ständig mit Mode zu tun habe, muss ich mich fragen, was Mode im lesbischen Kontext für mich bedeutet.
AVIVA-Berlin: Im Buch schlagen Sie vor, Lesben könnten Vorreiterinnen in Sachen Mode sein. Inwiefern?
Gertrud Lehnert: Lesben suchen ja immer wieder neue Stile, um sich zu unterscheiden. Und diese Stile werden durchaus kopiert. Mit etwas mehr Selbstbewusstsein in Hinsicht auf Äußerlichkeiten - was ja nicht bedeutet, dass man sich dem Mainstream völlig anpasst- könnte man, so glaube ich, offensiver auftreten und auch Mode machen, wenn man sich nicht dem Konzept Mode so komplett verweigern würde.
AVIVA-Berlin: In Vorbereitung befindet sich: Gelehrte Frauen - Wissensgeschichte weiblich (von Sor Juana de la Cruz bis Anna Freud), erscheint 2004 im Aufbau Verlag Berlin.
Ist es Ihnen ein großes Anliegen, die Frauen sichtbar zu machen?
Gertrud Lehnert: Ich denke, das ist schon ein Anliegen. Ich finde es unheimlich interessant zu sehen, wie es Frauen in einer Kultur, die wissenschaftliche Betätigung per se als männlich definiert, trotzdem schaffen, Wissenschaft zu gestalten.
Also, ohne dass sie die Bildungsmöglichkeiten haben, ohne dass sie die Perspektiven entwickeln können, es trotzdem immer wieder fertig bringen, herausragende Wissenschaftlerinnen zu werden - wobei natürlich da auch das Verhältnis von den Wissenschaftlerinnen oder gelehrten Frauen zu ihren männlichen Mentoren von Interesse ist. Das sind oft Vater-Tochter Verhältnisse, wie bei Freud etwa. Aber diese Verhältnisse ziehen sich durch die Geschichte, und es ist auch die Kombination, die mich interessiert: Wie kommen die Frauen dazu, und wie weit sind sie dann doch auf patriarchale Unterstützung angewiesen, oder darauf, als Sonderrolle vorgeführt zu werden. Das sind einfach unheimlich interessante Biographien.
AVIVA-Berlin: Was lesen Sie zur Zeit und warum?
Gertrud Lehnert: Ich hab´ gerade den letzten Harry Potter gelesen. (lacht)
AVIVA-Berlin: Und, wie hat er Ihnen gefallen?
Gertrud Lehnert: Ich hab´s gerne gelesen, aber es hat mich nicht mehr so begeistert. Das ist ja häufig so, wenn Bücher in Reihe erscheinen, wird es irgendwann zum Schema. Aber die Autorin kann einfach schreiben. Die beherrscht ihr Handwerk. Und das finde ich toll.
Seit gestern lese ich "Atlas der Liebe" von Almudena Grandes, einer spanischen Gegenwartsautorin. Das sind Geschichten von vier verschiedenen Frauen um die 40, die alle in einem Verlag arbeiten und ihre eigenen Geschichten entwickeln.
AVIVA-Berlin: Auf welche Neuerscheinung von welcher Autorin oder von welchem Autor sind Sie gespannt? Was würden Sie gerne als Nächstes lesen? Noch einen Harry Potter?
Gertrud Lehnert: Nicht sofort. Erst so in zwei Jahren. (lacht). Worauf ich mich jetzt schon freue, ist das neue Buch von Michael Cunningham, der "The Hours" geschrieben hat. Es wird im Herbst 2003 erscheinen.
AVIVA-Berlin: Welches Buch verborgen Sie niemals?
Gertrud Lehnert: Meine Proustausgabe.
AVIVA-Berlin: Stellen Sie sich vor, Sie bekämen heute 1 Million € für Berlin. Welches Projekt würden Sie sofort retten oder in´s Leben rufen?
Gertrud Lehnert: Ach du meine Güte! (lacht) Eine Million Euro für Berlin. (überlegt) Irgendwas frauenorientiertes. Ich würde einen Club für Frauen und Lesben gründen, wo man Cluburlaub machen kann. Aber nicht alternativ oder öko, sondern luxuriös.
Toll wäre mal wieder so ein richtig schönes Frauenlokal auf einem hohen Niveau.
AVIVA-Berlin: Wenn ich mir Ihre Vita anschaue, bin ich sehr beeindruckt. Woraus schöpfen Sie?
Gertrud Lehnert: Ja, was treibt mich voran? (überlegt). Spontan würde ich sagen: Ich langweile mich ungern. (lacht) Und ich habe immer das Glück, Dinge zu finden, die mir Spaß machen. Mir macht zum Beispiel das Unterrichten an der Uni sehr viel Spaß. Da kommt dann auch wieder neue Kraft rein.
AVIVA-Berlin: Wie gehen Sie mit Burn-Out um?
Gertrud Lehnert: Einfach keinen Antrieb mehr zu haben, auch für Dinge, die ich eigentlich gerne mache, finde ich sehr schwierig. Ich habe dann nicht mehr so viel abends zusätzlich noch gearbeitet.
Das brauchte ich. Was auch hilft, ist shoppen gehen.
AVIVA-Berlin: Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, auch Mode zu entwerfen? Funktional-weibliche Mode gibt es ja leider nicht genug...
Gertrud Lehnert: Dazu fehlt mir die Begabung. Meine Fähigkeit liegt eher darin, zu rezipieren, zu analysieren, zu vermitteln. Außerdem interessiert mich auch das Historische, nicht nur die gegenwärtige Mode besonders. Ich sehe Mode immer im Zusammenhang mit Modegeschichte. Und das finde ich persönlich spannend.
Hier geht´s zur AVIVA-Rezension von "Wir werden immer schöner."