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Beitrag vom 19.05.2008
Interview mit Silvy Pommerenke
Sharon Adler
Die Germanistin und Historikerin M.A., zudem AVIVA-Berlin-Redakteurin, hat im Mai 2008 bei Krug & Schadenberg ihr erstes Buch "Küsse in Pink" veröffentlicht, ein Coming-out-Buch für junge Lesben.
Trotz "Promi-Lesben" und Lesben in Soaps wie Verbotene Liebe, ist ein Coming-out nicht immer einfach. Besonders junge Frauen sind sich häufig unsicher, wie und wann sie sich ihren Eltern, der besten Freundin oder ihren ArbeitskollegInnen anvertrauen können. Die Berliner Autorin Silvy Pommerenke hat mit zahlreichen jungen Frauen gesprochen und sie zu allen Aspekten rund um ihr Coming-out befragt.
Küsse in Pink bietet Sachinformationen und persönliche Geschichten rund um´s Coming-out.
AVIVA-Berlin: Du bist Germanistin und Historikerin M.A. Seit Anfang 2005 arbeitest Du außerdem für Professor Barbara Hahn im Projekt "Buch des Andenkens – Die Briefe der Rahel Levin Varnhagen" und führst hierbei Transkriptionen hunderter Handschriften aus dem 18. und 19. Jahrhundert durch. Daneben schreibst Du für AVIVA-Berlin. "Küsse in Pink" ist Deine erste Buchveröffentlichung. Wie kam es dazu?
Silvy Pommerenke: Ich wollte ein wenig aus dem wissenschaftlichen Bereich heraus und hatte schon seit längerem die Idee, ein Coming-out-Buch speziell für junge Lesben zu schreiben. Derzeit gibt es zu diesem Thema kein aktuelles Buch auf dem deutschen Buchmarkt, lediglich vergriffene Titel, die man nur noch antiquarisch erwerben kann oder Broschüren von Institutionen, wie beispielsweise dem Jugendnetzwerk Lambda. Dann kam es zu einem Kontakt zum Verlag Krug & Schadenberg, die genau solch ein Buch in ihr Verlagsprogramm aufnehmen wollten. Da kann man nur sagen "Gesucht und gefunden"! Wir sind uns sehr schnell über die Zusammenarbeit einig geworden, und Andrea Krug und Dagmar Schadenberg waren sehr angetan von meiner Idee, keinen drögen Ratgeber zu schreiben, sondern ein lebendiges Buch, das in Form von Geschichten, erläuternden Kommentaren und Interviews ein möglichst breites Spektrum von lesbischen Lebensläufen aufzeigt. Ich habe sozusagen ein Crossover von erzählender Prosa und Sachbuch geschrieben, das neben wichtigen Informationen für junge Lesben vor allem eins anbieten soll: Spaß beim Lesen und die Lust auf die Entdeckung des eigenen Lesbischseins.
Übrigens werden für schwule Jungs deutlich mehr Coming-out-Bücher angeboten – ich habe allerdings keine Ahnung, woran das liegt, denn es gibt ja nicht mehr Schwule als Lesben. Vielleicht ist das schwule Selbstverständnis stärker ausgeprägt? Auf jeden Fall dürfte mein Buch eine bestehende Lücke schließen, worüber ich sehr froh bin.
AVIVA-Berlin: Was hat Dich daran gereizt, ein Coming-out-Buch für junge Lesben zu machen? Kannst Du Dir vorstellen, auch eins für "ältere" Lesben zu schreiben? Schließlich outet frau sich ja im Laufe ihres Lebens nicht nur einmal...
Silvy Pommerenke: Ich fand es in der Tat sehr reizvoll ein Buch explizit für junge Lesben zu schreiben. Die Zielgruppe, die dem Verlag und mir vorschwebte, sollten Mädchen und junge Frauen zwischen 15 und 25 Jahren sein. Ich bin fast vierzig, somit eher im Alter der Mütter dieser Zielgruppe und mein eigenes Coming-out liegt mehr als zwanzig Jahre zurück. Es hat mich brennend interessiert, wie junge Lesben von heute mit ihrem Coming-out umgehen, ob sie ähnliche Schwierigkeiten - wie ich in den achtziger Jahren - haben, oder ob sich das Selbstverständnis in der Zwischenzeit verändert hat. Tatsächlich bin ich zu sehr erfreulichen Ergebnissen gelangt, denn ich hatte kaum eine Interviewpartnerin, die ernsthaft Probleme mit ihrer lesbischen Identität hatte. Trotzdem glaube ich, dass ein Ratgeber sinnvoll ist, denn ein Coming-out in einem Fünfhundertseelendorf unterscheidet sich von dem in einer Großstadt wie Berlin. Außerdem finde ich es wichtig – gerade weil ich in meiner eigenen Jugend das Gefühl hatte, mit niemandem über mein Lesbischsein reden zu können -, Mädchen und junge Frauen auf ihrem Weg der Entdeckung der eigenen Sexualität zu unterstützen. Im Prinzip habe ich das Buch geschrieben, das mir während meines Coming-outs immer gefehlt hat ...
Tatsächlich könnte ich mir vorstellen, einen weiteren Ratgeber für "ältere" Lesben zu schreiben. Es ist ja nicht so, dass alle schon im Teenageralter sich auf eine bestimmte sexuelle Orientierung festlegen. Das kann sich im Laufe eines Lebens ändern. Wenn sich beispielsweise eine Frau, die verheiratet war und Kinder geboren hat, im späteren Älter sexuell von anderen Frauen angezogen fühlt, dann stellt sie sich mit Sicherheit andere Fragen, als eine Fünfzehnjährige, die noch nie sexuelle Erfahrungen gemacht hat. Aber, um ehrlich zu sein, würde ich viel lieber als nächstes Projekt meinen Roman weiterschreiben.
AVIVA-Berlin: Wie hast Du Deine Interviewpartnerinnen gefunden und wie haben die jungen Frauen auf Deine Anfrage reagiert?
Silvy Pommerenke: Ich habe mich an alle möglichen Institutionen gewandt um Zugang zu Jugendlichen zu bekommen und mein Anliegen vorgetragen. Das Feedback war überaus positiv und hat sich schnell zu einer Art Schneeballsystem verselbständigt. Das rege Interesse hat mich regelrecht überrascht und auch die Gesprächsbereitschaft der jungen Frauen. Ich habe bei jedem Interview das Gefühl gehabt, dass trotz (oder gerade wegen) des Altersunterschiedes zwischen mir und ihnen, sich eine sehr vertraute Atmosphäre eingestellt hat, und ich offensichtlich auch die richtigen Fragen gestellt habe. Es hat mir riesigen Spaß gemacht, mehr über das Leben dieser jungen Generation zu erfahren, und ich fühlte mich oftmals in meine eigene Jugend zurückversetzt, denn einige Dinge ähneln sich doch sehr.
AVIVA-Berlin: Was, welche Geschichte hat Dich am meisten überrascht?
Silvy Pommerenke: Das überraschendste war vor allem, dass jede Geschichte ihre ganz eigene Dynamik und Individualität hat. Eigentlich war ich nach jedem Interview völlig verblüfft über die einzelnen Lebenswege, bei dem jeder für sich Stoff für einen Roman bieten würde. Wenn man den Menschen Zeit gibt, ihre Geschichte zu erzählen und behutsam die Gesprächssituation gestaltet, dann erfährt man ganz viel Persönliches. Aber ich glaube, dass ich manches Mal auch meine Interviewpartnerinnen überrascht habe. Einfach dadurch, dass ich Fragen gestellt habe, die ihnen selbst vielleicht nie eingefallen wären, und die oft einen Prozess der Selbstreflexion ausgelöst haben. Somit denke ich, dass beide Seiten von den Gesprächen profitiert haben.
AVIVA-Berlin: Wo denkst Du, liegen die Unterschiede im Outing heute und vor 20 Jahren?
Silvy Pommerenke: Wie ich vorhin schon sagte, ist der Unterschied immens. Es gibt heutzutage wesentlich mehr Rolemodels, mit denen sich die jungen Lesben identifizieren können. Tagtäglich flimmern Soaps mit schwulen oder lesbischen Paaren auf dem Fernsehschirm, Berlin hat einen schwulen Bürgermeister, die ehemalige Tagesthemen-Moderatorin Anne Will hat sich geoutet und vieles mehr. Somit ist das Thema Homosexualität wesentlich stärker in der Öffentlichkeit vertreten als vor zwanzig Jahren, wo unter vorgehaltener Hand und hochgezogener Augenbraue getuschelt wurde, dass die Tennisspielerin Martina Navratilova lesbisch sei ...
Außerdem hat sich das Verständnis von Partnerschaften und Familie stark verändert, denn kaum eine meiner Interviewpartnerinnen lebt noch mit beiden Elternteilen zusammen, sondern heutzutage trennt man sich lieber, als dass man bis zum bitteren Ende zusammen bleibt. Diese liberale Einstellung macht sich auch im Selbstverständnis von jungen Lesben bemerkbar, denen es heutzutage viel leichter fällt, ihre eigene Identität zu entdecken. Dennoch gibt es immer noch Vorurteile gegenüber Homosexuellen - in manchen Ländern steht die gleichgeschlechtliche Liebe sogar unter Todesstrafe -, aber trotz alledem ist vieles einfacher geworden.
AVIVA-Berlin: Wann und wie war Deins?
Silvy Pommerenke: Ich glaube, dass es Ende der achtziger Jahre war. Meine Mutter hat ziemlich klischeehaft reagiert, indem sie mich fragte, was sie falsch gemacht hätte, und dass sie glaubte, aus diesem Grund keine Enkelkinder zu bekommen. Ich war damals von ihrer Reaktion ganz schön enttäuscht, aber mittlerweile hat sich das völlig verändert, und sie ist mir Ratgeberin in vielen Liebesangelegenheiten. Mein Vater hat mich allerdings sehr überrascht, denn er hat sich ungewöhnlich tolerant verhalten. Mein Bruder hat ebenfalls super reagiert, denn er schenkte mir als Antwort auf mein Coming-out ein Buch von Birgit Palzkill, in dem es um die Entwicklung lesbischer Identität geht. Ich bin dann aber trotzdem aus der Kleinstadt weggezogen, in der ich geboren wurde, weil ich dort mein Lesbischsein nicht hätte ausleben können. Seit fünfzehn Jahren lebe ich nun in Berlin, und ich habe diese Entscheidung nicht einen Tag bereut, denn diese Stadt bietet für mein queeres Herz alles, was ich mir nur wünschen kann.
AVIVA-Berlin: "Küsse in Pink" kann frau auch als Mutmachbuch verstehen. Wo, denkst Du, brauchen junge Frauen in Deutschland noch mehr Akzeptanz?
Silvy Pommerenke: Insgesamt sieht es in Deutschland viel besser aus, als in manch anderen Ländern. Dennoch gibt es auch hier noch viel Arbeit, um die Gleichberechtigung von Frauen und die Toleranz gegenüber Lesben zu stärken. Mir ist bewusst, dass wir uns im Kulturbereich als Lesben wesentlich leichter outen können, als in verknöcherten Arbeitsstrukturen. Auch in Familien, in denen sehr traditionelle Rollenbilder vorherrschen, müsste noch mehr Aufklärung betrieben werden. Wahrscheinlich ist es für eine muslimische Lesbe ungleich schwerer sich zu outen, als für eine junge Lesbe, deren Eltern ein modernes Weltbild verinnerlicht haben. Aber wir sind auf dem besten Weg, denn es gibt beispielsweise Broschüren von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung oder dem LSVD, die sich für Akzeptanz und Respekt gegenüber anders lebender Menschen einsetzen. Vielleicht sollte man einmal über eine Schulbuchreform nachdenken, denn den Kindern und Jugendlichen wird leider durch die meisten Lehrbücher immer noch das klassische heterosexuelle Familienmodell vermittelt. Es wird zu wenig auf andere Kulturen, Hautfarben und Religionen eingegangen, was nicht mit unserer multikulturellen Gesellschaft übereinstimmt.
AVIVA-Berlin: Trotz Deiner chronischen Borreliose-Erkrankung stemmst Du diverse hochwertige Projekte. Was bedeutet das Schreiben für Dich?
Silvy Pommerenke: Schreiben war immer schon Motor und Antrieb für mich. Ich sehe die Arbeit mit Texten aber nicht nur als etwas Produktives und Kreatives an, sondern es erfüllt für mich auch die Funktion der Krankheitsbewältigung. Zum Glück habe ich diese Gabe, denn aufgrund meiner chronischen Erkrankung wäre ich in anderen Bereichen wahrscheinlich schon längst berufsunfähig. Schreiben geht immer - auch unter den größten Schmerzen und hilft, damit um- und dagegen anzugehen. Andererseits glaube ich auch, dass mich die Borreliose erst zu vielen Höchstleistungen gebracht hat, die ich als Gesunde vielleicht nicht erreicht oder gar nicht hätte erreichen wollen. Eins meiner Lieblingszitate stammt übrigens aus einem Brief von Ellen Key, einer Frauenrechtlerin, an Rainer Maria Rilke: "Aus Qualen Perlen!" Sie spricht mir damit aus der Seele.
AVIVA-Berlin: Deine nächsten Projekte?
Silvy Pommerenke: Wie gesagt, plane ich meinen Roman weiterzuschreiben. Aber ich schreibe neuerdings auch Songtexte für MusikerInnen, was sozusagen meine Arbeit bei AVIVA-Berlin als Musikredakteurin mit meinem literarischen Interesse kombiniert. Das ist etwas ganz Neues für mich und ich bin schon sehr gespannt, wie es klingt, wenn ein Text von mir gesungen und nicht nur gelesen wird ...
AVIVA-Berlin: Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg für Dein erstes und alle weiteren Bücher!
Weitere Informationen zu Silvy Pommerenke bei Krug und Schadenberg und AVIVA-Berlin
Lesen Sie auch die AVIVA-Berlin Rezension zu "Küsse in Pink" und ein Interview mit Silvy Pommerenke auf den Seiten des Bayerischen Rundfunks.